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Weißes Haus oder Kongreß

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Das Erstaunlichste an der neuen Wirtschaftspolitik der amerikanischen Regierung ist der 180gradige Wechsel, der ohne Vorwarnung eingeschlagen wurde. Der Präsident nannte diese totale Kehrtwendung von der Inflationsbekämpfung zur aktiven Wirtschaftsankurbelung ironisch 179gradig, und gab damit zu, daß es ihm nicht leicht gefallen ist, in knapp drei Monaten das Gegenteil von dem in der State-of-the-Union-Botschaft vom neuen Kongreß zu verlangen, was er im Oktober gepredigt hatte. Aber die Wirtschaftsberater des Präsidenten geben in ebenso entwaffnend offenem Stil wie ihr Chef zu, daß sie mit einem so radikalen Verfall der amerikanischen Wirtschaft, wie er zwischen Oktober und jetzt eingetreten ist, nicht gerechnet hatten und daß die Priorität heute klar auf Seiten der Verhinderung größerer rezes- sionärer Schäden liegt, und nicht bei weiterer Inflationsbekämpfung.

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Das Erstaunlichste an der neuen Wirtschaftspolitik der amerikanischen Regierung ist der 180gradige Wechsel, der ohne Vorwarnung eingeschlagen wurde. Der Präsident nannte diese totale Kehrtwendung von der Inflationsbekämpfung zur aktiven Wirtschaftsankurbelung ironisch 179gradig, und gab damit zu, daß es ihm nicht leicht gefallen ist, in knapp drei Monaten das Gegenteil von dem in der State-of-the-Union-Botschaft vom neuen Kongreß zu verlangen, was er im Oktober gepredigt hatte. Aber die Wirtschaftsberater des Präsidenten geben in ebenso entwaffnend offenem Stil wie ihr Chef zu, daß sie mit einem so radikalen Verfall der amerikanischen Wirtschaft, wie er zwischen Oktober und jetzt eingetreten ist, nicht gerechnet hatten und daß die Priorität heute klar auf Seiten der Verhinderung größerer rezes- sionärer Schäden liegt, und nicht bei weiterer Inflationsbekämpfung.

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Für so konservative Marktpolitiker wie es die heutigen Wirtschaftsberater sind, mag es ein geringer Trost sein, daß sich die ersten Erfolge im Kampf gegen die Inflation im gleichen Augenblick ankündigten, in dem der Präsident Steuerbar-Rückzahlungen für 1974, Steuerreduktionen für die beiden nächsten Jahre, Investitionsbegünstigung für die Wirtschaft und ein neues radikales Energiekonzept vortrug. Zum ersten Mal seit 14 Monaten war der Index für Großhandelspreise im Dezember gefallen nachdem er, vor al* lern im Oktober und November, noch steil angestiegen war.

Bedeutet dieses neue Programm steuerlicher Konjunkturspritzen nun tatsächlich eine Abkehr von der Erkenntnis, daß am Boden aller wirtschaftlichen Unbill die Inflation liegt? Die Autoren der neuen Initiativen verneinen das. Sie glauben, daß die Wirtschaftsbelebung so langsam vor sich gehen wird, daß die deflationären Einflüsse noch lange — manche meinen zwei Jahre lang — anhalten werden, bevor wieder eine Überhitzungsgefahr eintreten kann. Inzwischen müßte die zur Zeit über 7 Prozent liegende Arbeitslosenrate zurückgehen und müßte das in die Hände des Publikums gelegte Geld neue Arbeitsplätze schaffen.

Durch all dieses konditionelle „Müßte” oder „Sollte” klingt jedoch die Unsicherheit der Experten durch, ob die Wirtschaft nun tatsächlich den erwünschten Kurs einschlagen wird: Brachte bereits der Oktober Überraschungen, so sind die Experten auch jetzt keineswegs sicher, daß sie recht behalten werden…Eine große Frage ist es, wie der Konsument die Steuervergünstigung verwenden wird. Ob dieser Steuerrabatt ein echter ist, oder ob die Regierung nicht eigentlich wegnimmt, was sie soeben gegeben hat Denn um den Energiekonsum zu drosseln, wird ab sofort — und dazu bedarf es keiner Genehmigung durch den Kongreß — ein erheblicher Zoll auf importierte, und eine Steuer auf in den Staaten geförderte Ölprodukte gelegt. Das Resultat? Benzin und Heizöl werden um 15 Prozent teurer, die Importe aus dem Ausland, bis aus dem Nahen Osten, werden ab sofort um eine Milliarde Barrels pro Tag, noch 1975 um zwei Milliarden Barrels reduziert Die amerikanische Zahlungsbilanz wird sich dadurch um 1 Milliarde pro anno verbessern. Die Energiepreise werden auf einem sehr hohen Niveau stabilisiert, um neue Erschließungen rentabel zu machen und um sie überhaupt zu ermöglichen.

Werden die Amerikaner nun tat- sächllich weniger Autofahren, oder wird die Steuervergünstigung im wesentlichen von höheren Benzinpreisen und Heizkosten absorbiert werden? Werden die 30 Milliarden Dollar, die die Regierung durch Energiebesteuerung und Verzollung einnimmt tatsächlich in die Konjunkturbelebung dirigiert werden? Oder, anders ausgedrückt: läßt sich Konjunkturpolitik mit dem neuen Energiekonzept überhaupt junktimieren?

