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Weit entfernt vom gelobten Land

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1947: Zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, zwei Jahre nach der jüdischen Katastrophe in Europa, ein Jahr vor der blutigen Entstehung des Staates Israel. In Europa irren noch Tausende Uberlebende der Konzentrationslager umher. Sie wollen nicht mehr dort leben, wo sie gelitten haben und wo ihre Angehörigen und Freunde ermordet wurden. Sie wollen „nach Hause“.

In dieser „Heimat“, in Palästina, toben verschiedene Kriege. Die jüdischen Untergrundverbände organisieren die illegale Einwanderung und verüben Anschläge gegen die britische koloniale Mandatsverwaltung. Mehrere Schiffe erleben das Schicksal der berühmt gewordenen „Exodus“: Sie werden von den Briten abgefangen. Flüchtlinge, die schon den Boden des „gelobten Landes“ betreten haben, werden deportiert, interniert.

Die palästinensisch-arabische Bevölkerung hegt die schlimmsten Befürchtungen. Noch kon-t trolliert sie mehr als 90 Prozent des Bodens. Noch stellt sie die überwiegende Mehrheit. Aber die „illegale“ jüdische Einwanderung nimmt ständig zu, und die Palästina-Araber befürchten, auf den Status einer Minderheit in ihrer eigenen Heimat herabgedrückt zu werden.

Sie reagieren mit Anschlägen, sie hoffen, die Juden vertreiben zu können oder zumindest die Einwanderung zu stoppen. Sie hoffen, auch die paramilitärischen, vorstaatlichen Strukturen der Zionisten zu zerstören. Diese reagieren mit anti-arabischen Aktionen, bei denen sich besonders die „Irgun“ Menachem Be-gins auszeichnet.

In dieser Situation unternahm das Führungsgremium der trotz-

kistischen Vierten Internationale eine Analyse der Lage. Richtlinien und Kampagnen wurden entwickelt, die es zur Lösung der Judenfrage - im Kontext eines antiimperialistischen, vor allem gegen die Briten gerichteten Kampfes -für notwendig erachtete.

Neben einigen Fehleinschätzungen — beispielsweise die Annahme, die zionistische Bewegung könne nicht in einen Widerspruch zum britischen Imperialismus geraten - sahen die Trotzkisten in der „besonders tragi-

sehen Situation der Juden“ ein „Symbol der Tragödie der gesamten Menschheit“.

In Europa gab es noch mehr als 100.000 jüdische heimatlose Uberlebende der Nazi-Lager. In Palästina lebten 700.000 Juden, die der britische Imperialismus und der arabische Feudalismus zu Sündenböcken für den Haß der unterdrückten arabischen Massen machen wollten. In der Sowjetunion grassierte ein latenter Antisemitismus, auch der amerikanischen bürgerlichen Gesellschaft wurde eine antisemitische Wende zugetraut. Und da konstatierten die Trotzkisten das Erwachen eines Nationalbewußtseins unter den jüdischen Massen in Amerika und Palästina und unter den Uberlebenden der KZs.

Natürlich schwebte den Trotzkisten eine Integration der jüdischen Emanzipationsbewegung in die Bewegung der Weltarbeiterklasse vor. Dem Zionismus sollte eine andere Lösung entgegengestellt werden, von revolutionärer Natur. Forderungen nach einer proletarischen Solida-

rität mit den Juden griffen nicht. Das erklärt auch den dominierenden Einfluß des Zionismus bei den jüdischen Massen.

Richtig sahen die Trotzkisten, daß sich die Zionisten der demokratischen Minimalforderung einer Konstituierenden Versammlung widersetzen würden, da sie in Palästina in einem solchen Gremium in der Minderheit gewesen wären. Auch die „linke-sten“ Zionisten unterstützten die Forderung nach allgemeinen Wahlen erst, als die Juden die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellten.

Vierzig Jahre sollen die Kinder Israels durch die Wüste gewandert sein, bevor sie das gelobte Land erreichten. Eine ganze Generation. Aber das gelobte Land ist heute weiter entfernt denn je. Vor 40 Jahren schien sich ein zwi-schen-gemeinschaftlicher Kampf unter britischem Mandat in einen zwischen-staatlichen Konflikt verwandelt zu haben. Zwei Jahrzehnte war nur vom israelischarabischen Konflikt die Rede.

Durch die israelische Okkupation des gesamten Mandatsgebietes 1967 nahm der Konflikt in gewisser Weise wieder seine ursprüngliche vor-staatliche Form an. Die Palästinenser wurden wieder zu historischen Akteuren. Dadurch stellen sie Struktur und Anspruch des israelischen Staates fundamental in Frage. Die israelischen Politiker sehnen sich zurück nach der Zeit, in der sie es nur mit den arabischen Staaten zu tun hatten.

Nur die Aufgabe monopolistischer Ansprüche auf das Land und die Bereitschaft zu einer wie immer gearteten gleichberechtigten Koexistenz mit den Palästinensern könnte einen Ausweg bieten.

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