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Welchen Weg geht Nicaragua?

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In den nächsten Tagen stehen in der mittelamerikanischen Republik Nicaragua wichtige Ereignisse an, die die Zukunft des Landes entscheidend prägen werden. Präsident Anastasio Somoza Debayle, Großunternehmer in nordamerikanischen Gnaden, der sein Land wie ein Arbeitslager verwaltet hat, wird wohl das tun, was er besser vor Jahr und Tag ohne Blutvergießen und ohne menschliches Elend und einen politischen und wirtschaftlichen Trümmerhaufen zu hinterlassen, vollzogen hätte: seinen Rücktritt und die Flucht ins Ausland. Somoza hat mit einer genau festgelegten Anzahl von Familien und ,mit seiner Nationalgarde gegen die Mehrheit des Volkes von Nicaragua regiert, gekämpft und verloren. Durch wirtschaftliche und politische Unterdrückung, durch tausendfachen Mord, durch Folter hat der Diktator die Nicaraguaner gegen sich l geeint.

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In den nächsten Tagen stehen in der mittelamerikanischen Republik Nicaragua wichtige Ereignisse an, die die Zukunft des Landes entscheidend prägen werden. Präsident Anastasio Somoza Debayle, Großunternehmer in nordamerikanischen Gnaden, der sein Land wie ein Arbeitslager verwaltet hat, wird wohl das tun, was er besser vor Jahr und Tag ohne Blutvergießen und ohne menschliches Elend und einen politischen und wirtschaftlichen Trümmerhaufen zu hinterlassen, vollzogen hätte: seinen Rücktritt und die Flucht ins Ausland. Somoza hat mit einer genau festgelegten Anzahl von Familien und ,mit seiner Nationalgarde gegen die Mehrheit des Volkes von Nicaragua regiert, gekämpft und verloren. Durch wirtschaftliche und politische Unterdrückung, durch tausendfachen Mord, durch Folter hat der Diktator die Nicaraguaner gegen sich l geeint.

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Die Opposition umfaßt alle Gruppen des Landes, Unternehmer wie Gewerkschafter, Bauern und Arbeiter, Priester und Intellektuelle. Sie alle bekämpfen Somoza, sei es mit dem Wort, dem Gewehr oder mit Streik. Selbst Kinder greifen zu den Waffen!

Anastasio Somoza und seine Familie, die seit rund 40 Jahren das Land beherrscht, ist an nahezu allen wirtschaftlichen und politischen Unternehmungen in Nicaragua beteiligt; er zählt zu den Reichsten der Reichen Südamerikas. Solch ein Mann, dessen Hunger nach Macht und Besitz ohnegleichen ist, weicht weder nach Generalstreik noch nach augenfälligen Demonstrationen, daß niemand im Lande ihn mehr akzeptieren will, sondern versteht offensichtlich nur die Sprache der Gewalt.

Seine Gegner wissen genau, was sie von ihm zu erwarten haben: „Ich schlafe ruhig und traumlos, esse, was der Körper braucht und bereite mich im übrigen auf die endgültige Vernichtung meiner Gegner vor.“ Seine Gegner - das nicaraguanische Volk.

So steht Bauer wie Priester, Arbeiter wie Intellektueller vor einem Dilemma: Es wird nur Gewalt helfen, um Gewalt zu beenden. Jede andere Entscheidung aber setzt Mord und Unterdrückung fort.

Seit geraumer Zeit bemühen sich die Vereinigten Staaten um eine Lösung für Nicaragua. Sie stießen dabei stets auf das- unverhohlene Mißtrauen der Mitglieder der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) und der Opposition Nicaraguas, die eine Demonstration amerikanischer Machtpolitik befürchten. Denn die Invasion amerikanischer Truppen in die Dominikanische Republik im Jahre 1965, in der Absicht, einen angenommenen kommunistischen Putsch zu vereiteln, ist unvergessen.

