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Weit ins Land geht der Blick

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Das Weinviertel: eine Region, die durch den Eisernen Vorhang benachteiligt, manches bewahrte, was anderswo zerstört worden ist.

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Das Weinviertel: eine Region, die durch den Eisernen Vorhang benachteiligt, manches bewahrte, was anderswo zerstört worden ist.

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Weit ins Land geht unser Blick, wenn wir auf einer der mit Heidegras, mit Moosen, Habichtskraut und Mauerpfeffer bewachsenen Kuppen stehen, die sich, gleich Inseln, über dem welligen Land der Rebenhänge erheben. Und Inseln, dem Festlande vorgelagert, waren diese Hügel wohl auch, als sich einst das miözäne Meer vom Osten her, bis an die Hänge des Manhartsberges erstreckte. Noch können wir in den Tälern und Rinnen, ehemalige Buchten, die Spuren der Brandung erkennen, halbkreisartige Unterspülungen in denen oft Muscheln eingepreßt sind, Zeugen von Leben vor Millionen Jahren.

Auf den Heidekuppen aber liegen große verwitterte Steinblöcke, umstanden von gekrümmten Föhren, von Schlehenbüschen und einzelnen Wacholdersträuchern. Inseln einer natürlichen Schöpfung im brandenden Meer der von unermüdlichen Menschenhänden gepflegten Kulturen der Reben.

Wenden wir den Blick gegen Westen, so sehen wir die zackige Silhouette der Nadelbäume. Dunkel und ernst stehen die Wipfel gegen den Himmel. Da und dort Streifen von Buchen-oder Eichenwälder. Ein Riegel, der das Eindringen wehrt. Davor das offene Land. Wellig beschwingt ziehen die Bänder der alten Straßen, wo sie noch in ihrem ursprünglichen Verlauf belassen sind, gesäumt von Obstbäumen, den Flußoder Bachläufen entlang, Schubert-schen Melodie, dem Osten zu.

In diesen seichten Tälern liegen die Ortschaften. Nur die Kirchtürme ragen heraus und da und dort ein paar hohe Dächer der alten Häuser, die, hingeduckt in die Mulden, vor den über das Land brausenden Winterstürmen geschützt sind. Man baute zum Wohnen und nicht um zu präsentieren, Haus schließt an Haus, die Höfe geben, inmitten des weiten Landes, Geborgenheit.

Weiter gegen Osten, immer weiter gegen Osten geht unser Blick. Hoch und breit scheint der Rücken des Buchberges, südlich von Mailberg zu sein, und etwas nördlicher ist die kegelförmige Kontur des Staatzer Kogels auszunehmen, an klaren Tagen sogar die^Polauer Berge. Dazwischen, in immer neuen Windungen, in immer neuen Ansätzen, ziehen sich die Säume der Weingärten, im Frühling weiß gezeichnet von den blühenden Schlehen, von Wildkirschen und -weichsein und rot im Herbst von den Früchten der Heckenrosen und des Spindelstrauchs. Fasane und Hasen finden hier ihren Unterschlupf und - die besten Jäger auf schädliche Insekten -unzählige gefiederte Sänger.

Von Lenau besungen

Schauen wir nach Norden! Dem sanft abfallenden Hang des Manhartsberges entlang reihen sich wieder die Zeilen der Reben, da und dort von kleinen Siedlungen unterbrochen. In der Ferne leuchten die weißen Mauern der Windmühlen auf dem Hügel über der alten Stadt Retz. Barocke Kalvarienberggruppen finden wir sehr häufig auf diesen Buckeln, eine der schönsten wohl in Pillersdorf unweit von Schrattenthal, in dessen Schloß Nikolaus Lenau einst zu Gast war und an seinen

Schilfliedern geschrieben hat.

Wenden wir uns um, so sehen wir eine Kette von ähnlichen Hügeln, wie jenem auf dem wir stehen, im Frühling in Akazienduft gehüllt, im Herbst in einem silbernen Schleier der Blätter. Die einsame Wallfahrtskirche von Wartburg grüßt weit über das Land, während von allen anderen Ortschaften wieder nur die Kirchturmspitzen oder da und dort die Silos zu sehen sind.

Doch überall an den Straßen, an den Feldwegen und Rainen leuchten helle Punkte. Es sind die Bildstöcke aus Zogelsdorfer Kalksandstein, die unsere Vorfahren zur Ehre Gottes und seiner Heiligen hier gesetzt haben. Finden wir wo anders Feldkreuze, Andachtsbilder oder kleine Kapellen, so im Weinland diese stelenartigen Steinsäulen die meist in einem etwas stärkeren, mit Flachreliefs gestalteten Schaft enden, der von einem Kreuz, auf einem pyramidenförmigen Steindach gekrönt ist. Die Reliefs zeigen in der Mitte die Kreuzigung Christi und an den Seiten Märtyrerheilige, weswegen die Stelen eben Marterln (nach den Martern die hier gezeigt werden) genannt werden. Tausende dieser Säulen einstiger Volksfrömmigkeit beweisen mit ihren einfachen Formen das starke Gefühl für Proportionen und Maß jener Geschlechter. Ein Gefühl, das wir heute nur allzuoft vermissen, wenn Neu- oder Portal-umbauten an alten Häusern vorgenommen werden.

Trotzdem, immer wieder überraschen uns schöne alte Gebäude, alte Keller, die die Eigentümer wieder in ihrer ursprünglichen Gestalt herstellten und damit in jene Formen einbanden, die von der Landschaft und der Natur gegeben sind.

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