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Ein zorniger Dr. Haider, Obmanr ler österreichischen Bauernkran-cenkasse, aber auch in politischer Funktionen, unter anderem in österreichischen Bauernbund, tätig ichwenkte ein Blatt Papier, auf dai ;in Ausschnitt aus einer der mäch igsten Boulevardzeitungen gekleb var: „Entstellungen, Erfindungen licht verstandene Details, keii Vort wahr daran!“

Die Bauemkrankenfcasse fühlt siel wohl vom Sozialministerium al: mch von der Presse äußerst unge echt behandelt. Vom Sozialministe-•ium, weil dessen auf Grund eine: Jberprüfung der Bauernkranken-;asse, die 1971 stattfand, verfaßte: Bericht Vorwürfe enthält, die, Haida ;ufolge, in zwei Minuten hätten entsaftet werden können — wenn mar len Vertretern der Bauernkranken-:asse Gelegenheit zu mündlicher Äußerungen geboten hätte. Von dei 'resse, weil sie Details daraus abiruckte — niemand weiß, wer Infor-nationen über den Inhalt des ver-raulichen Einschauberichtes an di Leitungen gelangen ließ. Schätzungs-veise 40 Personen standen in einen Jelegenheitsverhältnis.

Unklare Formulierungen wurder tuf dem Weg in die Öffentlichkeit zi landfesten Verunglimpfungen, S( vurde aus der Personalunion vor laiders Sekretärin in der Bauern :rankenkasse mit Haiders Sekretärin im Bauernbund (das Sozialmini-terium rügte diese Personalunion ine angeblich von der Bauern-Krankenkasse bezahlte Sekretärir ür Bauernbundchef (und Landes-lauptmann) Maurer. Haider: „De! Wann, der das geschrieben hat, ha ich nachher an den Kopf gegriffen vie ihm das unterlaufen konnte iber der Irrtum machte die Runde ir len Zeitungen.“ Haider ferner: „Di

Sache ist auch den Herren im Sozialministerium mittlerweile mehr als peinlich.“

Zweifellos bestehen tatsächlich mancherlei personelle Verflechtungen zwischen Bauernkrankenkasse und Bauernbund — daß solche Verflechtungen längst üblich geworden sind, ist nicht erfreulich, aber kein Spe-ziflkum „der Schwarzen“ oder „der Roten“, die sich deshalb mit diesbezüglichen Vorwürfen gegen die jeweilige andere Seite wohlweislich zurückhalten, was nicht zur Transparenz der Entscheidungsstrukturen beiträgt.

Die Hauptsorgen der Bauernkrankenkasse, vor allem aber ihrer (gegenwärtig, bei fallender Tendenz) 325.000 Versicherten, liegen auf anderem Gebiet. Ohnehin ist die medizinische Betreuung der Landbevölkerung durch geringere Ärztedichte in den Bundesländern gehandikapt, für die Bauern kommt ein zweites Handikap dazu: Ihre Krankenkasse konnte den vertraiglosen Zustand zwischen ihr und den Ärzten, der seit Gründung der Bauernkrankenkasse besteht, noch immer nicht beenden. Das heißt, daß 325.000 Versicherte jeden Arztbesuch zunächst bezahlen müssen — und dann einen Teil der Honorarnote vergütet erhalten.

Dieser Vergütungssatz schwankt zwischen den Extremwerten von — durchschnittlich! — weniger als 50 Prozent in Niederösterreich und rund 70 Prozent in Vorarlberg. Wobei das Ländle mit einem Arzt auf je 2028 Einwohner einen negativen Rekord betreffend Ärztedichte (oder vielmehr mangelnde Ärztedichte) schlägt. An zweiter Stelle steht das Burgenland mit 1938 Einwohnern pro Arzt, in Niederösterreich kommt auf 1460, in Salzburg

„schon“ auf 1379, in Kärnten auf 1550 Einwohner ein „Doktor“, in der Bundeshauptstadt Wien aber auf je 978 Menschen.

