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Welche Liebe ist stärker?

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„Ein Katholikentag der Stille und der Ausgelassenheit” fand die liberale „Frankfurter Allgemeine Zeitung”, aber so fröhlich-heiter-gelassen wie die Tage von Freiburg vor zwei Jahren war der 86. Deutsche Katholikentag sicher nicht.

In seinem Zeichen standen die Tage zwischen Fronleichnam und 8. Juni in der politisch zweigeteilten Stadt Berlin, wo zwischen 70.000 und 80.000 Katho-liken und Freunde aus anderen christlichen Konfessionen, aber auch viele Gäste aus dem Ausland, das Motto „Christi Liebe ist stärker” zu bezeugen versuchten.

Es wird nicht leicht sein, dem Beispiel der beiden jüngsten deutschen Katholikentage nahezukommen, wenn 1983 Österreichs Katholiken ihrerseits nach vielen Jahren der Pause wieder einmal die Massen zu einem Katholikentag laden werden (mit Papst, so hoffen sie). Denn zu vielschichtig sind Hoffnungen und Erwartungen, Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer solchen Veranstaltung.

Fast wie mehrere Katholikentage nebeneinander wirkten in Berlin offizielle und inoffizielle Gottesdienste und Vorträge, Diskussionen und Festlichkeiten.

Im „Zentrum der älteren Generation” fanden sich auffallend viele Jugendliche ein. Im Jugendzentrum herrschten Improvisation und Spontanität vor (Unberechenbarkeit nannten es andere): Bei einem „Abend der Begegnung” reduzierte gemeinsames Singen und Musizieren in kleinen Gruppen rasch die Blasmusik und das Geschehen auf der Bühne zu einem Nebenereignis.

Gerade bei den Jugendlichen, die den Großteil der Katholikentagsbesucher stellten - 70 Prozent waren unter 30, über die Hälfte unter 25 Jahren - , dominierten Interesse an Spiritualität auf der einen, sozialer Aktion auf der anderen Seite.

Für „Vicaria de la Solidaridad,” deren Vorsitzender (Generalvikar Juan Paulo de Castro von Santiago de Chile) in Berlin weilte, waren von kirchlichen Jugendorganisationen 48.000 Mark gesammelt worden. Diese Organisation nimmt sich in Chile der Armen und Unterdrückten an.

Das größte Sammelergebnis ihres Lebens konnte auch Mutter Teresa, die

Nobelpreisträgerin des Vorjahres, für ihre Armen in Indien in Empfang nehmen: rund 200.000 Mark, von Fernsehern auf 500.000 Mark aufgerundet.

Zum Aufbruch aus der „Geschlossenheit” und „Verschlossenheit” vieler christlicher Existenz rief der erst vor kurzem neu ernannte Bischof von Berlin, Joachim Meisner, auf. „Ich bekenne es ganz offen, auf diesem Katholikentag war uns die Jugend ein guter Lehrmeister.”

Daß diese Lehre die etablierte Kirche eher nachdenklich stimmen mußte, bekannte der bayrische Kultusminister Hans Maier, Präsident des den Katholikentag veranstaltenden Zentralkomitees deutscher Katholiken, mit der Feststellung: „Wir können die Kritik der Jugend nicht überhören.”

Maier war es aber auch, der zur Kennzeichnung der Situation das erlösende Wort fand: „Auch wenn Gottes Heil von oben kommt, so war dies doch kein Katholikentag von oben, so wenig es einen Katholikentag von unten gibt. Es gibt nur einen Katholikentag unterwegs ...”

Damit bezog er sich auf einen von rund 40 verschiedenen „Basisgemeinden” veranstalteten „Katholikentag von unten”, der mit einer Diskussion der Universitätsprofessoren Hans Küng und Johann Baptist Metz vor allem intellektuelle Zuhörer in großen Scharen anlockte.

Küng, der bekanntlich vor kurzem vom Vatikan seiner theologischen Lehrbefugnisse enthoben worden ist, wetterte gegen die „Kirche der römischen Prälaten”, die jede Opposition verketzere, unchristlich reagiere und nur Mitläufer und Anpasser erziehe.

Aber einen Professor Küng zur „Kirche von unten” und eine Mutter Teresa, die als offizielle Teilnehmerin beim Katholikentag war, als Mitglied der Etablierten „von oben” zu bezeichnen, erschien auch vielen Sympathisanten der Gegenveranstaltung lächerlich.

Manche Katholikentagsteilnehmer meinten, das Zentralkomitee hätte die inoffizielle „Konkurrenz” einfach verbieten sollen - andere wieder, daß eine selbstbewußte starke Kirchenführung den Mut hätte haben sollen, sie ins offizielle Programm einzubauen und damit zu „entschärfen.”

Aber auch beim „Jugendforum” des offiziellen Katholikentags fielen herbe Worte. Der Bundesvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, Josef Homberg, fragte kritisch, ob junge Menschen heute in die Kirche überhaupt noch jene Probleme einbringen könnten, die sie am meisten bewegten.

Auch der aus Osterreich gebürtige Passauer Universitätsprofessor Paul Zulechner meinte, die Kirche werde die Jugend „im eigenen Haus” erst wieder finden, wenn sie die „Themen des Lebens” wieder entdecke. Er erhoffte sich vom Katholikentag auch Impulse für ein erhöhtes politisches Engagement („in mehreren Parteien”) und warnte vor einer sich ausbreitenden „leblosen und blutleeren Form von Spiritualität” - ein Gedanke, der auch in Österreich nicht mehr leichtfertig vom Tisch gefegt werden kann.

Von den evangelischen Gästen, die sich „unvergeßlicher Tage brüderlicher Zusammenarbeit erinnern werden”, hatte Richard von Weizsäcker in eine ähnliche Kerbe geschlagen, als er die Institutionen von Staat und Gesellschaft gegen bisweilen etwas wirklichkeitsferne Idealisten verteidigte: „Das heißt ja nicht, daß man alles hinnehmen muß, wie es ist. Aber man darf dabei die Maßstäbe nicht aus den Augen verlieren ...”

Bei der großen Schlußkundgebung am Sonntag zelebrierte der auch von den jüngeren Teilnehmern stark beklatschte Kölner Kardinal-Erzbischof Joseph Höffner mit zehn bischöflichen Mitbrüdern die Eucharistie.

Höffner feierte die Liebe als „Grundvoraussetzung für unser Handeln in der Welt”, denn „sie zerbricht unseren Eigensinn, läßt uns den Nächsten sehen, befreit uns vom Egoismus und nimmt uns gefangen für andere.”

Erschütternd freilich wirkt in diesem Zusammenhang eine im Auftrag der katholischen Wochenzeitschrift „Rheinischer Merkur/Christ und Welt” vom Allensbacher Demoskopie-Institut veranstaltete Umfrage in der Bundesrepublik:

Daß christliche Liebe und Liebe zwischen Mann und Frau nichts miteinander zu tun hätten, bejahten knapp 40 Prozent der Befragten und nahezu 50 Prozent der 16- bis 29jährigen. Nur einer von hundert denkt beim Stichwort Liebe auch an die Liebe zu Gott.

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