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Welcher Macht dienen Christen ?

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,,Macht der Mächtigen -Ohnmacht der Mächtigen - Ohnmacht der Ohnmächtigen - Macht der Ohnmächtigen“ - wie sieht ein Kirchenhistoriker dieses Thema? Tut der Kirche ein Bündnis mit der politischen Macht gut?

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,,Macht der Mächtigen -Ohnmacht der Mächtigen - Ohnmacht der Ohnmächtigen - Macht der Ohnmächtigen“ - wie sieht ein Kirchenhistoriker dieses Thema? Tut der Kirche ein Bündnis mit der politischen Macht gut?

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Die „Macht der Ohnmächtigen“ scheint in der Stammesgeschichte dort einzusetzen, wo sich der körperlich unterlegene Hominide plötzlich durch sein menschliches Bewußtsein in die Lage versetzt sieht, Werkzeuge und Waffen zu erzeugen, zu gebrauchen und damit seine Ohnmacht gegenüber der Macht der Umwelt zu überwinden.

Im Bereich der menschlichen Träume und Sehnsüchte scheint dieses Motiv seit Jahrtausenden verankert zu sein. Immer wieder sind es die Jüngsten, Kleinsten und Schwächsten, die mit Hilfe einer günstig gesinnten Fee oder einfach ihres besseren Intellekts die Siebenmeilenstiefel finden, mit denen sie ihren „mächtige-

ren“ Brüdern davonlaufen. So wurden in Traum und Wirklichkeit Ohnmächtige immer Mächtige, Mächtige dagegen im intellektuellen Wettstreit immer auch Ohnmächtige.

Die Bibel griff dieses allgemein verständliche Motiv der Menschheitsgeschichte auf. Denn nichts Menschliches war ihr fremd. Sie füllte es aber mit dem ihr eigenen neuen theologischen Gehalt.

Zunächst wehrten sich die religiösen Führer des Volkes gegen ein machtvolles Königtum. IsraeL wollte mächtig sein wie die anderen Völker durch ein mächtiges Königtum, das so war wie das der anderen auch. Doch die Propheten wollten dem Volk beibringen, daß Gott sein einziger König sei. Der würde ihm in Notzeiten jene** Macht verleihen, die es braucht, um zu überleben. Die Macht der Ohnmächtigen sollte demnach der Bundesgott Jahve sein.

Aber diese Art von Macht genügte dem Volk Gottes nicht. Es war ein Problem von Glauben und Vertrauen. Diese Art von Glauben und Vertrauen, das Ohnmächtige brauchen, um mächtig zu sein, besaßen sie nicht.

Da gab ihnen Gott Könige. An ihnen sollten sie erleben, daß die Macht der Menschen nicht immer weise, schöpferisch und milde ist. Gott hatte soviel Verständnis für ihre Schwäche und Torheit, daß er ihnen sogar das Gesetz der mächtigen Ohnmacht in der Gestalt der Könige zeigen wollte.

In Saul und David lehrte Gott sein Volk die Paradoxie unseres Themas, daß die Mächtigen in Wirklichkeit ohnmächtig und die Ohnmächtigen in Wirklichkeit mächtig sein können. Saul glaubte, mit eigener Macht (auch mit religiösen Praktiken) das Schicksal zwingen zu können. Er endete aber zerrüttet und seiner selbst entfremdet bei der Hexe von En-dor. Sie mußte ihn päppeln wie ein Kind. David dagegen begann zunächst als der Däumling der Märchen. Ein Hirtenknabe, unbewaffnet, erschlug er Goliath, diesen Urtyp ungläubiger Selbstherrlichkeit.

Aber hier war es nicht nur eine gnädige Fee oder der bessere Intellekt, der über die grobe Masse triumphierte, sondern es war die Kraft Gottes, die in der Schwachheit des Hirtenknaben triumphierte. So wurde für den biblischen Menschen die Ohnmacht des Menschen Anlaß, die Herrlichkeit Gottes (die Kabod Jahve) zu erfahren. Der Mensch lernte, sich freiwillig der Macht der Magie, der Suggestion und der Mani-

pulation zu begeben und dafür den Glauben an die „Allmacht“ Gottes einzutauschen. So wurde eigentlich der Glaube die Macht der Ohnmächtigen.

Die Israeliten entwickelten darauf eine regelrechte Armentheologie, die uns vor allem in den Psalmen begegnet: „Er hebt auf von der Erde den Ohnmächtigen, und aus dem Dreck richtet er auf den Armen'4 (Ps 112). „Deposuit potentes de sede et exaltavit hu-miles“ läßt dann Lukas Maria im Magnifikat singen.

