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Weites Land, heile Welt

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Otto Schenk inszenierte im Akademietheater „Das weite Land“ von Arthur Schnitzler. Es ist nicht nur das längste „weite Land“ seit Menschengedenken (weil sonst übliche Kürzungen unterblieben), sondern auch eine hervorragende, großartig gespielte, dabei durchdachte, dichte Aufführung. Aber: Was hat uns dieses Stück nun eigentlich wirklich zu sagen? Und wird die Aufführung dem Stück so ganz gerecht?

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Otto Schenk inszenierte im Akademietheater „Das weite Land“ von Arthur Schnitzler. Es ist nicht nur das längste „weite Land“ seit Menschengedenken (weil sonst übliche Kürzungen unterblieben), sondern auch eine hervorragende, großartig gespielte, dabei durchdachte, dichte Aufführung. Aber: Was hat uns dieses Stück nun eigentlich wirklich zu sagen? Und wird die Aufführung dem Stück so ganz gerecht?

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Wien konsumiert Selbstkritik wie Sauerkraut: Je öfter aufgewärmt, um so besser. Wir hören gar nicht gern, wie wir sind; im Zweifelsfall ist es uns (nur uns?) lieber, zu hören, wie wir waren, und wenn's lang genug her ist, tut die Selbstkritik überhaupt nicht mehr weh. Horväths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ entfesselten noch nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien einen Theaterskandal und haben erst seit wenigen Jahren jenen haut göut, der sie dem Wiener Publikum schmackhaft macht. Spielt Wien hingegen Arthur Schnitzler und gerät dabei nicht ausgerechnet an den ohnehin selten hervorgeholten „Professor Bernhar-di“, wird die Selbstkritik zum nostalgischen Genuß.

Es ist einer der Gründe für Schnitzlers anhaltenden Späterfolg in Wien, daß er nicht nur nostalgisch konsumiert werden kann, sondern - weil Schnitzler eine bestimmte Gesellschaftsschichte mit äußerster Schärfe beobachtete und beschrieb und insofern auch gesellschaftskritisch war -das dem heutigen Publikum schmeichelnde Mißverständnis ermöglicht, es verhalte sich seinerseits kritisch, wenn es sich bei Schnitzler vergnügt.

„Das weite Land“ spielt in jenem eingetrübt lebenslustigen, dekadenten Amalgam aus Großbürgertum und nicht ganz so großem Adel, das Schnitzlers Milieu war, aber seit dem Zweiten Weltkrieg höchstens in Rudimenten existiert. Insofern hat Schnitzlers Registratur der Verhaltensweisen dieser Schichte ihre Schärfe verloren. Es ging Schnitzlers Stücken ähnlich wie den „Letzten Tagen der Menschheit“ von Karl Kraus: Was Kritik einer bestehenden Gesellschaft war, wurde durch deren Untergang zum Dokument einer versunkenen Kultur - Literatur als Phonogrammar-chiv.

So wurde Schnitzler vom schonungslosen Porträtisten einer Welt zum Bewahrer der Erinnerung an sie. Und das heutige Wien konsumiert ihn, wie London die Schlacht von Trafalgar bei Madame Tussaud mit Heimweh nach gestern, mit der Sehnsucht nach einer als besser empfundenen, versunkenen „heilen Welt“, und wer meint, dies stehe im Widerspruch damit, daß Schnitzler diese Welt als eine unheile dargestellt hat, sei an die Oper erinnert, wo der Tod ebenfalls kulinarisch wird. Schnitzler hat den Duelltod des jungen Otto im „weiten Land“ keineswegs kulinarisch gemeint, aber ein sicher sehr großer Teil des Schnitzler-begeisterten heutigen Wiener Theaterpublikums konsumiert ihn so.

