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Welcher Magier ist nicht stolz auf sein Kunststück?

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Das Wiedersehen mit dem UNO-Ge- neralsekretär Kurt Waldheim (das letzte Pressegespräch des FURCHE- Mitarbeiters mit ihm fand vor drei Jahren im Februar des Jahres 1973 statt) war die Begegnung mit einer wesentlich sicherer gewordenen, erfahrenen Persönlichkeit.

Damals noch erpicht, Verdienste aus allen Winkeln zu holen, zugleich aber nirgends anzustoßen - und der Ecken gibt es in einer 147 Mitglieder umfassenden Organisation zahlreiche - ist Waldheim heute ein selbstsicherer Politiker, der über eigene Leistungen ebenso frei und bereitwillig berichtet, wie er Versagen und Rückschläge zugibt.

Daher empfindet Waldheim auch die Wiederwahl zu einer zweiten fünfjährigen Amtsperiode als eine Anerkennung seiner Leistungen, seiner Objektivität und seines Aktivismus. Daß seine Person ideal in das internationale Spannungsfeld paßt, daß die Großmächte keine zusätzlichen Streitgegenstände wollen und daher den Status quo bevorzugen, wird nicht erwähnt. Ost und West, Nord und Süd - alle hätten seiner Amtsführung Anerkennung gezollt; und daß sich ein Kandidat der Dritten Welt überhaupt präsentiert habe, sei gewissermaßen ein Irrtum gewesen „… denn der Kandidat der Dritten Welt war eigentlich ich“. Selbst die Haltung der Pekingchinesen wird als indirekte Anerkennung empfunden. „Das erste Veto ist ein rein symbolischer Akt gewesen und im zweiten Wahlgang haben sie für mich gestimmt…“ (Sie hätten sich ebensogut der Stimme enthalten können.) Trotzdem - 1981 wird Waldheim nicht mehr kandidieren - zuviel Substanz werde da abgefordert, zuviel Energie absorbiert.

Waldheim sieht sich aber nicht nur persönlich als eminent qualifiziert, er glaubt auch, diese seine Eignung ganz wesentlich seinem Oster reichertum zu verdanken. So sieht er sich als den Erben jener weisen österreichischen Mentalität, die den Ausgleich sucht, weil sie das Verständnis für viele Standpunkte aufzubringen vermag. Er sieht sich als „ehrlicher Makler“, anerkannt von allen Rassen und Ideologien, obwohl er seine „bürgerliche Einstellung ebensowenig verberge“ wie sein „Bekenntnis als praktizierender Katholik“.

Die Qualifizierung als „ehrlicher Makler“ hat eigentlich auch niemand angezweifelt. Worüber es Meinungsunterschiede gibt, ist die Methode, mit der Waldheim sein Ziel anstrebt. Selbst seine Kritiker geben zu, daß er zäh, bienenfleißig, über erhebliches taktisches Geschick verfügt. Sein Verhandlungstalent wird ebensowenig in Frage gestellt wie seine Fähigkeit, außenpolitische Engpässe durch taktische Interventionen zu überwinden, die Feindseligkeiten ausräumen. Einmal ist es eine geschickt arrangierte Sitzordnung, ein anderes Mal wird an Stelle eines runden Verhandlungstisches ein ovaler aufgestellt Was Waldheim aber mitunter abgesprochen wird, ist der Tiefgang, die Fähigkeit, weltweite Konzepte zu entwickeln, tragende Prinzipien aufzustellen und sich von ihnen leiten zu lassen. Unter seinen Vorgängern repräsentierte vor allem Dag Hammarsk- jöld diesen Typ, „der mythische Hammarskjöld“, wie Waldheim seinen Vorgänger leicht bewundernd, leicht ironisch nennt.

Waldheim sieht sich nicht als Schöpfer einer Weltordnung. Er sieht seine Aufgabe in der Einhaltung der Charta, in praktischer Arbeit für internationale Verständigung, und weiß sich dabei im Einklang mit allen religiösen Moralprinzipien. Als Pragmatiker hat er das Grauen des Zweiten Weltkrieges an der Front und die Besetzung Österreichs miterlebt; er will alles unternehmen, um der Welt ähnliche Erlebnisse zu ersparen. Er sieht sich daher als Aktivist des Friedens.

Waldheim führt das zwar nicht aus, aber er läßt durchblicken, daß er die Erhaltung des Friedens nicht allein den Großmächten überlassen will Er versucht sich daher auch dann oft ein zuschalten, wenn ihn niemand gerufen hat Und bei dieser Tätigkeit müsse man, meint er, „die facts of life“ sehr genau kennen. Ein weniger gewiegter Taktiker, ein Mann ohne Waldheims Fingerspitzengefühl wäre hier schon längst zugrunde gegangen. Denn Waldheim ist weder kontemplativer Sinnierer, noch versucht er Supermacht zu spielen. Er kennt die Grenzen seiner realpolitischen Möglichkeiten. Trotzdem scheut er sich nicht, einzudringen, wo ein Vakuum entsteht. Der Übergang von Ford zu Carter, der Abgang Kissingers, ein Interregnum in der amerikanischen Außenpolitik - und schon ist Waldheim auf dem Plan. „Warum auch nicht?“ meint er. „Es ist keine Zeit zu verlieren.“ Er will die Pattsituation der Genfer Mittelostkonferenz durch spezielle Verfahrensideen überwinden, und hier hat er auch eine echte Funktion zwischen den Großmächten zu erfüllen.