Paulus übernahm dann diese Theologie und machte sie nach

seinem Damaskuserlebnis zu einer Kreuzestheologie, derer sich seit ihrem Ursprung die Christenheit wenigstens theoretisch verpflichtet weiß. Die Torheit, das Ärgernis und die Ohnmacht des Kreuzes wird ihm zur „Macht“ schlechthin, zur einzigen Quelle des Heils und der Erlösung.

Die Christenheit hat dieses ihr Grundgesetz ähnlich schlecht verstanden wie das alte Volk Gottes. Immer wieder wurde sie „ungläubig“, indem sie lieber dem Gesetz der Macht folgte als dem der heilbringenden Ohnmacht. Auch ihr mußte immer wieder mit Gewalt gezeigt werden, worin ihre wirkliche Stärke beruhte. Das mögen einige wenige Beispiele erläutern:

Als im vierten Jahrhundert die Kirche der Märtyrer schließlich aus ihrer politischen Ohnmacht befreit, zunächst ungeschoren, dann aber auch bald respektabel, mit öffentlichen Ämtern betraut, Reichsreligion wurde, atmeten die Christen zunächst auf. Der Schutz der politischen Macht tat gut. Schließlich war man jetzt auch in den Augen der Mächtigen und früheren Todfeinde für die „salus publica“ zuständig. Es war sogar etwas Gutes an dieser neu-

gewonnenen Macht: Sie verhinderte, daß das Christentum eine esoterische Sekte blieb, voller hochmütiger Rigoristen und Asketen.

-Aber das Bündnis mit der politischen Macht wurde teuer bezahlt. Jetzt folgte das ganze Elend von Theologengezänk, Eifersüchteleien, Glaubenshader und Kirchenspaltung. Den siegreichen Islam begrüßten die Christen Ägyptens und Syriens als Befreier. Der gewissen Macht der guten Tage war eine lähmende Ohnmacht gewichen. Im Mittelalter hielten reformerische Kreise und Kirchenkritiker die Konstantinische Wende etwas übertrieben für den schwersten Sündenfall der Christenheit.

Als das Papsttum nach den Demütigungen und dem sittlichen Verfall des „Dunklen Jahrhunderts“ nach 1046 mit Hilfe des Kaisers wieder erstarkte, freuten sich die meisten Christen, selbst die Kaiser. Kaum war jedoch die „Macht“ auch bloß sittlicher Autorität wieder gewonnen, ging gerade von den Tüchtigsten wieder das Unheil des Schismas von 1054 aus, das bis heute Ost und West spaltet. Die Gregorianer taten viel für die Freiheit der Kirche, sie bannten den Kaiser und erbauten Festungen in ihren Bischofsstädten zum Schutz gegen ihre eigene Herde (und auch gegen Füchse und Wölfe von auswärts).

„Eine feste Burg ist unser Gott“ sangen dann trotzig die Reformatoren, um gleich wieder ein neues, noch innigeres Bündnis als die alten Christen mit ihrem Landesfürsten und obersten Bischof einzugehen. Man predigte heilbringende Ohnmacht des Kreuzes, hielt es aber gleichzeitig mit den Mächtigen, die einem Schwärmer, Täufer, Abweichler, Atheisten und Hexen vom Halse hielten.

Die schwerste Ohnmachtserklärung der neuzeitlichen Christenheit war die Französische Revolution. Man hatte zum Beispiel mit dem herkömmlichen Klosterwesen so gründlich aufgeräumt, daß es 1801 nicht mehr Gegenstand des Konkordates war. Trotzdem gab es im 19. Jahrhundert ein Vielfaches von neuen religiösen Gründungen, verglichen mit der Zeit vor 1789. Eine Zeit voller Problematik und Niederlagen war es. Der Glanz der Reichskirche war dahin, der Kirchenstaat liquidiert. Kleinmütige und Religionsgegner meinten, das sei das Ende des Christentums.

Aber es war ein neuer, vitaler Anfang. Nach 1870 wurde fast jedes Jahr ein neuer religiöser Orden gegründet. Die Missionare starben wie die Fliegen in den Ländern der Kolonialmächte, sie leisteten sich viele Fehler, aber die Missionskirche steht bis zum heutigen Tag.

Die Beispiele könnten beliebig vermehrt werden. Sie können zeigen, daß im Christentum eine „Macht“ am Werk ist, die des öfteren durch politische Macht eher verdunkelt wurde. Oder weniger mißverständlich ausgedrückt: Auch die Christen mußten lernen, daß sie „durch die Reiche dieser Welt“ korrumpiert werden konnten. Denn sie sind gewöhnlich nicht viel besser als die „Kinder dieser Welt“. Aber sie dürfen auch immer beglückend erleben, daß Gottes Kraft in ihrer Schwachheit mächtig ist.

Der Autor ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Salzburg.

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