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Österreich ist mit den Gemeinschaften durch zwei Freihandelsabkommen (EWG, EGKS) verbunden. Beide Vertragspartner haben sich — wie im übrigen auch die Mehrzahl der anderen EFTA-Staaten — in der bei Abschluß der Verträge gegebenen handelspolitischen und auch politischen Situation bewußt für die Freihandelszone entschieden. Das bedeutet, daß der Warenfreiverkehr im industriell-gewerblichen Sektor verwirklicht wurde, es heißt, daß der Warenaustausch zollfrei und frei von jeglichen mengenmäßigen Beschränkungen erfolgt. Darüber hinaus enthalten die Freihandelsabkommen auch Bestimmungen über andere Bereiche, wie etwa staatliche Beihilfen, Wettbewerbsregeln und Dumping. Schließlich sieht eine Evolutivklausel die Weiterentwicklung der Beziehungen vor.

Der Agrarsektor ist bekanntlich vom Freihandelsabkommen

grundsätzlich nicht erfaßt. Der sogenannte Agrarbriefwechsel enthält nur einige punktuelle Konzessionen. Daneben bestehen Sondervereinbarungen, wie etwa das Käse- oder Qualitätsweinabkommen.

Die Freihandelsabkommen stellen demnach noch immer den aktuellen vertraglichen Rahmen für das Verhältnis zu den Gemeinschaften dar. Es ist daher eine wesentliche Aufgabe, zunächst für das gute Funktionieren dieser Abkommen zu sorgen und alle in ihnen enthaltenen Möglichkeiten der Verbesserung unserer Beziehungen zu den EG voll auszuschöpfen. Solche Möglichkeiten bestehen etwa im Bereich der Ursprungsregeln, aber auch im Agrarbereich.

Obwohl die Freihandelsabkommen bereits einen hohen Integrationsgrad gewährleisten, kann kein Zweifel daran bestehen, daß sich die handelspolitische und auch politische Umwelt seit ihrem Abschluß geändert hat. Alle EG-und EFTA-Staaten sind sich darin einig, daß es nicht das Endziel sein kann, die bestehenden Freihandelsvereinbarungen zu administrieren. Es besteht vielmehr die einhellige Uberzeugung, daß die Zusammenarbeit im westeuropäischen Integrationsraum über die Freihandelsabkommen hinaus intensiviert, gestärkt und dynamisiert werden soll. Keine absolute Klarheit besteht hingegen über das Wie einer solchen Verdichtung des Verhältnisses.

Ein möglicher Weg wurde mit der sogenannten Luxemburger Erklärung aufgezeigt, die anläßlich einer gemeinsamen Ministertagung aller EG- und EFTA-Staaten im April 1984 verabschiedet wurde. Darin ist eine breite Palette möglicher und erwünschter Kooperationsbereiche aufgezählt, und zwar insbesondere Harmonisierung der Normen, Beseitigung technischer Hemmnisse, Vereinfachung der Grenzabfertigung und der Ursprungsregeln, Beseitigung unlauterer Handelspraktiken und der den Freihandelsabkommen zuwiderlaufenden staatlichen Hilfen, Zugang zu öffentlichen Aufträgen, Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung, Verkehr, Umweltschutz und so weiter.

Die Bedeutung der Luxemburger Erklärung - an deren Zustandekommen im übrigen Österreich erheblichen Anteil hatte — sollte

nicht unterschätzt werden. Sie enthält nicht nur wesentliche Orientierungen zur Fortsetzung, Verbesserung und Ausdehnung der Zusammenarbeit zwischen den EG- und EFTA-Staaten, sondern anerkennt auch expressis verbis die besondere Qualität der Beziehungen zwischen diesen Staaten.