Nuri zu dem Energiekonzept: seine Pfeiler sind Verbrauchsreduzierung und Erschließung neuer Quellen: Neues öl aus Alaska, und Kalifornien, verbesserte Kohlenverwertung und Bau neuer Kernkraftwerke. Bis 1985 soll Amerika energieunabhängig sein, noch 1985 sogar Überschüsse zum Export an Alliierte zur Verfügung stellen. Nicht Rationierung, sondern der Preismechanismus soll die Reduzierung des Verbrauches herbeiführen. Außerdem noch staatliche Zuschüsse zur Abdichtung der Wohnhäuser und zur Verminderung des Heizölkonsums. Diese wenigen Schlagworte enthalten Welten von Problemen und Gegensätzen. Zunächst einmal wird der von Demokraten beherrschte Kongreß dem Prinzip der hohen Energiepreise den Kampf ansagen. Und welch stärkeres Argument gibt es hier, als die Drohung mit neuen inflationären Auftrieben durch erhöhte Energiekosten?

Und ist eine solche Politik hoher Energiepreise nicht Wasser auf die Mühlen der Araber, die nun sagen: Der Ölpreis ist offenbar noch immer nicht hoch genug, wenn die amerikanische Regierung dem Konsumenten eine 15prozentige Erhöhung zumutet —? Daß diese Erhöhung zu Lasten des einzelnen geht, damit er seine wirtschaftliche Unabhängigkeit bis 1985 wiedergewinnen kann, wird nicht vielen einleuchten. Regierungskommentatoren haben auch zugegeben, daß die Energiekosten fünf Jahre lang hoch bleiben werden. Dann sollen sie, bei unveränderten Preisen, verglichen mit dem allgemeinen Preisniveau, relatv billiger werden.

Die Chancen, daß der Kongreß schließlich dieses Energiekonzept annimmt, sind eigentlich nur dadurch gegeben, daß er sich kaum auf ein anderes Programm wird einigen können. Trotz erheblicher demokratischer Mehrheit, sind die Auffassungen in der Mehrheitspartei so verschieden, daß eher mit einer Verwässerung und mit Abänderungen des Regierungsprogramms zu rechnen ist, als mit einer Einigung auf ein völliges neues Konzept. Überdies hat der Präsident jetzt taktisch mit seinem Programm eine Führerrolle übernommen, während man ihm bisher jegliche Führerqualität abgesprochen hatte. Er hat vom Kongreß Entscheidungen innerhalb der nächsten 90 Tage gefordert und damit den Zwang, zu handeln und zu entscheiden, auf die Parlamentarier abgeschoben. Wenn der Präsident, in Zukunft, wie er das auch am Vorabend vor der State of the Union- Message getan hat, direkt an die Bevölkerung über Fernsehen und Radio herantritt, kann er auf den Kongreß erheblichen Druck zugunsten seines eigenen Programms ausüben.

Etwas Schützenhilfe haben ihm auch die Russen geleistet. Mit der Kündigung des vom Kongreß beschlossenen Handelsvertrages, der eine Junktimierung mit der Emigration von Juden aus der Sowjetunion enthält, wurden führenden demokratischen Parlamentariern ein schwerer politischer Schlag versetzt. Wenn jetzt Juden nicht mehr, wie in den beiden letzten Jahren, aus der Sowjetunion ausreisen dürfen, können die Senatoren Jackson (demokratischer Präsidentschaf tskanditat), Javits und Ribicoff (beides Anwälte einer Beschränkung der Handelsfreiheit des Präsidenten in außenpolitischen Angelegenheiten) dafür verantwortlich gemacht werden. Sie waren es vor allem, die laut und arrogant das Quidproquo Zollmeistbegünstigung gegen Emigration erzwungen hatten.

Am schwierigsten dürfte es werden, den Forderungen des Präsidenten nach Sparsamkeit im Regierungshaushalt zu entsprechen. Eine Limitierung auf 5 Prozent Gehaltserhöhung bei Staatsangestellten im heurigen Jahr als gutes Beispiel für den gesamten Lohnbereich, dürfte vom Kongreß am leichtesten durchlöchert werden.. Anderseits sind die gespenstischen Budgetdefizite und die Aussicht, daß in zehn Jahren das Budget 50 Prozent des Nationalproduktes verschlingen werde, so alarmierend, daß selbst ultraliberalen Wirtschaftspolitikern dieses Menetekel Eindruck machen müßte.

Die nächsten Wochen und Monate werden also ein gewaltiges Ringen um die Zukunft der USA und damit der freien Welt zwischen Weißem Haus und Kongreß erleben. In diesen Wochen werden die Weichen für eine längere Periode gestellt Präsident Ford hat diesmal auf jene gehört, die ihm immer gesagt haben, es sei nicht nur besser, sondern auch populärer, dem Wähler die ungeschminkte Wahrheit zu sagen und und sein Ausspruch: „Die Lage der Nation ist nicht günstig” dürfte ihm die Initiative in den kommenden Auseinandersetzungen gesichert haben. Es ist jedenfalls ein Beginn gesetzt worden; von jetzt an wird man genau beobachten müssen, ob die empfohlene Kur ihre Wirkung tut.

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