Die Bauemikrankenkasse hofft nun, durch eine Anfang März in Kraft tretende Satzungsänderung sowohl sich selbst als auch ihren Versicherten Geld zu ersparen. In Zusammenarbeit mit der Bundesärztekammer wurden neue Empfehlungstarife ausgearbeitet, die eine Unterscheidung nach normaler Prak-tiker-Ordination (Empfehlungstarif 60, Kostenzuschuß 40 Schilling), Praktikerordination mit eingehender Untersuchung (90 beziehungsweise 60 Schilling) und „kleiner Ordination“ beim praktischen Arzt, beispielsweise zur Ausstellung von Wiederholungsrezepturen (30 beziehungsweise 24 Schilling) unterscheidet. Die von Kasse und Kammer empfohlenen Tarife sind freilich nicht verbindlich für die Ärzte, auch muß die Praxis erst erweisen, wie weit die Ärzteschaft bereit ist, das neue Klassiflkationssystem anzuwenden und Patientenbesuche als „kleine Ordination“ in Rechnung zu stellen.

Die Bauernkasse, die soeben in Wiens Schiffamtsgasse einen neuen zentralen Verwaltungstoau fertiggestellt und den 1967 genehmigten Kostenvoranschlag von 31,5 Millionen um mehr als eine Million unterschritten hat, konnte ihren Patienten immerhin Gleichstellung sämtlicher nach dem ASVG Versicherten in öffentlichen Spitälern sichern und kennt für teurere Medikamente keine Chefarztpflicht — Privatrezepte der Versicherten werden durch einen einfachen Vermerk von den Apotheken als Kassenrezepte anerkannt.

Offen bleibt die Frage, wieweit beide potentiellen Vertragspartner eine Beendigung des vertragslosen Zustandes überhaupt als Erleichterung empfinden würden. Man spricht nicht darüber, aber Faktum ist, daß ein Vertrag zwischen Bauernkranikenkasse und Ärzten deren Arbeitsbelastung erhöhen, deren Einkommen aber eher schmälern würde (ein Mann von der Bauernkrankerakasse: „Die Bauern sind ihre letzten Privatpatienten!“). Das hätte wohl zur Folge, daß in manchen Gegenden Ärzte noch schwerer anzusiedeln wären.

Schon jetzt klagen Österreichs Landärzte über die besonderen Härten ihres Berufes und über Nachwuchssorgen, die nicht zuletzt auch aus der besonderen Belastung der Landarztfrauen resultieren. Eine Parallele zu den bäuerlichen Nachwuchssorgen, die eng mit der Schwierigkeit junger Bauern zusammenhängen, eine junge Bäuerin zu finden.

Landärzte tragen mehr Verantwortung als praktische Ärzte in der Stadt: Spitäler und Fachärzte sind weiter entfernt. Ihr Privatleben ist stärker beeinträchtigt: die städtischen Kulturzentren sind fern, vor allem aber ist es nicht so leicht, sich vertreten zu lassen. Landärzte müssen besonders vielseitig sein und notfalls auch Geburtshilfe oder zahnärztliche Hilfe leisten. Meist arbeitet die Ehefrau als Sekretärin, Sprechstundenhilfe und Schnee-schauflerin mit.

Angesichts dieser Situation erscheint es fast begreiflich, daß die vor Jahren wegen einer fadenscheinigen Unstimmigkeit abgebrochenen Verhandlungen nicht mehr in Gang gebracht werden konnten, der vertragslose Zustand scheint einvernehmlich in ein Dauerprovisorium eingemündet zu sein, dessen Erklärung zum definitiven Zustand nur unerwünschten Staub aufwirbeln könnte. Die medizinische Versorgung der ohnehin gehandikapten Landbevölkerung wird dadurch freilich nicht gefördert.

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