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Weinskandal: Viele Väter

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Wie eine Naturkatastrophe ist der Glykol-Wein über Österreich hereingebrochen - scheint's zumindest. Tatsächlich sind die Panscher auch Ergebnis von Strukturfehlern.

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Wie eine Naturkatastrophe ist der Glykol-Wein über Österreich hereingebrochen - scheint's zumindest. Tatsächlich sind die Panscher auch Ergebnis von Strukturfehlern.

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Wer ist schuld am Weinskandal? Für Viktor Kattinger, Edel-heurigen-Gastronom in Salmannsdorf, ist die Antwort klar: Österreich in seiner gesamten weinwirtschaftlichen und steuertechnischen Struktur. (Wasdiein-dividuelle Schuld der einzelnen Weinpanscher keineswegs negieren soll.)

Österreich hält ein Prozent der Weltweinbaufläche — doppelt so viel wie vor 20 Jahren -, mit 165 Sonnentagen pro Jahr im langjährigen Durchschnitt, also mit ausgezeichneten Bedingungen.

Die Weinbauern können jedoch nur über Masse zu ihrem Einkommen kommen — und das Menge-Güte-Gesetz ist nicht auszuschalten: Je mehr pro Hektar produziert wird, desto schlechter wird die Qualität.

Unter 16 „Grad Klosterneuburg” — ein Grad Klosterneuburg entspricht einem Kilo Zuckeran-teü pro 100 Kilo Flüssigkeit im Wein - ist kein guter Trinkwein zu erzielen. Aber nur zehn bis 15 Prozent der Gesamternte erreichen diese Marke.

Zur Abhilfe darf Zucker beigegeben werden, um höhere Alkoholgrade zu erreichen. Konservierungsmaßnahmen sind unerläßlich. Was hierfür verwendet werden darf, ist genau aufgezählt — alles andere ist verboten. Glyzerin, das früher gerne beigemixt wurde - übrigens seit je auch in deutschen Weinen — ebenso wie das nun aktuelle „Frostschutzmittel” Diäthylenglykol.

Die Versuchung ist groß, der Natur nachzuhelfen.

Der Handel, die Großmärkte, nehmen die Uberproduktion ab, weil sie Wein neben Mineralwasser und Schnitten als Lockangebote verwenden — zu Preisen, die dem seriösen Winzer die Produktionskosten nie decken können.

Für Kattinger ist das, was dort ausgestellt wird, kein Wein mehr, sondern „wäßrige Alkohollösung”. Aber mit Glykol kann man minderwertigen Wein in „höherwertigen” verwandeln...

Gepanscht wird seit je. Der Witz vom alten Weinbauern, der auf dem Totenbett seinem Sohn das große Geheimnis anvertraut, man könne Wein auch aus Trauben herstellen, gehört zum Standardrepertoire der Branche. Solange die Weinpreise hoch sind, wird der echte durch „Kunstwein” aus der Retorte gestreckt. Heute wird mit Glykol aus Massenverschnitt „Eiswein” gezaubert. Und mit den

Prädikaten wird schwunghafter Handel getrieben. Und so ist praktisch jeder betroffen, der irgendwo mit im Netz steckt: Wenn ein panschender Winzer oder Großhändler seine „Frostschutzperle” weitergibt und sie in den großen Tank eingeht, finden sich die Glykolspu-ren schließlich in Produkten von Winzern und Händlern, die selbst nichts mit der Panscherei zu tun haben.

Daß gepanscht wurde, wußte jeder — ebenso wie vom Glyzerin in deutschen Weinen und von der statistisch nachweisbaren Quantitätsvermehrung der italienischen durch Wasser. Aber niemand griff ein.

Tausende Verbindungen, mit denen „verbessert” werden kann, sind bekannt — wonach sollen die

Kontrollore suchen? Die Panscher haben die „besseren” Chemiker. Für den „grauen Markt” der Panscher und Steuerbetrüger gibt es zu wenig Prüfer.

Apropos Steuer - hier liegt ein weiterer Punkt der Mitschuld, diesmal des Staates, der die Weinwirtschaft bestraft, statt ihr zu helfen, den ihr möglichen Qualitätspegel auch tatsächlich zu erreichen. Und die Weinwirtschaft selbst tut nichts dazu, den Weintrinker zu besseren Qualitäten hinzuführen, ihn zum Weinkenner zu machen, sein „Weinbewußtsein” zu wecken.

In Berlin, wohin Kattinger Monat für Monat einen Großteil seiner eigenen Produktion liefert -er war auch der erste, der unmittelbar nach Verhängung der ersten Sperrmaßnahmen für seine Weine die Freigabe erreichen konnte -, in Berlin also liegen 14 Prozent Mehrwertsteuer auf dem Wein. In Österreich muß der Gastronom schließlich 45 Prozent des Endpreises an den Staat abführen. Wieder ein Anlaß zur Versuchung: Billigere Weine sollen die Gesamtkosten senken, Weine vom „grauen Markt” die Steuern sparen.

Versuchung ist groß

Aber nun ist die Kuh aus dem Stall, Österreichs Ruf als Weinexportland auf lange Sicht ruiniert.

Wie ihn wiederherstellen? Zunächst durch ein Weingesetz, das das strengste in Europa sein müßte, meint Kattinger. Österreich könnte beste Weine produzieren, könnte zum Speziallieferanten Europas werden. Oft genug werden ja auch heute bereits bei Prämierungen Spitzenqualitäten ausgezeichnet.

Dazu müßte aber die Steuer neutral, nicht wertabhängig sein: Ein bestimmter Satz pro Liter -ob es sich um Massen- oder Qualitätswein handelt.

Parallel dazu müßte eine breite Qualitätswerbung um den Konsumenten einsetzen; sie müßte ihm den Wein zur Delikatesse machen, für den er auch einen entsprechenden Preis zu zahlen bereit ist. Das könnte den Bauern den Zwang ersparen, Massenerträge zu erzielen - und den Panschern den Anreiz, künstlich zu „verbessern”.

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