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Welche Labourpartei?

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In Blackpool an der englischen Westküste ist das alljährliche blutige Gemetzel, das sich Jahreskonferenz der britischen Labourpartei nennt, zu Ende gegangen, und Hand in Hand, die Arme brüderlich verschränkt, sangen alle Delegierten zur gemütlichen Melodie von „Oh Tannenbaum“ das sozialistische Kampflied „The Red Flag'. Aber diese schöne Schlußkundgebung vermochte die frischen Wunden nicht zu verbergen, die dieselben Delegierten einander vorher geschlagen hatten, und auch nicht die klaffenden Löcher, die die Messer innerparteilichen Hasses in den Mantel der Brüderlichkeit gerissen hatten, mit dem sich die Labourbewegung so gerne umgibt.

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In Blackpool an der englischen Westküste ist das alljährliche blutige Gemetzel, das sich Jahreskonferenz der britischen Labourpartei nennt, zu Ende gegangen, und Hand in Hand, die Arme brüderlich verschränkt, sangen alle Delegierten zur gemütlichen Melodie von „Oh Tannenbaum“ das sozialistische Kampflied „The Red Flag'. Aber diese schöne Schlußkundgebung vermochte die frischen Wunden nicht zu verbergen, die dieselben Delegierten einander vorher geschlagen hatten, und auch nicht die klaffenden Löcher, die die Messer innerparteilichen Hasses in den Mantel der Brüderlichkeit gerissen hatten, mit dem sich die Labourbewegung so gerne umgibt.

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Die Entscheidung darüber, welcher Flügel, welche Fraktion der Labourpartei jetzt für die nächsten zwölf Monate in den eigenen Reihen, aber auch in der Regierung und damit für das ganze Land ausschlaggebend sein soll, ist nicht mit eindeutiger Klarheit gefallen, wenn auch mit einiger Sicherheit von einer Neudefinierung der Kräftespaltung gesprochen werden kann. Wer einander nämlich jetzt gegenübersteht, das sind nicht der rechte und der linke Flügel der Labourpartei, sondern vielmehr die extreme Linke, die sich dem gesamten Rest der Partei, ihrem rechten und linken Flügel entgegengestellt hat.

Zwei Ereignisse waren es, die diese Entwicklung vor allem kennzeichneten, und die aus den allgemeinen Katzbalgereien der Konferenz besonders hervorragten. Denis Healey, als Schatzkanzler Nr. 2 im Kabinett Wilson und einer der fähigsten Köpfe der britischen Politik, war den extremen Linken unter seinen Genossen schon lange ein Dorn im Auge gewesen und von ihnen mehr als einmal als „Werkzeug der kapitalistischen Klasse“ bezeichnet worden. Und als die Konferenz jetzt die jährliche Neuwahl des Nationalen Exekutivausschusses der Labourpartei durchführte, fand sich Denis Healey plötzlich mit seinem prominenten

Kollegen, Innenminister Jenkins, darin vereint, als führendes Regierungsmitglied aus dem obersten Gremium seiner eigenen Partei ausgeschlossen zu sein. Seinen Platz im Exekutivausschuß nimmt jetzt der neue Vorkämpfer der extremen Linken, Eric Heffer, ein, der zur Zeit des Europa-Wahlkampfs wegen seines undisziplinierten Verhaltens von Premierminister Wilson seines Regierungspostens enthoben worden ist Healey nahm dieses Tadelsvotum mit sardonischer Gelassenheit entgegen, und es gehört mit zu den vielen Absonderlichkeiten sozialistischer Parteikonferenzen, daß er für seine anschließende brillante Rede über die britische Wirtschaftslage von denselben Händen, die gerade die Axt geschwungen hatten, stürmisch akkla-miert wurde.

