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Weiter mit Wurmfortsatz?

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Die Champions sind bereits zum Match des Jahrzehnts in den Ring getreten. Es geht darum, wer als Nachfolger Benyas Gewerkschaftspräsident und somit mächtigster Mann Österreichs werden wird. Die Herausforderer sind die Bosse der Metallarbeiter- und Angestelltengewerkschaft, Sekanina und Dallinger, biede so kampfentschlossen, daß keiner bereit ist, zu verzichten und als recht beachtlichen Trostpreis den Sessel des Sozialministers zu akzeptieren.

So kommt es, daß nach dem bevorstehenden Rücktritt Häusers ins Sozialministerium nicht traditionsgemäß ein Gewerkschaftsboß einziehen wird, sondern ein Außenseiter: Gerhard Weißenberg, Präsident des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger — zwar auch er ein Mann der Gewerkschaften, aber ein Technokrat, kein Funktionär.

Durch diese mehr machtpolitische als sachliche Entscheidung wurde eine große Chance verspielt. Nicht, daß Weißenberg der schlechtere Mann wäre. Im Gegenteil, der Experte ist dem bloßen Interessenpolitiker auf dem Ministersessel sicherlich vorzuziehen. Aber er zieht ins falsche Ministerium ein: Auf Grund seiner bisherigen Tätigkeit wäre Weißenberg eher ein Mann für das Gesundheitsressort, dem nach Abgang des kompetenzenpeniblen Häuser endlich der Sozialversicherungskomplex zugeschlagen werden könnte. Demi dieser würde organisch dorthin gehören.

So aber wird Weißenberg Sozialminister, und es ist nicht anzunehmen, daß er auf seine ureigenste Materie verzichten wird. Es ist sogar zu erwarten, daß er in Sachen Krankenversicherung — und damit Gesundheitspolitik — stärkere Aktivitäten entfaltet und damit jene Linie weiterverfolgt, die er sich in seiner bisherigen Tätigkeit schon vorgezeichnet hat. Damit wird der Bewegungsspielraum des Gesundheitsressorts weiter reduziert werden, und es wäre nur konsequent, würde man der kostspieligen Kompetenzkonfusion ein für allemal ein Ende bereiten und das Gesundheitsministerium wieder ins Sozialressort rückglie-dern. Doch zu dieser Konsequenz wird es bestimmt nicht kommen.

Was darf sich im übrigen der Österreicher vom neuen Sozialminister erwarten? Wie schon erwähnt, eine stärkere Aktivität in Sachen Sozialversicherung mit allen ihren Verästelungen. Hier werden vor allem zwei Ideen aktuell werden, welche bezeichnenderweise erst vor kurzem gerade vom Hauptverband der So-zialversicherungsträger, also Weißenbergs Domäne, ventiliert wurden. Da geht es zunächst einmal um die Spitalsfinanzierung, doch sind die Weiterungen, welche sich daraus ergeben, viel umfassender. Gerade der Hauptverband war es, welcher vor kurzem konstatierte, die progressiv steigenden Kosten der Spitalsbetriebe könnten nur aus progressiv steigenden Steuermitteln gedeckt werden. Die Gebietskörperschaften, speziell die Gemeinde Wien, haben den Ball bereits aufgefangen und dem Bund weitergespielt: Gesundheitswesen und Sozialversicherungen seien Bundessache, auf Landes- und Gemeindeebene sei jedenfalls nicht an neue Steuern oder Steuererhöhungen für diesen Zweck zu denken.

Der Hauptverbandsvorschlag geht aber über die gegenwärtigen Regierungspläne weit hinaus. Der geplante Gesundheitsschilling, der relativ konstante Erträgnisse einbringen wird, ist denkbar ungeeignet, eine dynamische Kostenentwicklung abzudecken. Entweder es wird eine nach oben sehr elastische Gesundheitssteuer eingeführt oder es Werden zusätzlich unlimitierte Beträge aus der allgemeinen Staatskasse zugeschossen. Sehr vielsagend an dem Vorschlag ist, daß die Verantwortung für die Kostendeckung des Gesundheitswesens von den Sozialversicherungsträgern auf den Staat abgewälzt werden soll. Damit könnten jene um so sorgloser wirtschaften, denn die Rechnung bezahlen nicht mehr sie, sondern der Staat. Außerdem würde ein weiterer Schritt in Richtung eines generellen staatlichen Gesundheitsdienstes ä la Schweden gemacht.

Die zweite Idee steht nur scheinbar im Widerspruch dazu: Die Krankenkassen fordern unter Berufung auf ihre finanziellen Leistungen mehr Mitbestimmung in den Spitälern. Graben sie sich nicht selbst das Wasser ab, wenn sie mehr Lasten auf den Bund überwälzen wollen? Nicht unbedingt, denn die Krankenkassen sind ja die Treuhänder für den Bund, der in erster Linie ihre Defizite, nicht direkt jene der Spitäler, abzudecken hat. Die Krankenkassen als Vollzugsorgane des Bundes — dieser Intention wird dadurch Vorschub geleistet, daß nun ihr Mann an der Schaltstelle in der Regierung sitzen wird. Gleichzeitig mehr Mitbestimmung für die Krankenkassen in den Spitälern — was der beste Weg für eine kalte Verstaatlichung, Speziell der Privatkrankenhäuser, wäre.

Wir werden in dieser Richtung in Zukunft einiges zu erwarten haben — vorausgesetzt, daß der Finanzminister mitspielt, denn für das Budget ballt sich ja hier eine neue Kostenlawine zusammen. Einer Lösung der Spitalsmisere und der Finanzierungskonvulsionen der Sozialversicherung werden wir damit keinen Schritt näher kommen. Denn worin besteht der Fortschritt, wenn die Lasten von den defizitären Spitälern und Krankenkassen auf das noch defizitärere Bundesbudget abgewälzt werden, wenn statt steigender Sozialversicherungsbeiträge steigende Steuern für den gleichen Zweck bezahlt werden müssen?

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