Die Erklärung hat bisher auch nicht das Schicksal anderer feierlicher Deklarationen erlitten: Sie ist kein inhaltsleeres Papier geblieben. Es wurde vielmehr ein institutioneller Rahmen geschaffen, in dem die EG- und EFTA-Staaten intensiv bemüht sind, ihre Ziele schrittweise zu verwirklichen. Die dabei erzielten Erfolge sind gewiß nicht spektakulär. Erste positive Entwicklungen—etwa hinsichtlich der Verbesserung und Vereinfachung der Ursprungsregeln, der Vereinfachung der Grenzdokumente, im Bereich der Normen und technischen Vorschriften oder auf dem Gebiete der Forschung und Entwicklung — sind j edoch festzustellen.

Eine zusätzliche Bedeutung und besondere Dimension erhalten diese Bestrebungen durch die Binnenmarktsituation in den Europäischen Gemeinschaften. Die EG-Staaten haben die Notwendigkeit erkannt, die bestehenden innergemeinschaftlichen Hemmnisse abzuschaffen, die Harmonisierung in den verschiedensten Bereichen rasch voranzutreiben und bestehende Rechtsvorschriften und Steuerstrukturen anzugleichen.

Um dieses Ziel zu verwirklichen, hat die EG-Kommission in ihrem „Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes“ insgesamt 300 konkrete Maßnahmen aufgelistet, die bis 1992 verwirklicht

„Maßnahmen zwischen EG und EFTA harmonisieren“

werden sollen. Der Bogen reicht von der Beseitigung der innergemeinschaftlichen Waren- und Personenkontrolle über die Beseitigung technischer Handelshemmnisse, Maßnahmen im Bereiche des öffentlichen Auftragswesens, die Freizügigkeit bis zur Beseitigung der Steuerschranken.

Dieses ambitiöse Programm wird — selbst wenn es nicht im vorgesehenen Zeitrahmen zur Gänze verwirklicht werden kann — ohne Zweifel erhebliche Auswirkungen auch auf alle Nicht-EG-Staaten haben. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, daß die Diskussion über eine Neugestaltung des Verhältnisses zu den Gemeinschaften gerade jetzt mit solcher Vehemenz geführt wird.

Man vergißt hiebei jedoch, daß es sich bei dieser Entwicklung nicht um ein absolut neues Phänomen handelt: Die Europäischen Gemeinschaften haben schon seit Jahren in vielen Bereichen einen außerordentlich hohen Integrationsgrad erreicht, sodaß die durch die Binnenmarktinitiativen befürchtete Außenseiterposition der Drittstaaten teilweise schon jetzt besteht.

Es erschiene daher sinnvoll, die im Weißbuch vorgeschlagenen Maßnahmen emotionslos, dafür aber sorgfältig hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen auf Österreich zu analysieren. Es wird hiebei Bereiche geben, in denen die Beziehungen Österreichs zu den Gemeinschaften kaum beeinflußt oder eine Änderung er-

fahren werden. Einige der Maßnahmen können sich ohne Zutun der Drittstaaten sogar durchaus zu deren Vorteil auswirken. In anderen Bereichen wieder wird es zweifellos zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Nicht-EG-Länder kommen.

Danach sollten unverzüglich Verhandlungen aufgenommen beziehungsweise intensiviert werden, um eine Auseinanderentwicklung in rechtlicher und faktischer Hinsicht zu vermeiden, wobei eine Parallelität zwischen den innergemeinschaftlichen und den zwischen den EG- und EFTA-Staaten zu vereinbarenden Maßnahmen angestrebt werden müßte. Dies gilt im übrigen auch für eine Fülle von Aktivitäten, die vom Weißbuch gar nicht erfaßt sind (etwa im Bereich der Forschung und Entwicklung).

In diesem Verdichtungsprozeß ist realistischerweise davon auszugehen, .daß jede Seite vorzugweise jene Bereiche in die Verhandlungen einbringen wird, in denen sie konkrete Interessen hat. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Interessenlage werden sich daher die Verhandlungen gewiß sehr schwierig gestalten.

Der Autor ist Leiter der Abteilung für multilaterale Handelspolitik der Bundeswirtschaftskammer in Wien.

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