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Welchen Frieden wünschen wir?

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Kurzfristig verstärkt sich in letzter Zeit die Bereitschaft der sozialistischen Staaten Europas und natürlich der dort herrschenden kommunistischen Parteien, auf internationaler Ebene mit verschiedenen ihnen aufgeschlossen seheinenden Gruppen ins Gespräch zu kommen. Dabei spielen auch religiöse christliche Gruppen und die Kirchen eine Rolle. Grundsätzlich im Bild einer fortschrittlichen kommunistischen Gesellschaft als Anachronismus zwar abgelehnt, hat der Sowjetsozialismus doch immer den Kirchen eine gewisse Bewegungsfreiheit eingeräumt, solange sie versprachen, friedlicher internationaler Entwicklung zu dienen, und solange sie in der nur als Rechtsfiktion bestehenden Trennung von Staat und Partei innerstaatlich als Muster religiöser Toleranz des Staates (bei aktivem Kampf der Partei gegen den „Aberglauben“) erschienen. Kamen dabei manche Kirchenmänner des Ostens bei manchen westlichen Kreisen auch in ein Zwielicht des Kryptokommunismus, so konnte doch vieles für die Kirche und ihr Überleben gerettet, konnten Fäden persönlicher Begegnung zwischen Ost und West erhalten werden.

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Kurzfristig verstärkt sich in letzter Zeit die Bereitschaft der sozialistischen Staaten Europas und natürlich der dort herrschenden kommunistischen Parteien, auf internationaler Ebene mit verschiedenen ihnen aufgeschlossen seheinenden Gruppen ins Gespräch zu kommen. Dabei spielen auch religiöse christliche Gruppen und die Kirchen eine Rolle. Grundsätzlich im Bild einer fortschrittlichen kommunistischen Gesellschaft als Anachronismus zwar abgelehnt, hat der Sowjetsozialismus doch immer den Kirchen eine gewisse Bewegungsfreiheit eingeräumt, solange sie versprachen, friedlicher internationaler Entwicklung zu dienen, und solange sie in der nur als Rechtsfiktion bestehenden Trennung von Staat und Partei innerstaatlich als Muster religiöser Toleranz des Staates (bei aktivem Kampf der Partei gegen den „Aberglauben“) erschienen. Kamen dabei manche Kirchenmänner des Ostens bei manchen westlichen Kreisen auch in ein Zwielicht des Kryptokommunismus, so konnte doch vieles für die Kirche und ihr Überleben gerettet, konnten Fäden persönlicher Begegnung zwischen Ost und West erhalten werden.

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Diese geringe, aber doch immer vorhandene Flexibilität sowjetischer Außenpolitik im Kontakt mit dem nichtkommunistischen Europa war nun ein Ansatzpunkt, um die jetzt doch in reale Nähe gerückte, lange erstrebte gesamteuropäische Konferenz in der breiten europäischen Öffentlichkeit ideell zu fördern. So begann 1971 in Brüssel eine Initiative verschieden weltanschaulich orientierter Persönlichkeiten (prominente Sozialdemokraten, Katholiken, Wissenschaftler darunter) zur Gründung einer europäischen Assemblee für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Anfang Juni soll es soweit sein; derzeit versucht man solche Komitees überall auf nationaler Ebene ins Leben zu rufen. Wie immer man zu einem Beitrag und Mittun in diesen Gremien steht, die offenbar einem starken sowjetischen Wunsch entsprechen, das allgemeine Angebot jedenfalls im Zeichen neuer politischer Bemühungen um die internationale Lage in Europa ist gegeben, und wir haben zumindest die bisherige Balance der Kräfte in Eufopa entlang des „Eisernen Vorhangs“ zu überdenken, eine Balance, mit der wir langsam zu leben gewohnt wurden.

Hier ist nun der Hätz, um auf Initiativen zu sprechen zu kommen, die von dem seit drei Jahren an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien bestehenden Institut für Friedensforscbung ausgingen. Angesichts sehr knapper Mittel kam neben konkreten wissenschaftlichen Arbeiten einiger Studenten und Assistenten noch die Aufgabe besonders in Frage, bescheidene wissenschaftliche Kontakte mit Ost und West in Wien zu pflegen, besonders vermittels wieder der Friedensforschung selbst und hinsichtlich der moralischen und sozialethischen Dimensionen des Friedensbegriffs. Als Brücke zum Osten bot sich das schon länger in Wien befindliche Internationale Friedensinstitut auf dem Möllwaldplatz an.

Wir kamen überein, ein Symposion zum Problem des internationalen Friedensbegriffs und der friedlichen Koexistenz von verschiedener weltanschaulicher Sicht her abzuhalten. Anfang November 1971 waren diese intensiven und sehr offenen Gespräche im kleinen Kreis von

Wissenschaftlern, besonders aus der Sowjetunion, mit katholischen Sozialwissenschaftlern zur vollen Zufriedenheit aller durch drei Tage verlaufen. Man kam grundsätzlich überein, diesen Dialog über weitere konkrete Themen fortzusetzen.

