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Weiterhin Ho-ruck in Chile

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Alles weist in Chile auf eine Entdemokratisierung hin, und selbst jene, die bisher der Entwicklung nur mit Interesse, nicht aber mit Befürchtungen entgegenblickten, sehen sich in ihren Erwartungen getäuscht: Allende scheint einen harten Linkskurs zu steuern, der auch dadurch nicht gemildert wird, daß man noch immer sagen könnte, nicht er handle so, sondern seine Wahlhelfer von der Unidad populär, vom Partido Communista. Wenn auch nur drei Ministerien in den Händen der Kommunisten sind — Finanzministerium, Ministerium für öffentliche Arbeiten, Arbeitsministerium —, so sind doch auch in den anderen Ministerien die engsten Berater andersfarbiger Minister extreme Linke.

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Alles weist in Chile auf eine Entdemokratisierung hin, und selbst jene, die bisher der Entwicklung nur mit Interesse, nicht aber mit Befürchtungen entgegenblickten, sehen sich in ihren Erwartungen getäuscht: Allende scheint einen harten Linkskurs zu steuern, der auch dadurch nicht gemildert wird, daß man noch immer sagen könnte, nicht er handle so, sondern seine Wahlhelfer von der Unidad populär, vom Partido Communista. Wenn auch nur drei Ministerien in den Händen der Kommunisten sind — Finanzministerium, Ministerium für öffentliche Arbeiten, Arbeitsministerium —, so sind doch auch in den anderen Ministerien die engsten Berater andersfarbiger Minister extreme Linke.

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Zehntausende haben das chilenische Wirtschaftsparadies — das es für Ausländer bis vor kurzem war — bereits verlassen, und jene, die der ersten Panik standhielten, überlegen nun ebenfalls, ob sie dem Land den Rücken kehren sollen. Freilich — Gewinne gibt es jetzt keine mehr zu transferieren, Allende hat Devisenbeschränkungen erlassen und hält den Dollarkurs irreal niedrig. Der

Schwarzmarkt blüht (und wird mit härtesten Strafen sanktioniert). Die von Allende propagierte demokratische Verstaatlichungsmaschine ist dem Präsidenten entglitten — gewollt oder ungewollt — und potentielle Emigranten gehen heute so weit, zu sagen, daß eine sofortige Enteignung und Verstaatlichung ihrer Betriebe und Besitzungen noch das Beste sei, was ihnen passieren könne. Denn Allendes Wirtschaftskonzept scheint es auf den totalen Ruin der „kapitalistischen Wirtschaft“ abgesehen zu haben.

Die Gewerkschaften fordern eine 70prozentige Lohnerhöhung, obwohl der Staat ohnehin schon einer generellen Lohnerhöhung von 35 Prozent zugestimmt hat. Gleichzeitig wurde ein striktes Verbot jeglicher Preiserhöhungen erlassen, außerdem ein weiterer Gesetzesentwurf vorgelegt, nach dem Aktiengesellschaften mit einer Körperschaftssteuer von 85 bis 106 Prozent des Gewinnes belegt werden. Man braucht kein Wirtschaftswissenschaftler zu sein, um zu erkennen, daß solchen Belastungen keine Privatindustrie gewachsen ist.

Gezielt auf die verwundbarste Stelle jeder Wirtschaftsgemeinschaft abgeschossen wurde ein Pfeil aus dem Bautenministerium: Nur noch staatliche Baufirmen dürfen öffentliche Bauten ausführen. Weiter droht ein Gesetz, demzufolge die Vermietung von Wohnbauten verboten werden soll. Zur Zeit unvermietete Häuser werden gegen Schuldverschreibungen vom Staat übernommen.

