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Weit entfernt von Glaubhaftigkeit
Mit seinem Buch „Österreicher - wer bist du?" will Gerhart Bruckmann zum Nachdenken anregen. Darin nimmt er -als „überzeugter Pazifist" - auch zur Landesverteidigung Stellung. Aber das Bundesheer abschaffen? Das wäre seiner Meinung nach „doppelt naiv".
Mit seinem Buch „Österreicher - wer bist du?" will Gerhart Bruckmann zum Nachdenken anregen. Darin nimmt er -als „überzeugter Pazifist" - auch zur Landesverteidigung Stellung. Aber das Bundesheer abschaffen? Das wäre seiner Meinung nach „doppelt naiv".
Unsere Bundesverfassungent hält ein ausdrückliches Bekenntnis zur Umfassenden Landesverteidigung (ULV). Die ULV dient dazu, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletztlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu wahren, „insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität" beizutragen. Kraft Verfassung gehören zur ULV die Militärische, die Geistige, die Zivile und die Wirtschaftliche Landesverteidigung.
Was die Militärische Landesverteidigung betrifft, so kann auf ihr erforderliches Ausmaß der von Gorbatschow geprägte Begriff der „vernünftigen Hinlänglichkeit" angewendet werden. Das Ausmaß muß ausreichen, um einen potentiellen Verletzer unserer Neutralität von dieser Verletzung abzuhalten, mit anderen Worten, sicherzustellen, daß der Verletzer seine operative Zielsetzung nur mit einem diesem Ziel nicht mehr entsprechenden Aufwand an Zeit oder Verlusten erreichen kann.
Kürzer gesagt: Die Militärische Landesverteidigung muß glaubhaft sein - so überzeugend, daß sie den potentiellen Verletzer der Neutralität von der Verletzung abhält. Eine glaubhafte Militärische Landesverteidigung erfordert daher nicht nur die Notwendigkeit, daß der neutrale Staat auch im Frieden angemessene Streitkräfte unterhält, sondern auch, daß diese Streitkräfte mit (der jeweiligen technologischen Entwicklung angepaßten) Verteidigungswaffen ausgerüstet sind. Um es ganz offen zu sagen: Die gegenwärtige Ausrüstung des Bundesheeres ist von Glaubhaftigkeit noch weit entfernt.
Der Zivilen Landesverteidigung kommt - laut Landesverteidigungsplan - „im Rahmen der Friedenssicherung neben dem Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Inneren sowie der Funktionsfähigkeit lebenswichtiger Einrichtungen des Staates der Gewährleistung des Schutzes der Bevölkerung gegenüber in Friedenszeiten möglichen Bedrohungen erhöhte Bedeutung zu". Damit obliegt die Zivile Landesverteidigung nicht nur dem Bundesheer, sondern bedarf - beispielsweise bei Katastrophen und Elementarereignissen außergewöhnlichen Umf anges - einer funktionierenden Zusammenarbeit mit der Exekutive und zivilen Organisationen (Rotes Kreuz, Feuerwehr). Diese Zusammenarbeit funktioniert im Katastrophenfall gut; was aber die Vorsorge betrifft, sind wir von einer geradezu sträflichen Leichtfertigkeit.
In der Schweiz stehen für rund 95 Prozent der Zivilbevölkerung Schutzraumbauten zur Verfügung, in Österreich nur für drei Prozent! Der Schutzraumbau fällt im wesentlichen in die Kompetenz der Länder; eigentlich sollte aber die Einrichtung von Selbstschutzzentren in allen Ortgemeinden Österreichs zum Ziel der Zivilen Landesverteidigung gemacht werden, wobei die Aufgabenbereiche der Selbstschutzzentren weit über die Bereitstellung von Schutzraum hinausgehen.
Auch hier wäre es falsch, mit untätig im Schoß gefalteten Händen nur auf das Walten einer Obrigkeit zu warten - von der Ausgestaltung der eigenen Kellerräume bis zu einer vernünftigen Bevorratung kann jeder sein Scherflein beitragen. Damit kommen wir zur Wirtschaftlichen LV, um die es nicht viel besser bestellt ist.
Zu Recht wird neben der Militärischen, Zivilen und Wirtschaftlichen Landesverteidigung auch die Geistige Landesverteidigung genannt. Die Verteidigung eines Landes, die Verteidigung einer Neutralität erfordert auch eine Verteidigungsbereitschaft.
Und diesbezüglich sind wir alle durch vierzig Jahre Frieden und Wohlfahrtsstaat reichlich verwöhnt. Wir sind nur gewohnt, in Rechten zu denken, nicht mehr in Pflichten; wir sind gewöhnt, vom Staat, von der „Gesellschaft", alles mögliche zu fordern, dafür aber immer weniger zu leisten.
Natürlich erwarten wir, daß im Notfall das Bundesheer voll da ist; aber es darf nichts kosten. Jede vorsorgende Maßnahme wird als „unnötig" oder „zu teuer" kritisiert; wenn aber dann ein Krisenfall eintritt, erwarten wir vom „ Staat", daß er zu dessen voller und klagloser Bewältigung imstande ist. Es bleibt also schöne Deklaration, wenn es im Landesverteidigungsplan heißt: „Im Bereich der Geistigen Landesverteidigung ist es die Aufgabe der politischen Bildung, zur Erhaltung und Vertiefung eines demokratischen Staatsbewußtseins beizutragen und die Identifizierung des Staatsbürgers mit der Republik Österreich letztlich mit dem Ziel zu fördern, eine Festigung und Steigerung des Selbstbehauptungswillens zu erzielen."