Vielleicht noch signifikanter aber war die Sitzung der „Tribune“-Gruppe, die einen Taff, später im Rahmen der Konferenz stattfand. Diese nach einer Parteizeitschrift benannte Gruppe verkörpert das, was bisher als linker Flügel der Labourpartei bezeichnet wurde, und neben ihrem prominentesten Vertreter, dem Arbeitsminister und Parteiideologen Michael Foot gehören ihr die meisten der linksstehenden Politiker und Gewerkschaftsführer an. Hier kam es nun zu der erwähnten Spaltung zwischen links und extrem links, als der Abgeordnete Ian Mikardo, prominentes Mitglied des Labour-Exekutivausschusses, einen scharfen Angriff gegen den TUC, den britischen Gewerkschaftsverband richtete, dem er vorwarf, bei den jüngsten Verhandlungen mit der Regierung die Interessen der Arbeiterklasse nicht genügend wahrgenommen und zu viele Konzessionen in der Lohnpolitik gemacht zu haben. Es ist selbst angesichts der häufigen logischen Bocksprünge sozialistischer Parteipolitiker nicht alltäglich, in einem Satz gleichzeitig die Genossen in der Regierung und im Gewerkschaftsverband anzugreifen, und der Sturm, den Mikardos Worte auslösen, war beachtlich. Jack Jones, Führer der größten britischen Gewerkschaft (Transportarbeiter) und bedeutendster Verfechter des „Sozialkontraktes“, stürmte zum Podium vor und rief Mikardo zu, er solle doch gleich hierbleiben, um an der später im selben Saal stattfindenden Jahreskonfe renz der Konservativen Partei teilzunehmen, dort gehöre er mit seinen Ansichten hin. Und Arbeitsminister Foot, dem selbst die wildesten Extremisten noch nicht vorgeworfen haben, ein Werkzeug kapitalistischer Ausbeuter zu sein, erwiderte in einer glänzenden Rede, daß brutale Erpressungstaktiken mit Streikdrohungen wohl nicht das geeignete Mittel seien, um gedeihliche Verhandlungen unter Freunden und Genossen zu führen.

Alles in allem hat sich die extreme Linke der Labourpartei in Blackpool selbst wohl keine allzu guten Dienste geleistet. Abgesehen von dem Schauspiel der Uneinigkeit, das sie der britischen Öffentlichkeit geboten hat, und abgesehen vom zweifelhaften Erfolg der Entfernung Healeys aus dem Nationalen Exekutivausschuß, dessen Entscheidungen übrigens jetzt von der Labourregieruag in wachsendem Maße ignoriert werden, dürften sich diese extremen Kräfte nun mehr und mehr von der großen Mehrheit ihrer eigenen Partei isoliert haben. Der Einfluß des von ihnen teilweise beherrschten obersten Parteigremiums ist im Schwinden begriffen, und auch die wichtigsten Gewerkschaften haben sich durch ihre Übereinstimmung mit der Lohnpolitik der Regierung von ihnen distanziert. Indem sie durch ihre überspitzten Forderungen und Angriffe nicht nur das Zentrum, sondern, auch den gemäßigten linken Flügel der Labourpartei geradezu gezwungen haben, sich zur Politik Wilsons und seines Kabinetts zu bekennen, haben die Linksextremisten ihrer Regierung wahrscheinlich ganz contre coeur Schützenhilfe geleistet Wilson und sein Team treten jetzt deutlich als die einzigen Kräfte hervor, die auf Grund ihrer ideologischen Verbindung mit der Gewerkschaftsbewegung wenigstens einigermaßen imstande sind, die militanten Extremisten auszumanövrieren und im Zaum zu halten. Wenn die Regierung die nächsten zwölf Monate — zwölf Monate hoher Arbeitslosigkeit und scharfer Lohnbeschränkungen — halbwegs intakt und in sich geeinigt überstehen kann, wenn sie in dieser Zeit der Krise eine nationale Stabilität aufrechtzuerhalten vermag, dann könnte sie sehr wohl nach Uberwindung der ärgsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten als Retter der Nation auftreten — eine Tendenz, die von konservativen Politikern schon jetzt mit tiefer Besorgnis beobachtet wird.

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