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Weichenstellung fiir mehr Krankenkassen-Ambulatorien

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In Österreich bemüht man sich einmal mehr, die restlichen weißen Flecken im ärztlichen Versorgungsnetz auszumerzen. Allerdings, jede der betroffenen Gruppen auf ihre Weise und damit erhöhen sich die Schwierigkeiten einer Konsensfindung beträchtlich.

Weiße Flecken sind jene Teile unseres Landes, die auf Grund ihrer geringeren Lebensqualität von Ärzten gemieden werden. Der Präsident der österreichischen Ärztekammer, Richard Piaty, lokalisiert diese Flecken in den städtischen Randzonen, während ländliche Bereiche doch eine gewisse Anziehungskraft auf Ärzte ausüben; schließlich genießt der Arzt am Land gesellschaftliche Autorität und zählt zur Elite der Gemeinschaft. Die am Beispiel Wien je nach Bezirk unter-

schiedlichen Vergleichszahlen zwischen Bewohnern und niedergelassenem freien Arzt erhärten die Vermutung des Präsidenten: Im ersten Bezirk entfallen 739 und im vierten Bezirk 899 Bewohner auf einen praktischen Arzt, in Simmering sind es 4147 und in der Donaustadt 2418 Wiener.

Sozialminister Gerhard Weissenberg beabsichtigt nun mit seiner im Frühjahr zur Begutachtung vorgelegten 33. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), die Weichen in Richtung Planung zu stellen. War es bisher dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger und der Ärztekammer im Zusammenwirken mit den Ländern überlassen, sich im Wege von Gesamtverträgen um eine ausgewogene ärztliche Versorgung zu bemühen, so sieht die ASVG-Novelle eine Planstellen-Regelung vor: Die örtlichen Verhältnisse (Besiedlungsdichte, Verkehrsverhältnisse und dergleichen mehr) und Schlüsselzahlen für praktische und Fachärzte - einheitlich festgesetzt durch Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz - sind zugrundezulegen.

In einem Gespräch mit der FURCHE meint der Bundesminister für Soziales, man sehe sich zu diesem Schritt gezwungen, da trotz individueller Förderung der Ärzte - etwa günstige Kredite für die Errichtung einer Wohnung oder Praxis - bestimmte Gebiete ärztlich unterversorgt bleiben. Wohl finden Beratungen über weitere Fördermaßnahmen statt, aber „wenn es nicht anders geht, wird man in diesen Gebieten eben Ambulatorien errichten müssen, zumindest Kleinambulatorien“, sieht Minister Weissenberg den Ausweg aus dem Dilemma.

Und hier scheiden sich die Geister. Mit einer gewissen Berechtigung befürchtet die freie Ärzteschaft einen folgenschweren Eingriff in das freie Gesundheitswesen.

Eine Analyse der gegenwärtigen Situation zeigt außerdem deutlich, daß die individuelle Förderung der Ärzte als Instrument zur gerechten Verteilung noch lange nicht erschöpfend angewendet wurde. Maßnahmen wie differenzierte Honorarverträge oder gezielte Stipendien für Medizinerausbildung unter gleichzeitiger Verpflichtung des Studenten, sich in einer bestimmten Gemeinde niederzulassen, wurden bislang nicht erprobt.

Dennoch wird von seitert des Sozialministeriums in der gesetzlichen Verankerung eines zentral zu erstellenden Planes das alleinige Heil gesehen. Gleichzeitig soll die österreichische Ärztekammer das Recht auf Mitsprache bei der Planung von Kassenambulatorien verlieren. Die im Jahre 1955 zur Zeit der Großen Koalition installierte Parteistellung der Ärztekammer geht mit 30. November dieses Jahres zu Ende. Der Verfassungsgerichtshof hat die erwähnte Regelung im ASVG aufgehoben - Ambulatorien seien Krankenanstalten und demzufolge wäre die Parteistellung der Ärztekammer entweder ins Krankenanstaltengesetz aufzunehmen oder aber eine verfassungskonforme Formulierung derselben im ASVG vorzunehmen.

Mit der Frist bis Ende November sollte dem Gesetzgeber die Möglichkeit einer verfassungsgemäßen Regelung gegeben werden. Dazu allerdings sieht Weissenberg keine Veranlassung: „Man kann mich nicht zwingen,

eine solche Regelung zu treffen.“ Präsident Piaty fühlt sich dagegen „der Willkür der Kassen ausgesetzt“.

Mit anderen Worten: Das System unserer Versorgung hat sich in letzter Konsequenz in sein Gegenteil verwandelt. Mußte ehemals zur Bewilligung eines Ambulatoriums der Beweis erbracht werden, daß zu wenig Ärzte das Gebiet betreuen, wird die Beweisführung mit der erwähnten Novelle umgedreht. In Zukunft werde nur in Ermangelung von Ambulatorien die Niederlassung von Ärzten bewilligt, vermutet der Chef der Ärztekammer.

Damit zeigt sich die Tendenz zu staatlicher Omnipräsenz, wonach die zuständige Behörde im Extremfall die alleinige Entscheidungsgewalt innehaben könnte. Alle mit diesen Fragen befaßten Stellen werden diesen Herbst nutzen müssen, ein grundsätzliches Einvernehmen herzustellen, da die Novelle mit 1. Jänner kommenden Jahres in Kraft treten soll.

Die Krise der medizinischen Versorgung ist nicht nur. eine Krise der „weißen Flecken“. Sie ist Symptom für den Zwiespalt zwischen Planung und Freiheit, den es gilt, in den Griff zu bekommen, um die demokratische Lebensform zu sichern. Zu sichern gilt es aber auch das Gespräch zwischen Arzt und Patient, das in der Anonymität der Ambulatorien verlorenzugehen droht.

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