Sein Freund Kissinger habe schon vor geraumer Zeit zugegeben, daß die Zeit der persönlichen Diplomatie, die Zeit der kleinen diplomatischen Schritte vorbei sei; die Parteien wollten eine möglichst totale Lösung. Der „ehrliche Makler“ will sein Schärflein dazu beitragen. Er würde aber vermutlich seine betonte Bescheidenheit schnell ablegen, wenn er als eigentlicher Architekt des Friedens aus einer solchen Konferenz hervorginge. Aber ohne Ehrgeiz kein Einsatz, ohne Einsatz keine Leistung.

Neben seiner Tätigkeit im Rampenlicht erreichte Waldheim hinter den Kulissen wahrscheinlich mehr. Er nennt das die „ruhige Diplomatie“. Sie habe zur Beilegung des iranisch-irakischen Grenzkonflikts geführt. Überdies habe sein schnelles Handeln im Oktober 1973 vermutlich einen Weltkonflikt verhindert Binnen 24 Stunden konnte er ein UNO-Kontingent von Zypern nach Ägypten werfen und dort die Waffenstillstandslinie besetzen, während Amerikaner und Sowjets hinter den Armeen ihrer Klienten bereits zum Schlage ausholten.

Ebenso als sein „stilles Verdienst“ empfindet er den relativ reibungslosen Entkolonialisierungsprozeß in Afrika, wo in einigen Jahrzehnten 45 Nationalstaaten innerhalb historischer Grenzen entstanden sind. Wohl gibt er zu, daß großräumigere Lösungen vielleicht vernünftiger gewesen wären, aber wieder gewinnt man den Eindruck, es sei weniger Waldheims Aufgabe, Konzepte auszuarbeiten, als vielmehr den Prozeß der Nationwer- dung zu erleichtern und Geburtswehen möglichst zu lindem.

Wir sprechen dann vom scheinbar unaufhaltsamen Wachstum der Bürokratie, das auch auf internationaler Ebene seinen eigenen Gesetzen folgt. Er habe nach seinem Amtsantritt einen zweijährigen Aufnahmestopp verfügt und 400 Planposten eingespart.

Nicht zufrieden ist er mit der Pariser Nord-Süd-Konferenz. Der Teilnehmerkreis sei zu eng gezogen, zu regional. Schließlich werde die UNCTAD auf weltweiter Ebene verhandeln müssen. Die UNO wolle nicht die alte Wirtschaftsordnung zerstören, aber ganz ohne Planung gehe es nicht, man könne nicht stehen bleiben, die Ordnung von Brėtton Woods bestehe nicht mehr.

Und dann schlußfolgert Waldheim: „Wir brauchen eben beides: bilaterale und multilaterale Bestrebungen.“ Wir brauchen die Großmächte, aber wir müssen auch die Interessen der Kleinen vertreten.

Terrorismus? Jawohl, hier haben wir versagt Die Initiative der Bundesrepublik in Richtung auf Konvention gegen Geiselnahmen wird zwar gelobt aber er gibt unumwunden zu, daß er enttäuscht sei. Er habe nach den Morden bei der Münchner Olympiade Maßnahmen gegen den Terrorismus vorgeschlagen, dies sei ihm jedoch als eine Beeinträchtigung der Freiheitsbewegungen ausgelegt worden. Ent- ebbe? Hier sei er falsch zitiert worden. Er habe niemals von „flagrant agres- sion“ gesprochen, sondern von der „Verletzung der Souveränität eines

Mitgliedstaates“, was es auch gewesen sei. Ebenso habe er auch seiner Genugtuung über die Befreiung der Geiseln Ausdruck verliehen.

Verläßt man Waldheim, so nimmt man zunächst den Eindruck mit, daß hier ein Mann am Werk ist, der mit dem großen bürokratischen Instrument, das ihm zur Verfügung steht, ein wenig unberechenbar operiert Man kommt aber bald zur Einsicht, einem sehr genau abwägenden Aktivisten gegenübergesessen zu sein, einem Mann voll des guten Willens und begabt mit einem feinen Sensorium für das Mögliche. Ein Zeitgenosse solcher Primadonnen wie Kissinger, Gro- myko und Giscard, der zwischen diesen Kraftzentren noch genügend Bewegungsraum findet, um tätig zu sein ohne anzustoßen, verdient Anerkennung für mehr als nur taktisches Geschick. Es ist ihm gelungen, den Großmächten seine Organisation als das letzte Konferenzzimmer vor dem Zusammenstoß vertraut zu machen und sie der Dritten Welt als ein Instrument ihrer nationalen Bestrebungen zur Verfügung zu stellen. Damit wird fast die Quadratur des Zirkels erreicht. Und welcher Magier ist nicht stolz auf sein Kunststück?

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