In diesem Zusammenhang muß in aller Offenheit festgehalten werden, daß dem Bundesheer selbst ein gerüttelt Maß an Mitschuld zukommt. Es sollte uns zu denken geben, daß der Prozentsatz der Präsenzdiener, die das Bundesheer als sinnvoll ansehen, nach der Ableistung der Wehrdienstzeit niedriger ist als vorher. Der junge Österreicher wird nur dann motiviert sein, seinem Vaterland mehr als ein halbes Jahr seines Lebens zur Verfügung zu stellen, wenn diese Zeit auch entsprechend genutzt wird. Ohne eine ziemlich radikale Umstellung des Alltagsbetriebes und der Ausbildungsprogramme wird der Gesinnungwandel nicht zu bewerkstelligen sein.
Wir dürfen nicht vergessen: Die jüngere Generation ist in einer (scheinbar) total friedlichen Umgebung aufgewachsen; die Zeit beim Bundesheer haben viele von ihnen überdies als sinnlos erlebt. Wir dürfen uns dann nicht wundern, wenn immer wieder lautstark die Meinung geäußert wird, eine Seite solle endlich einseitig voll abrüsten, dann werde die andere Seite auch folgen und der Weltfrieden sei ein- und für allemal hergestellt; gerade Österreich, als neutraler Staat, könnte doch mit gutem Beispiel vorangehen und das Bundesheer abschaffen oder in eine Art Bereitschaftspolizei für nationale Notstandsfälle umfunktionieren.
Diese Auffassung ist doppelt naiv.
Erstens übersieht sie, daß von einem militärisch schutzlosen Gebiet, gleich einem Vakuum eine Sogwirkung ausgeht, die, wie alle historische Erfahrung gezeigt hat, geradezu eine Einladung an andere Länder darstellt, innenpolitische Schwierigkeiten durch einen außenpolitischen Akt, durch eine sanktionslose Aggression gegenüber dem schutzlosen Gebiet, zu sublimieren, eigene ökonomische oder soziale Schwächen durch die Nutzung militärischer Überlegenheit zu kompensieren.
Zweitens aber ist die militärische Rüstung nicht Ursache politischer Spannungen, sondern deren Folge. Wie Jonathan Schell in seinem Buch „Das Schicksal der Erde" ausführt, würde Abrüstung solange nichts nützen, als das Wissen um die Konstruktion von Waffen erhalten bleibt. Das Verbrennen aller schriftlichen Unterlagen über die Produktion von Waffen würde nicht nützen, solange unsere Technischen Universitäten erhalten bleiben. Und wenn wir auch diese Zusperren, uns auf das Niveau der Steinzeit zurückbegeben, kann noch immer mit Steinen geworfen werden. Es ist also sinnlos, Abrüstung betreiben zu wollen, ohne deren Ursachen, die politische Spannung, zu beseitigen oder zu reduzieren.
Manchmal werde ich gefragt, ob ich Pazifist sei. Meine Antwort: Ich bin sogar überzeugter Pazifist, habe Ich doch noch selbst erlebt, welch unermeßliches Leid ein Krieg mit sich bringt. Außerdem stellen Aufwendungen für Rüstungszwecke wohl die sinnloseste Vergeudung knapper Resourcen dar. Ich weiß aber, daß sich Abrüstung nicht direkt, sondern nur indirektj, über eine Verringerung politischer Spannungen, erzielen läßt.
In alten Zeiten haben Könige jeweils ihre Kinder ausgetauscht, um dadurch den Frieden zu sichern. Was wäre mit einem groß angelegten Stipendiaten-Austausch-Programm USA-UdSSR, aber auch zwischen vielen anderen Staaten? Befinden sich 10.000 aufgeweckte junge Russen in hundert Schulen der USA, gleichzeitig 10.000 junge Amerikaner in Rußland, so wird keines der beiden Länder über dem anderen eine Atombombe abwerfen, wird jedes der beiden Länder seine Raketen wesentlich überzeugter und rascher verschrotten.
Und wenn die Schweiz und Österreich dann eines Tages nicht mehr von Hunderten von Kampfflugzeugen und Tausenden von Panzern umstellt sein werden, dann werden diese beiden neutralen Staaten die Aufwendungen für ihre Landesverteidigung auf jenes Maß ausrichten können, das den verringerten Spannungen entsprechen wird.
Für die Schweiz wird dies eine fühlbare Reduktion bedeuten; was Österreich betrifft, wäre zu hoffen, daß umgekehrt die Diskrepanz zwischen unserer Verantwortung und unserer Verantwortungslosigkeit dann ein wenig geringer geworden sein sollte.
Der Autor, Abgeordneter zum Nationalr.it, ist Professor für Statistik an der Sozial-und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.
Auszugsweise zitiert aus: ÖSTERREICHER -WER BIST DU? Von Cerhart Bruckmann. Verlag Ueberreuter, Wien 1989.192 Seiten, öS 248,-.
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