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Weitreichende Konsequenzen

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Die Regierungschefs der sieben größten Industrienationen der Welt suchten vergangene Woche in Tokio nach Rezepten, mit denen man der dahinschleichenden Energiekrise wirksam gegensteuern kann, zumal diese nach der von der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) in Genf beschlossenen ölpreiserhöhung noch viel bedrohlicher geworden ist. Der stellvertretende Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), David Fischer, untersucht hier in einem Beitrag Ursachen und Konsequenzen dieser Energiekrise. Miles Co-stick vom Institut für strategischen Handel, Washington, befaßt sich mit der sowjetischen Energiekrise und deren Auswirkungen auf die Nahostpolitik des Kremls.

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Die Regierungschefs der sieben größten Industrienationen der Welt suchten vergangene Woche in Tokio nach Rezepten, mit denen man der dahinschleichenden Energiekrise wirksam gegensteuern kann, zumal diese nach der von der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) in Genf beschlossenen ölpreiserhöhung noch viel bedrohlicher geworden ist. Der stellvertretende Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), David Fischer, untersucht hier in einem Beitrag Ursachen und Konsequenzen dieser Energiekrise. Miles Co-stick vom Institut für strategischen Handel, Washington, befaßt sich mit der sowjetischen Energiekrise und deren Auswirkungen auf die Nahostpolitik des Kremls.

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Meine Behauptung ist:

1. Für die voraussehbare Zukunft wird der Weltenergiebedarf weiter ansteigen. Die Motoren für diese Bedarfssteigerung werden die anwachsende Bevölkerung, das wirtschaftliche und vor allem industrielle Wachstum in der Dritten Welt, die Notwendigkeit, immer mehr unzugängliche natürliche Rohstoffe verwenden zu müssen, die Notwendigkeit, existierende Rohstoffe wieder zu verwerten, die Notwendigkeit, die Umwelt in Ordnung zu bringen und der Bedarf an Kraftstoff für wachsende Industrien in sozialistischen und manchen kapitalistischen Ländern sein; ja auch der steigende Bedarfin den wohlhabendsteh Ländern, um die Arbeitslosigkeit herabzusetzen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und ein bescheidenes Wachstum beizubehalten.

2. Einen steigenden Anteil dieser Energie wird die Elektrizität einnehmen. So ist etwa der primäre Energiekonsum 1978 weltweit um 4 Prozent angewachsen, der Elektrizitätsverbrauch aber um über 7 Prozent. Hochrechnungen der wirtschaftlichen Kommission für Europa, die sowohl West- als auch Osteuropa abdecken, haben ergeben, daß der Anteil der Elektrizität im europäischen Energieverbrauch von 25 Prozent im Jahr 1976 auf 35 Prozent um 1990 ansteigen wird.

3. Für den Rest dieses Jahrhunderts und möglicherweise weit genug ins nächste, werden öl, Naturgas, Kohle und Atomkraft die wesentlichen Rohstoffe für die primäre Energie sein. Der Anteil des Öls wird allmählich zurückgehen, der der Kohle und Atomkraft steigen. Abgesehen von der Wasserkraft werden die zu erneuernden solaren, ozeanischen, geothermischen und andere Energiequellen nur einen Randbeitrag zur Energiebedarfsdeckung vor der Jahrhundertwende und wahrscheinlich auch für einige Zeit danach ausmachen.

4. Auf Grund der drohenden Verknappung des Erdöls, der Kohle und Atomkraft, ist die Welt daran, in eine größere Krise der Energieversorgung zu schlittern. Diese Krise wird durch eine zurückgehende ölproduktion, schrumpfende ölreserven und ansteigende ölpreise auf der einen, und durch die Unfähigkeit oder Abneigung der Regierungen und Völker, Atomkraft und Kohleabbau zu fördern auf der anderen Seite, verursacht werden. Diese Krise wird am meisten jenen zu schaffen machen, die am wenigsten ohne Energie auskommen können - die Armen in den reichen Ländern genauso wie die armen Länder in der Dritten Welt. Diese Krise wird wahrscheinlich weitreichende politische Konsequenzen haben.

