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Weit übers Ziel

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Nicht nur Haß, auch Zorn aus unglücklicher Liebe kann den Blick auf die Wirklichkeit trüben. Doch ein wütend geschriebenes Buch, wissenschaftlich verpackt, findet eben so Massen von Lesern — zumal wenn es um das Aller- welts-Thema Sex und gegen eine Kirche geht, mit der die Autorin gleichwohl verbunden sein will.

Die Essener Theologie-Professorin Uta Ranke-Heinemann, die sich von der evangelischen zur katholischen Gottesgelehrtheit bekehrt hatte, ist — im wörtlichen Sinne - Protestantin geblieben; ihr puritanisch anmutender Übereifer, mit dem sie gegen römische Marien-Dogmatik zu Felde zog, hatte ihr nach einer Fernseh-Show die disziplinarische Maßregelung der Kirchenoberen und so einen Vorschuß an Werbung eingebracht, der nun auch ihrer Streitschrift zugute kommt.

Und sie erspart den hochwürdigen Herren der „exklusiven Männerwelt“ nichts; Jesus ist für sie der „letzte Freund der Frauen“ in einer „virilen Kirche“, die aus ihm „einen lustlosen und lustfeindlichen Christus der Schlafzimmerkontrolleure und Eheverkehrspolizisten gemacht hat“ und selbst zum „Schrumpfchristentum degeneriert“. Nun ist die Geschichte der Moraltheologie und Sexualmoral — nicht nur der katholischen — gewiß ein dunkles Kapitel, und Uta Ranke-Heinemann hat darüber fleißig, gelehrsam eine Fülle von Material zusammengetragen; nicht ganz systematisch, doch effektvoll werden die leidigen Themen von

den frühchristlichen Kirchenvätern bis zur Gegenwart abgehandelt: Zölibat, Empfängnisverhütung, Abtreibung, Onanie, Homosexualität.

Kaum eine groteske Absurdität in Jahrhunderten bleibt unbeachtet, doch all dies dient nur der pauschalen Anklage und wird fast ohne historische Einordnung in die allgemeine Sitten- und Kulturgeschichte dargeboten. So als ob es nur die Kirche, ihre „seit fast zweitausend Jahren angemaßte Diktatur über die ehelichen Schlafzimmer“ gewesen wäre, die etwa im Mittelalter Theorie und Praxis des Sexualverhaltens prägten.

War die leibfeindliche Mystifi- zierung und Tabuisierung des Sexus damals nicht auch Reaktion auf primitive Verrohung der Umwelt? Und spielt solche Wechselwirkung nicht auch noch im säkularisierten, ja antireligiösen Spießertum der Neuzeit mit? So wenn der Sozialist August Bebel 1883 die Frauenarbeit an der (mechanischen) Nähmaschine für gefährlich hielt, weil sie - „übermäßige geschlechtliche Erregung fördert“.

Indem sich Uta Ranke-Heinemann in ihrem Buch nur selten zu differenzierender Betrachtung aufrafft, regt sie ihre Lesergemeinde zwar zur Entrüstung, doch jene Amtskirche, mit der sie hadert, nicht zum Nachdenken an. Solche Einseitigkeit kann sogar zum Fallstrick werden - so wenn der immer wieder als Buhmann zitierte Moraltheologe Bernhard Häring in diesen Wochen selbst mit scharfer Kritik an päpstlichen Episteln aufgetreten ist. Wenn heute, wie die Autorin richtig feststellt, die Zölibatäre vor einem „Scherbenhaufen“ ihrer Sexualmoral stehen, kann ihre diktatorische Macht über Seelen und Betten ganz so wirksam nicht funktioniert haben, wie es Uta Ranke-Heinemann in ihrem Horrorszenarium ausmalt.

Vielleicht aber gehört das zur Eigenart eines gewissen, nicht nur theologischen Denkens, vor allem im europäischen Norden; während in aller Welt die menschliche und geschichtliche Wirklichkeit- mal guten, mal schlechten Gewissens - ohnehin ihren Weg geht, ringt dieses Denken mit der Autorität. So als ginge es gleichsam um das Kondom mit vatikanischem Gütesiegel.

Freilich, so unbarmherzig die streitbare Professorin über die Unbarmherzigkeit kirchlicher Männergesellschaft richtet, sie selbst - von Zölibat und Priesterwürde verschont - widmet ihr Buch milden Sinnes ihrem Mann.. .EUNUCHEN FÜR DAS HIMMELREICH. Katholische Kirche und Sexualität. Von Uta, Ranke-Heinemann. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1988. 368 Seiten, öS 296,40.

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