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Weiße Kirschen für Bruno Kreisky

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Unbestritten ist, daß Bruno Kreisky nachhaltig Österreichs Außenpolitik beeinflußt hat. Wie nachhaltig? Das faßt ein soeben erschienenes Buch zusammen - in Beiträgen von unterschiedlicher Qualität

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Unbestritten ist, daß Bruno Kreisky nachhaltig Österreichs Außenpolitik beeinflußt hat. Wie nachhaltig? Das faßt ein soeben erschienenes Buch zusammen - in Beiträgen von unterschiedlicher Qualität

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Österreichs Sozialdemokratie hat auch in der Ersten Republik über weltpolitisch versierte Repräsentanten verfügt. Einer von ihnen war Karl Renner, erster Staatskanzler der Republik und nach dem Rücktritt des sozialdemokratischen Parteiführers Otto Bauer als Staatssekretär für Äußeres (25. Juli 1919) auch Außenminister.

Schon in einer großen Rede 1910 forderte er einen Verzicht auf jede Großmachtpolitik: „Wir wollen und sollen nichts anderes sein als ein bescheidener Mittelstaat, neutral nach allen Richtungen..."

Bereits damals also fiel das Wort „neutral". Auch der letzte kaiserlich-österreichische Ministerpräsident Heinrich Lammasch empfahl 1918 eine dauernde Neutralität nach Schweizer Muster. Gleiches tat der sozialdemokratische Abgeordnetenklub im März 1933.

Renner, der auch der erste Kanzler der Zweiten Republik wurde, wiederholte 1946 und 1947 die auch ins SPÖ-Arbeitspro-gramm übernommene Forderung, Österreich solle „frei und neutral" sein.

Bei den Staatsvertragsverhandlungen in Moskau im April 1955 mußte Staatssekretär Bruno Kreisky seinen Parteichef, Vizekanzler Adolf Schärf, der die Formel „Paktfreiheit und Stützpunktverbot" bevorzugte, freilich „sachte beraten", daß er sich doch mit der Erklärung von ÖVP-Bun-deskanzler Julius Raab zugunsten immerwährender Neutralität identifizierte (FURCHE Nr. 49).

Einen wirklich hervorragenden, weil wissenschaftlich fundierten Uberblick über das Thema Sozialdemokratie und Außenpolitik bietet der Völkerrechtler Stephan Verosta in dem eben erschienenen Sammelband „Die Ära Kreisky".

Er verhehlt darin auch nicht, daß die Sozialdemokraten nach ihrem Ausscheiden aus der Koalition (22. Oktober 1920) „für die Außenpolitik Unverständnis" zeigten: „Der Klassenkampf der Sozialdemokraten gegen die .bürgerlichen Staatsparteien' nahm kaum Rücksicht auf den Staat, auf die Republik Österreich."

So viel Mut zu historischer Unbestechlichkeit bringen leider hur wenige der zehn Autoren des von Kreiskys Parteifreund Hans Thalberg herausgegebenen Sammelbandes auf: vor allem noch Heinrich Haymerle, der die Beziehungen Österreichs zur Sowjetunion in der Ära Kreisky analysiert.

Er erinnert dankenswerterweise an das sowjetische Koexistenzkonzept (politischer, wirtschaftlicher und ideologischer Kampf mit allen Mitteln außer Krieg) und an die auch von Kreisky vertretene These, daß die Entspannungspolitik „die Folge der Tatsache eines militärischen Gleichgewichtszustandes ist" (und also nur bei dessen Vorhandensein sinnvoll gepflegt werden kann).

Bei der ersten Abstimmung (auch das im Haymerlc-Kapitel) in der UN-Generalversammlung, an der Österreich teilnahm, ging es um die Verurteilung der UdSSR-Militärintervention in Ungarn 1956 und Moskau wollte Wien zur Stimmenthaltung bewegen - vergeblich, denn Österreich stimmte für die Verurteilung der Intervention.

Denkt man an das Abstimmungsverhalten Österreichs seither, muß man die Courage der jungen neutralen Republik jener Raab-Jahre doppelt bewundern.

Daß Kurt Waldheim in seinem Beitrag über die Vereinten Nationen und Österreich darauf nicht kritisch zu sprechen kommt, versteht man. Freilich galt es, auch in den zwei Jahren der Sicherheitsratsmitgliedschaft (1973/74) delikate Probleme zu meistern: Nahostkrieg, Zypernkrise und Konflikte im südlichen Afrika.

Waldheim würdigt mit Recht Kreiskys Beiträge zu den Südtirol-Verhandlungen, verschweigt aber zu Unrecht, daß die SPÖ zuletzt im Parlament gegen die „Pa-ket"-Lösung stimmte.

Mit Ausnahme von Lujo Toncic-Sorinj schreiben alle einstigen Außenminister, die noch leben, in diesem Buch. Rudolf Kirchschläger bietet eine korrekte Darstellung der Integrationspolitik gegenüber EWG und EFTA und bekennt, daß die Neutralitätskonzeption und die Konkordatsregelung „die Grundlage für das persönliche und sachliche Nahverhältnis zwischen Bruno Kreisky und mir wurde".

Erich Bielka-Karltreu (warum nicht der volle Name im Autorenverzeichnis?) schildert nüchtern Österreichs Politik gegenüber den kommunistischen Nachbarn. Karl Gruber würdigt Kreiskys mäßigendes Einwirken in der Sozialistischen Internationale auf deren Amerika-Fresser.

Peter Jankowitsch rühmt Kreiskys Aufgeschlossenheit gegenüber der Dritten Welt, ohne zu erklären, warum er sich mit dem „neuen Marshall-Plan" nicht durchsetzt (und nicht einmal in der Entwicklungshilfepolitik).

Hans Thalberg beschreibt die unbestreitbaren Verdienste Kreiskys in der Nahostpolitik. Aber alle Peinlichkeiten diverser Äußerungen zu diesem Thema werden halt verschwiegen, der Gaddafi-Besuch auch. Hier rückt Paul Lendvai einiges in seinem Beitrag über den „Kreisky-Effekt in den internationalen Medien" zurecht.

Die Russen ließen für Kreisky in Moskau besonders viele der von ihm geliebten großen, weißen Kirschen auffahren, verrät Heinrich Haymerle. Die größten weißen Kirschen dieses Buches offeriert der sonst so kritisch begabte Ingo Mussi mit seinen Betrachtungen über Kreiskys „schöpferischen Dialog" mit den USA.

Trotzdem wird das Buch ein unentbehrliches Nachschlagewerk sein.

DIE ÄRA KREISKY (Schwerpunkte der österr. Außenpolitik). Europaverlag, Wien 1982. 352 Seiten, Pb.. öS 268,-.

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