5. Wie steht es mit der freiwilligen Konservierung der Energie? Sicherlich sollte ihr eine hohe Priorität in den industrialisierten Ländern eingeräumt werden. Für die Armen ist sie ein beschönigender Ausdruck für weniger Nahrungsmittel, weniger Wasser, weniger Wohnungen, weniger Kleidung. Aber sogar in ihrer besten Form wird sich die Wirkung der Energiekonservierung nur langsam einstellen und nur am Rande. Die wirtschaftliche Kommission für Europa schätzt, daß um 1995 die Konservierungsmaßnahmen die Energiewachstumsraten in Europa um 15 Prozent reduziert haben werden. Unfreiwillige Konservierung - also Energieerhaltung durch Rohstoffknappheit - ist natürüch ein anderer Fall.

6. Unter diesen Umständen müssen wir einen guten und vernünftigen Gebrauch einer jeden Energiequelle machen, müssen wir diese zu angemessenen Kosten anzapfen können und darauf achten, daß sie nicht mit einem völlig unannehmbaren Risiko für Mensch und Umwelt verbunden ist.

Das ist der einzige Weg, der sich uns öffnet, wenn wir eine steigende, zerstörende und gefährliche Verknappung vermeiden wollen, die für den Verlauf des menschlichen Fortschritts seit der Erfindung der Dampfmaschine eine völlige Umkehr bedeuten würde.

Wir können über die Zusammensetzung der Energierohstoffe, die wir für die Elektrizitätsproduktion und die Förderung der industriellen Expansion gebrauchen, in den meisten Fällen selbst entscheiden. Was aber den Transport betrifft, sind unsere Wahlmöglichkeiten weit mehr beschränkt. Beinahe alle Autos, Lastkraftwagen und Lokomotiven in der Welt verbrennen öl, und dabei gibt es keinen schnellen und leichten Weg, dieses Problem zu lösen. Das beste wäre eine bessere Auslastung vorhandener und Elektrifizierung zusätzlicher öffentlicher Verkehrsmittel, der massenmäßige Einsatz von Elektroautos, Hinzugabe von Industriealkohol in unseren Benzin oder willkürliche Entscheidungen, mit denen die Benützung der Motorfahrzeuge eingeschränkt werden kann.

Die Wirkung der ersten drei Wahlmöglichkeiten wird sich wahrscheinlich nur langsam einstellen und beschränkt sein. Wir sollten uns möglicherweise doch mehr von der vierten Möglichkeit erhoffen: geschlossene Tankstellen an Wochenenden, Verzicht auf Autofahrten an bestimmten -Tagen der Woche und bessere Ausnutzung der öffentlichen Transportmittel.

Zwei Punkte müssen dabei aber berücksichtigt werden: Einmal, daß der Rückgang des privaten Autoverkehrs die Umkehr eines Trends bedeutet, der nun schon mehr als ein halbes Jahrhundert lang anhält und der ernsthafte Auswirkungen auf einen der bedeutendsten Industriezweige der Welt haben wird - die Autoindustrie. Zum zweiten, daß zwei der drei technologischen Auswege -Elektrifizierung der öffentlichen Verkehrsmittel und Elektroautos -

den Bedarf an Elektrizität hochtreiben würden und damit auch die Nachfrage für Kohle- und Nuklearenergie.

Was wäre der vernünftigste Weg, den man einschlagen sollte? Meiner Meinung nach wäre die beste Lösung für die industrialisierten Staaten eine stärkere Heranziehung der Atomkraft, die in den meisten Fällen die Hauptquelle der Elektrizität werden sollte. Die Kohleproduktion sollte gefördert werden (obwohl das in Europa nicht einfach sein wird): Kohle als Energiequelle für die Industrie und für einen Teil der Haushalte sowie als Ergänzung zur Atomenergie. Die Verflüssigung und Vergasung von Kohle sollte auf jeden Fall energisch vorangetrieben werden.

Alle vernünftigen Maßnahmen zur Energiekonservierung sollten angewandt werden. Die Erforschung neuer und erneuerbarer Rohstoffe einschließlich der Kernfusion sollte wirksam weiter betrieben werden, ebenso die Entwicklung Schneller Brüter, weil diese nachgewiesenermaßen die einzige technologische Hauptenergiequelle für das 21. Jahrhundert darstellen werden.

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