Eine erste Gegeneinladung führte mich Ende Jänner nach Moskau, zu einer wissenschaftlichen Beratung sowjetischer Forscher, bei der ich mit einigen weiteren geladenen Ausländern ebenfalls im kleinen Kreis ein Referat hielt: „Perspektiven und Realitäten in der Entwicklung der Gemeinschaft der europäischen Völker.“

Höflich konnte ich dabei doch einige im Osten nicht öffentlich beachtete Akzente setzen, konnte das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes hervorheben, oder auf die Realitäten der westeuropäischen Integration hinweisen. Am Schluß bot man mir auf meinen Wunsch sogar Gelegenheit zu offenen Fragestellungen. Die Antworten — es war die Zeit um! — wurden mir freilich erst beim Schlußempfang von sowjetischen Kollegen im launigen Gespräch wenigstens teilweise gegeben.

Nach allem bewegen wir uns unleugbar im Zuge der kommenden europäischen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit auf eine mobilere Phase der internationalen Politik in Europa hin. Damit ist ein oft schon steril gewordener Anti-kommunismus mit dem Hinweis auf eine ihres tieferen Sinnes gar nicht mehr so sichere und oft schon unterminierte demokratische Freiheitsordnung und dem etwas läppi-pischen Hinweis auf die vielen Autos und vollen Geschäfte bei uns zu neuer Begründung herausgefordert, vielmehr noch zu neuen Alternativen! Tiefgreifende gesellschafts-und bildungspolitische Aufgaben stehen vor uns. Auch wir haben das Problem der Bindung des einzelnen an Gemeinsinn und soziale Ver-pflichtetheit noch nicht gelöst, nämlich in Freiheit und Gerechtigkeit! In Moskau stellte ich die Frage nach den erlaubten Mitteln und Methoden des ideologischen Kampfes. Friedliche Koexistenz stellt, nach einem polnischen Kollegen, doch auch die Frage: Welchen Frieden wünschen wir? Ohne Gewalt soll es jedenfalls gehen! Daß keine ideologische Konvergenz im Trend der Zeit zu erwarten ist, ist auch meine Voraussetzung des Dialogs in Respekt und Toleranz. Daß Freiheit in Gerechtigkeit die Zukunft des Menschen und der Staaten in Europa aus der Kraft der Wahrheit und nicht der gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Gesetz des „Diamat“ erfolgen, mein Zusatz.

Und da sind wir bei dem sehr realen Trauma der pax sovietica. Dieses Europa hat seit dem Zerfall des einenden Reichs in nationale Staaten seinen Frieden nur im politischen Gleichgewicht der Kräfte gefunden. Wie kann aber die Sowjetunion und der sozialistische Staatenblock hier eingefügt werden, ohne daß dieser Weltmacht die Hegemonie in der für sich allein komplizierten Staatenfamilie Europas zufiele? Ein Mißtrauen, das über die historische Last des russischen Imperialismus die Nahrung aus der Parole von heute des proletarischen Internationalismus und Klassenkampfes findet. Wenn es zur Phase stärkerer Integration des Ostens in eine gesamteuropäische Zusammenarbeit kommen soll, steht neben der Abrüstungsproblematik und mit ihr die Frage ins Haus, wie kann das bisherige immerhin funktionierende System der Sicherheit auf beiden Seiten verändert werden, ohne Verlust an Sicherheit, ja mit weiterem Gewinn davon?

Eines muß den Vertretern der Aufrechterhaltung der gegebenen Konfrontation freilich gesagt werden: die Menschheit muß langsam Wege finden, Krieg und Kriegsdrohung als politisches Mittel zu überwinden und Schritte auf eine Vexrechtlichung der übernationalen Beziehungen zu machen im Vertrauen auf die Macht des Rechts. Hiebei sind trotz allem Mißtrauen Ansätze dahin zu sehen, mit Rückschlägen gewiß, daß internationale Fragen auch durch rechtliche Regelungen bereinigt werden können. Ohne einem Minimum an gemeinsamer Achtung vor Grundwerten menschenwürdigen Lebens bei allem ideologischen Unterschied wird es also doch nicht gehen. Und darum wieder der Dialog. In der Hoffnung schließlich, daß Menschen miteinander reden und nicht letztlich zwei „Systeme“. Darum Hoffnung auf einen gewissen Pluralismus selbst im geschlossensten „System“.

Diesem seltsamen Zauber der Möglichkeiten und Unabwägbar-keiten eines Europa in Vielfalt fand sich auch der Besucher der Klosterstadt Sagorsk im russischen Winter 1972 gegenüber, als er mit einigen ausländischen und sowjetischen Kollegen beim Erzbischof und Rektor der Geistlichen Akademie zu Gast am Mittagstisch saß und von demjenigen der 250 Studenten hörte, der auf die Idee kam, Priester zu werden, als er einen Artikel in der wissenschaftlich-atheistischen Zeitschrift „Nauka i Religia“ las. War des Erz-bischofs Wunsch für ein gutes Wirken allseits für den Frieden zum Abschied am Klostertor, waren die ähnlichen Worte der Kollegen beim Abschied am Flugplatz Propaganda — oder Angebot aus Überzeugung? Wir sollten jedenfalls miteinander im Gespräch bleiben.

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