Was er abschreckend darstellen wollte, existiert in dieser Form nicht mehr. Was bleibt, ist Nostalgie, nebst einigen Identifikationsmöglichkeiten vor allem für die Frauen, die bei Schnitzler, in jener hauchdünnen Gesellschaftsschicht, in der „Das weite Land“ spielt, Freiheiten genießen, die heutigen Frauen weniger vom Moralkodex als von den materiellen Verhältnissen verwehrt werden.

Die vom Operntod effektvoll auf Moll gestimmte Idylle, in der ein Arzt nicht 15 Stunden am Tag Patienten abfertigt, sondern noch Zeit für seine

Freunde hat, in der man nicht auf überfüllte Tennisplätze angewiesen ist, sondern seinen eigenen neben dem Haus hat und die bei einer Wette verlorenen Zigarren dem Gewinner vom Diener ins Hotel tragen läßt, und in der man noch am Liebeskummer stirbt, wenn man ihn nicht den Rest eines Lebens lang mit Würde und nicht ohne Koketterie zu tragen weiß, vermag sehr leicht die psychologische Substanz zu verschütten, die das beste am „weiten Land“ ist, die seine Zeitlosig-keit begründet.

Otto Schenk verschüttet sie nicht gerade, versüßt das Stück auch keineswegs, betont aber die Milieumalerei und die liebevolle Durchzeichnung aller Figuren und Nebenfiguren stärker als den bitterbösen Kern. Der - im Vergleich mit anderen Iszenierungen-lautere und düstrere Schluß, die Ausbrüche am Ende, steht nicht im Widerspruch dazu, verrät lediglich den erfahrenen Opernregisseur, der hier eine interessante Möglichkeit entdeckte, die anderen entging. Man kann die Geschichte vom Fabrikanten Friedrich Hofreiter, der - in einem vom Zaun gebrochenen Duell - seinen jungen Nebenbuhler weniger aus Rivalität als aus Haß des alternden Mannes auf die Jugend und deren „frechen Blick“ er-; schießt, zeitloser und sehr viel böser inszenieren. Schenk lenkt den Blick auf die Registratur einer versunkenen Gesellschaft, auf die Details im Verhalten der einzelnen Figuren, holt das absolute Maximum dessen heraus, was in diesem Stück an kulinarischen Möglichkeiten steckt. So hat es nicht nur das Wiener Publikum am liebsten, so kann es auch das Burgtheater am besten, und so kommt eine Aufführung von ungewöhnlichem Niveau zustande.

Helmut Lohner als Friedrich Hofreiter fehlt die auftrumpfende Männlichkeit dieses niederträchtigen Egoisten, er wirkt zergrübelt, zerfallen mit sich selbst, am Ende gebrochen: Eine ungewohnte Auffassung, vielleicht kommt sie Schnitzlers Intentionen nä-' her als die gangige. Gertraud Jesserer als Genia, seine Frau, bietet das Kabinettstück einer von ihren Gefühlen hin und her gezerrten Frau, die am Ende nur weiß, daß sie zu ihrem Mann nicht mehr gehört. Brigitte Furgler in der Rolle des frischen, natürlichen jungen Mädchens, das sich nicht scheut, dem viel älteren Mann zu sagen, daß sie ihn liebt, erweist sich als sehr erfreuliche Neuerwerbung. Rudolf Melichar, als Doktor Mauer, verkörpert Geradheit, Anstand, Menschlichkeit. Fritz Muliar in der Nebenrolle des Bankiers Natter: Ein Schauspieler streift seine „Masche“ ab, wird er selbst, findet Ausdrucksmittel jenseits der Routine -etwa, wenn er sich in einer Konfrontation von Mann zu Mann vom anderen abwendet. Insgesamt: Eine bis in die kleinsten Rollen sorgfältig besetzte und durchgearbeitete Aufführung, zu deren Atmosphäre der von Bert Kistner auf die Bühne gestellte, naturalistische, äußerst stimmungsvolle Garten erheblich beiträgt. Stilechte Kostüme von Gaby Frey.

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