Um einer eventuellen Subversion durch Einschränkung der Produktionstätigkeit entgegenzuwirken, plant der Staat ein Gesetz, das jede Firma zur maximalen Ausnutzung ihrer Produktionskapazität zwingt. Sollte diese Forderung nicht erfüllt werden, würde der Staat, aus Gründen „asozialen Verhaltens“ der betreffenden Firma, diese verstaatlichen. Um aber nicht zu diesem eklatant unidemokratischen Mittel greifen zu müssen, würde der Staat den gewinnlosen Firmen Kredite zur Verfügung stellen, die sie annehmen müssen, wollen sie nicht sofort enteignet werden. Auf diese Weise würde der Staat die Firmen zwingen, Schulden zu machen — er hätte sie dann in der Hand, da ja die Banken auch verstaatlicht werden sollen. Da der Staat alleiniger Käufer ist — im Baugewerbe zum Beispiel — kann er durch verzögerte Bezahlung der Produkte die finanzielle Lage der Firma 50 strapazieren, daß der Betrieb bankrott gehen muß. Der Staat als alleiniger Auftraggeber braucht auch nur einen Auftragsstopp durchzuführen, um eine Firma „legal“ verstaatlichen zu können: die Firmen sind ja dem Gesetz nach verpflichtet, weiter zu produzieren.

Dem gelernten Österreicher ist ein Denken in diesen Dimensionen unmöglich. Der Gedanke, solche Gesetze überhaupt zu planen, scheint abstrus! Doch plant Chile weitere „Feinheiten“: zum Beispiel die Einführung von Volksgerichten. Die Gerichte seien überlastet, geringe Verfehlungen der Bürger könnten nicht mehr verfolgt werden und so sei diese Neueinführung also eine gute Sache — argumentierte man. Die geplanten Volksgerichte sollen nun diese Lücke schließen helfen. Da jedoch jeder Anzeige nachgegangen werden muß, iie Richter sich aus Laien zusammensetzen und sich somit nicht nach den Gesetzen orientieren können — sie aber anderseits aus der Regierung nahestehenden Vertretern bestehen —, ist die Gefahr, die in dieser geplanten Institution liegt, ersichtlich!

Allendes Steckenpferd ist die Verstaatlichung der Kupferminen, der Banken und der Versicherungen. Ein Gesetzesvorschlag sieht so aus (er wurde von einem Parlamentsmitglied tatsächlich eingebracht!): man solle zwischen Enteignung und Nationalisierung ausländischer Unternehmen unterscheiden. Enteignete würden nach diesem Gesetzesvor-schlag sofort entschädigt, Nationalisierte jedoch erst nach Verfügbarkeit der Zahlungsmittel. Wer enteignet und wer nationalisiert wird, bestimmt ein Nationalisierungsgericht, das vom Staatspräsidenten eingesetzt werden soll. Ein Anrufen anderer Gerichte soll ausgeschlossen sein!

Stahl- und Textilindustrien wurden teilweise schon verstaatlicht. Als Entschädigung wurden nur Kleinstaktionären Staatsschuldverschreibungen gewährt, die eine Laufzeit von sieben Jahren haben. Um den Wert dieser Schuldscheine abzuschätzen, muß man freilich wissen, daß die jährliche Inflationsrate bei 25 bis 30 Prozent liegt! Im Falle der Verstaatlichung einer Textilindustrie verstieg man sich sogar so weit, nur die Aktiven zu enteignen, die Passiven jedoch dem Eigentümer zu hinterlassen.

Mögen dies alles in unseren Breiten unbekannte Pläne und Tatsachen sein — illegale Besetzungen von 5000 im Bau befindlichen Wohnhäusern, gesetzwidrige Übernahme von mehr als 200 Gutsbetrieben durch Landarbeiter sind durch die Weltpresse gegangen. Bekannt ist auch, daß von der Regierung keine Gegenmaßnahmen ergriffen wurden und werden. Wie sollte Allende auch? Hat er vor seiner Wahl seinen Wählern nicht eigenes Heim, eigenen Grund und Boden versprochen? Daß er in der kurzen Zeit seiner Regierung seine Versprechen noch nicht einlösen konnte, würde jedem Europäer einleuchten. Derartige UmstruKUurierungen oraucnen z,eix — aber den chilenischen „Marginales“, den „Randbewohnern“, den außerhalb der Gesellschaft stehenden, den Armen, die keinen Anschluß an den Wohlstand der heutigen Zeit haben, geht es zu langsam. Also greifen sie zur Gewalt: Was ihnen die Regierung nicht gibt, holen sie sich. Und Allende wird sich hüten, seine Wähler mit Maßnahmen, wie sie sein Vorgänger Frey anwandte, abzuschrecken. Es gab nämlich auch zur Zeit Freys illegale Besetzungen — aber Frey ließ Polizei rufen und es gab Tote.

