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Weiße Raben und Paradiesvögel

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Es gab unter ihnen Monarchisten und Republikaner, österreichische Patrioten und Befürworter eines Anschlusses an Deutschland (freilich nicht immer eines Anschlusses an ein nationalsozialistisches Deutschland). Es gab unter ihnen Antisemiten (in erster Linie aus wirtschaftlichen und religiösen, seltener aus rassischen Gründen) und emsige Brückenbauer zum Judentum und glühende Gegner jeglichen Rassenwahns. Nein, Österreichs katholische Journalisten waren schon in den dreißiger Jahren keineswegs eine homogene Gruppe.

Fritz Hausjell, Lehrbeauftragter an den Publizistikinstituten in Wien und Salzburg, stellte fest, daß von 172 Journalisten, die in den Jahren 1933 bis 1938 untertauchen oder emigrieren mußten (ein Viertel davon kehrte bald nach dem Krieg wieder zurück), relativ wenige katholische Journalisten waren. Dagegen verließen schon ab 1933 viele jüdische, sozialdemokratische oder kommunistische Publizisten das Land.

Von katholischer Seite kritisierte beispielsweise Ernst Karl Winter den Regierungskurs von Engelbert Dollfuß als „durch einen Staatsstreich eingeleitete Kette von Verfassungsbrüchen“, worauf Dollfuß die von Winter herausgegebenen „Wiener politischen Blätter“ konfiszieren ließ.

Gegenüber dem Nationalsozialismus gab es zwiespältige Haltungen, die zum Teil sehr praktische Gründe hatten/Joseph Eber-le, für den Salzburger Publizistik-Ordinarius Michael Schmolke „in gewisser Weise ein Paradiesvogel unter den katholischen Journalisten, von den Nationalsozialisten ebenso gehaßt wie einkalkuliert“, ist dafür ein Beispiel.

Die von ihm 1925 gegründete Zeitschrift „Schönere Zukunft“ hatte ihr Hauptverbreitungsgebiet bald in Deutschland. „Die Rücksichtnahme auf die deutschen Leser und die Uberzeugung, daß eine Zusammenarbeit zwischen Kirche und Nationalsozialismus möglich sei, verhinderten aber eine entschiedene antinationalsozialistische Haltung“, schrieb Barbara Hofer, Disser-tantin über Eberle am Salzburger Publizistik-Institut, in der Zeitschrift „multimedia“ (25/1987) zum Auftakt einer hochinteressanten Serie „Katholische Journalisten der Ersten Republik“.

Hinzu kam, daß Eberle in manchen Punkten mit Forderungen der Nationalsozialisten übereinstimmte, etwa: „Beseitigung der zügellosen Pressefreiheit, starke Regierungsautorität, Beseitigung der übergroßen Macht des Judentums in Geistesleben und Wirtschaft“. Nicht nur mit dem Slogan „Christen, kauft bei Christen!“, auch mit diesen Forderungen ar„Der Nazispiegel“ (FURCHE 4/ 1988), übrigens von dem jüngst von Franz Lugmayer wieder in Erinnerung gerufenen Franziskanerpater Cyrill Fischer (FURCHE 7/1988) beeinflußt, unter dem Pseudonym Thomas Murner publizierte, rettete ihm vermutlich das Leben. Zu Missongs Glück blieb den Nazis auch verborgen, daß er in Briefen an den Vatikan eine „Exkommunikation des Nationalsozialismus“, wie es sein Sohn formuliert, gefordert hatte. beitete Eberle ungewollt der NS-Propaganda in die Hände.

War es da ein Wunder, daß ein Mann wie Alfred Missong (FURCHE 4/1988) sich als Mitarbeiter der „Schöneren Zukunft“ ausbat, nicht seiner Grundhaltung entsprechende Beiträge unter Pseudonym zu veröffentlichen? Das hatte, wie sein Sohn, Alfred Missong, sich erinnert, zur Folge, daß zwischen 1934 und 1938 nur 13 Missong-Artikel unter dem wahren Autorennamen, aber 88 unter Pseudonym erschienen. Daß Missong sein schon 1932 geschriebenes prophetisches Buch

Mit Glück entkam auch Irene Harand, eine engagierte Publizistin und Nazi-Gegnerin. Sie war im März 1938 in England.

Für Eberle kam das Erwachen später. 1941 wurde dieser auf seine Weise sicher sehr eifrige katholische Journalist „wegen Zersetzung der Erziehungsarbeit des Führers“ verhaftet, die „Schönere Zukunft“ eingestellt. Nach achtmonatiger Haft wurde er, schwer erkrankt, freigelassen. Er starb 1947 in Salzburg.

Nach dem Anschluß, und das erklärt auch, warum nur wenige katholische Journalisten ins Exil gingen, brach die katholische Medienlandschaft keineswegs sofort zusammen. Das wäre auch, meint Fritz Hausjell, nicht im Interesse der neuen Machthaber gelegen, die schockartige Veränderungen vermeiden wollten.

„Reichsposf'-Chefredakteur Friedrich Funder kam freilich bei erster Gelegenheit ins Konzentrationslager, und er war nicht der einzige. Nach und nach wurden ganze Redaktionen ausgewechselt, Eigentumsverhältnisse verändert, auflagenstarke katholische Medien wie die „Kleine Zeitung“ machten plötzlich NS-Pro-paganda.

„Da mußten erst die Nazi kommen, um uns zu zeigen, wie man eine auflagenstarke Zeitung politisch nützt“, zieht der heutige „Kleine Zeitung“-Chefredakteur Fritz Csoklich daraus die Lehre. Er sieht es als historischen Augenblick an, daß Ende Februar 1988 im Wiener Europahaus „nach 50 Jahren endlich Vertreter beider Richtungen der katholischen Publizistik von damals an einem Tisch sitzen“.

Gemeint ist damit die kompromißlose Anti-NS-Richtung eines Alfred Missong, für den sein Sohn anwesend ist, und die Linie eines Anton Böhm, der 1938 der NSDAP beitrat, die ,3eichspost“ mit der es wirtschaftlich rapid bergab ging, weiterführte (bis sie beim allgemeinen Zeitungssterben im Herbst eingestellt wurde) und einen „modus vivendi“ mit den Machthabern suchte.

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