So mußten die Vereinigten Staaten auf einer Konferenz der OAS erleben, daß ihr Vorschlag, eine interamerikanische Friedenstruppe nach Nicaragua zu entsenden, um die Machtübernahme den amerikanischen Interessen entsprechend zu regeln, auf frostige Ablehnung stieß. Die USA haben auch im Sinne ihrer Menschenrechtspolitik Präsident Anastasio Somoza aufgegeben. Sie wollen eine parlamentarische Demokratie, die ihren wirtschaftlichen Interessen nicht entgegensteht, auf breiter Grundlage garantiert sehen.

Die Taktik, die Washington dabei verfolgt, wird von zwei Faktoren beeinflußt: der Furcht vor einem zweiten Kuba und dem Mißtrauen gegenüber den Kommunisten in den Reihen der Sandinisten (siehe Stichwort), die ihren militärischen Nachschub von und über Kuba erhalten. Deshalb die Versuche US-amerikanischer Vertreter, Mitglieder der So-moza-Familie mit „liberalem“ Anstrich als Nachfolger Somozas zu befördern, deshalb die Anstrengungen, die provisorische Regierung der Opposition durch Vertreter der Liberalen Partei Somozas zu erweitern.

Die USA stoßen dabei auf die kompromißlose Haltung der Sandinisten sowie der übrigen Opposition, auch auf die Scherben ihrer Politik der letzten Jahrzehnte: Im Jahre 1934 installierten die USA Anastasio So-moza senior als Statthalter ihrer Interessen und verließen das Land erst nach 22jähriger Besatzungszeit.

Politische Freunde hat Präsident Somoza, dessen Zeit in Nicaragua allem Anschein nach endgültig beendet ist, nur in den sogenannten „Bananenrepubliken“ Honduras, Guatemala und El Salvador, deren Machthaber bei seinem Sturz gleichfalls um ihre Existenz fürchten müssen. Fast alle übrigen Staaten Südamerikas drängen auf einen Machtwechsel, reagieren aber allergisch auf jegliche nordamerikanische Einflußnahme.

Israel hat nun auf Drängen der USA die Waffenlieferungen für So-mozas Nationalgarde eingestellt. Außerdem liegen vor beiden Küsten Nicaraguas amerikanische Kriegsschiffe, die den Nachschub militärischer Güter an die Sandinisten verhindern. Die beiden Kontrahenten sollen militärisch trockengelegt werden.

Wie ist nun die Opposition in Nicaragua beschaffen? Da gibt es die „Gruppe der Zwölf aus angesehenen Theologen, Schriftstellern und Wirtschaftlern - das intellektuelle Aushängeschild der Opposition. Die Gruppe der bürgerlichen Gegner umfaßt Unternehmer, die erkannt haben, daß ihr Land in eine Sackgasse geraten ist.

In der „Patriotischen Front“ wiederum haben sich Politiker und Unternehmer organisiert, die bemüht sind, die auseinanderstrebenden Gruppen zu integrieren um zu verhindern, daß das Land nach Somozas Niederlage in einen zweiten Bürgerkrieg taumelt.

Die eigentlichen Kampfhandlungen trägt die „Sandinistische Befreiungsfront“, die aus drei verschiedenen Gruppen besteht. Zwei von ihnen verfolgen marxistische Ziele und wollen ein sozialistisches Nicaragua. Die „Terceristas“, die dritte Gruppierung, ist nicht-marxistisch und'strebt eine parlamentarische Demokratie an.

Gleichgültig, welche Gruppierung nach Somoza die Macht übernehmen wird, ob ein Vertreter des Somoza-Clans mit „liberalem“ Anstrich, eine Gruppe aus den bisher Herrschenden und der Opposition oder eine Regierung der Oppositionskräfte - Nicaragua wird noch lange nicht zur Ruhe kommen. Die provisorische Regierungsjunta, in der die marxistischen Sandinisten in der Minderheit sind, lehnt jegüche Beteiligung von Somoza-Leuten an einer zukünftigen Regierung ab und wird den Kampf gegebenenfalls fortsetzen.

Aber auch eine Regierung der bürgerlichen Opposition im Verein mit den Sandinisten birgt den Keim künftiger Konflikte in sich, da ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele weit auseinandergehen. Ihre Waffen werden die Sandinisten nach ihrem Sieg sicherlich nicht aus der Hand geben. Der Friede wird in Nicaragua noch lange ungesichert sein“.

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