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Weihnacht nach Matthäus

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Matthäus rechtfertigt sein Evangelium gegen Fehlinterpretationen: Ich habe nur die Fakten berichtet, und überlasse es jedem, daraus Schlüsse zu ziehen.

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Matthäus rechtfertigt sein Evangelium gegen Fehlinterpretationen: Ich habe nur die Fakten berichtet, und überlasse es jedem, daraus Schlüsse zu ziehen.

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Nein, so wunderbar und wunderschön wie ihr das feiert, war das nicht. Mein Evangelistenkollege Lukas hat sich wahrscheinlich an die Geschichten der Mutter Mirjam gehalten, die ja eine tapfere Frau war. Aber beweisbar ist das mit den Engeln und Hirten und ihren Gesängen später nicht. Und wo bleibt denn der versprochene Friede?

Ich bin ein Mann von der Zollwache, ich bin an Zahlen und beweisbare Fakten gewöhnt. Der Bericht muß auch später nachprüfbar sein. Das macht die korrekte Beamtenschaft nicht gerade beliebt, so wie auch ich bei den Israeliten verachtet war. Unser Rabbi rief mich trotzdem. Er wird gewußt haben, warum.

Zunächst war das Zeichen am Sternenhimmel. Ich habe nie behauptet, daß es ein Komet war. Die Astronomen haben es berechnet und rekonstruiert. Es war eine Konjunktion im Sternbild der Fische. Das ist von der Fachwissenschaft bewiesen und anerkannt. Ebenso anerkannt, in diesem Fall von den Archäologen, ist die Sternenkunde der östlichen Völker. Die Gelehrten im Dienste von Tempel und Thron beobachteten

Jesu Mutter Mirjam, Informantin des

Evangelisten Lukas? Foto Delphin Verlag und deuteten den Himmel genau. Ich habe sie weise Männer aus dem Morgenland genannt. Ihre Expeditions-Karawane muß teuer und auffällig gewesen sein. Von den Geschenken, mit dem sie der Geburt unseres

Babbi huldigten, habe ich drei wesentliche, im Morgenland für einen Fürsten gebührende Gaben erwähnt: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Aber weder habe ich behauptet, daß die Weisen Könige, noch daß sie ihrer drei waren.

Viel wichtiger ist Herodes der Idumäer, ein von der römischen Besatzungsmacht eingesetzter König über vier Provinzen, ein Schlaufuchs und Kollaborateur, skrupellos in seinen Machtgelüsten, ängstlich auf seine Reputation bedacht. Aber immerhin, die Männer aus dem Morgenland achteten das Protokoll. Sie sprachen also zuerst bei Herodes vor -und der witterte mit despotischem Instinkt sogleich, daß mit einem neugeborenen König der Juden Gefahr für seinen wackligen Thron drohen könnte. Er heuchelte Interesse und rüstete hinterrücks seine Sodalteska zu dem Spezialauftrag, in Bethlehem den Jungkönig auf alle Fälle einschließlich aller Knaben bis zu zwei Jahren hinzumeucheln. Ich habe als einziger Evangelist diese Grausamkeit nicht ^unterschlagen. Das ist die Kehrseite des Halleluja. rätselhaftes verhalten

Über das Verhalten von Josche, dem besorgten aber nicht natürlichen Vater, sollte nachgedacht werden. Ein Engel hat ihn rechtzeitig informiert, er konnte mit Mirjam und dem Kind flüchten. Erwischt hat es, wie oft in der Weltgeschichte, die Falschen und Unschuldigen.

Aber warum hat Josche die anderen Familien in Bethlehem nicht gewarnt? Man hätte die Kinder verstecken oder mit ihnen flüchten können. Warum war er so unsolidarisch, und nur darauf bedacht, die eigene Haut zu retten? Wollte er durch sein Schweigen, wo sein Reden lebensrettend für die Kinder gewesen wäre, den Bethlehemiten ihre Quartierverweigerung heimzahlen? Ich weiß es nicht.

Protestieren muß ich dagegen, daß ich bloß das Muster der Bettung eines Wunderknaben vor Mördernand aus den damals im Umlauf befindlichen Götter- und Heldengeschichten übernommen habe. Das hat unser Rabbi nicht nötig. Und das ginge gegen meine Beamtenehre und Berichtspflicht. Der zynische Mord an den Kindern von Bethlehem konnte nicht vergessen sein, als unser Babbi später öffentlich auftrat. Warum hat inn nie jemand danach gefragt? Hängt der Stimmungsurnschwung in Jerusalem vom Hosanna zum Buf nach der Hinrichtung am Kreuz, vielleicht mit dem Bekanntwerden dieser verdrängten Vergangenheit zusammen?

Ich weiß es nicht. Ich richte nicht. Ich stehe zu meinem Bericht, der die Weihnachtsidylle stört, weil die Gewissensfragen der schuldigen Unschuld, weil hier Gottes abgewandtes Antlitz über alle Epochen ahnbar wird. Ich bezeuge es, so wahr ich Levi heiße, so wahr ich von unserem Babbi als Matthäus berufen wurde.

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