Überhaupt hatte Freys Regierung ein völlig falsches Image in Europa, ja auf der ganzen Welt. Zwar war er dem Namen nach Christdemokrat, die Chilenen hingegen meinen, daß er nicht weniger links als Allende

• stand. Freys Regierungsform war de-i magogisch — und Allende wußte um

■ die Enttäuschung seiner späteren , Wähler. Er nützte sie, um selbst ans i Ruder zu kommen, und kann somit *. nicht gut gegen die Ausschreitungen ; der Enttäuschten einschreiten. Somit ! läuft er heute Gefahr, ein Instru-

■ ment der Kommunisten zu werden, i die mit Allende ihre eigenen Pläne haben — haben sie doch mit 14 Prozent der Stimmen der Unidad Popui lar zur Regierung verholfen. i Freilich ist die Regierung auf dem

■ Gebiet der Landreform bereits von i ihrem Wahlversprechen abgerückt: i zwar werden Großgrundbesitzer ent-- eignet — mit einer Zahlungsfrist von , 30 Jahren an die Enteigneten — doch

• spricht heute niemand mehr davon, 1 diese neuen, in Staatsbesitz überge-' gangenen Besitze auf die Landarbei-

■ ter aufzuteilen. Hatte Frey noch t Grund und Boden verteilt und die I neuen Landwirte dann in Genossen-

■ schatten zusammengefaßt, so spricht ; der Landwirtschaftsminister heute

■ schon offen davon, daß eine Vertei-

■ lung dieses enteigneten (nationalisierten) Grund und Bodens nicht mehr stattfinden werde. Im Gegenteil: man plant große Staatsgüter, in denen die Landarbeiter gegen Lohn arbeiten, zwar eine Wohnstatt erhalten, aber als „Eigentum“ nur einen Gemüsegarten behalten sollen. Der besitzlose Arbeiter wechselt also heute von einem — fallweise — gutgeführten Privatbetrieb in einen — zumeist — schlechtgeführten Staatsbetrieb.

Allende selbst hat sich immer gegen eine Radikalisierung und Entdemokratisierung ausgesprochen. Er wollte der Demagogie seines Amtsvorgängers Frey entgegentreten und skizzierte ein umfangreiches Sozialprogramm, das die Zustimmung großer Teile der Bevölkerung genoß. Allende bekannte sich offen zum Marxismus, doch wurde dies von den meisten Beobachtern nur als taktisches Manöver bezeichnet — Frey war eben nur links zu überholen. Da Allende, der selbst Arzt ist und aus begütertem, bourgeoisem Haus stammt, die Wahl jedoch nur mit Hilfe der radikalen linken Minderheit gewinnen konnte, mußte er Konzessionen machen, die heute seine Pläne gefährden.

Weltpolitische Spekulationen sind schon zur Genüge angestellt worden. Der zukünftige U-Boot-Stützpunkt in Valparaiso geistert durch die Kommentarkolumnen der Weitpresse — auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, daß sich die Sowjets die Bürde eines zweiten Kuba leisten wollen. Letzten Endes hängt die Weiterentwicklung Chiles auch zu einem Gutteil von den Reaktionen der USA und der übrigen westlichen Industrienationen ab. Panisches Abziehen von Investitionsgeldern — was angesichts der geplanten Verstaatlichungen freilich verständlich wäre — würde Chiles Ruck nach links nur noch festigen. Und- ob Allendes Verstaatlichung der Kupferminen die beste Lösung ist, wissen die Chilenen nicht einmal selbst. Bei einem Kupferpreis von 46 Dollarcents, immer höher steigenden Produktionskosten — wer modernisiert angesichts der heutigen Lage? Wer importiert bei überhöhten Schutzzöllen? — scheint dies ein Wahlversprechen gewesen zu sein, dessen Verifizierung sich Allende wahrscheinlich selbst gern entziehen würde.

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