7059953-1991_32_08.jpg
Digital In Arbeit

Welches Buch für die Insel?

Werbung
Werbung
Werbung

Fast jedem ist schon einmal die „Inselfrage" gestellt worden. Was erdenn mitnähme, wenn er nur einen Wunsch frei hätte. Vielleicht auch einen „Inselmenschen". Es gibt davon eine positive und eine negative Version. Erstere bezeichnet einen Menschen mit solch außergewöhnlichen Vorzügen, daß man es auch jahrelang allein auf der Insel mit ihm aushalten könnte, selbst wenn er der einzige Mensch dort wäre. Letztere beschreibt jemanden, mit dem man nicht einmal dann warm werden könnte, selbst wenn er dereinzige Mensch auf der Insel wäre.

Aber vor allem geht es um das „Inselbuch". Darüber nachzudenken, welches Buch man auswählen würde, wenn man nur eines mitnehmen dürfte, kann durchaus anregend sein.

Genaue Beschreibungen der Insel werden bei dieser Frage meistens nicht angegeben-das istnicht üblich. Dabei wäre das wichtig zu wissen. Erst einmal, ob man dort alleine wäre oder in menschlicherGesellschaft, und wenn ja, in welcher. Es ist doch entscheidend zu wissen, ob es ein Buch sein soll, das der menschlichen Gemeinschaft nützt oder eines, das einem die Einsamkeit erträglicher machen soll.

Auch die klimatische Lage der Insel wäre von Bedeutung. Ob es ein raues Eiland, über das der Nordsturm fegt, oder eine tropische Insel mit

Palmenstrand und ewigem Sommer ist. Ob man also mit dem Buch lange, kalte Winterabende zu überstehen hätte oder ob es nur einem besinnliches Mußestündchen dienen soll, nachdem man den ganzen Tag ein paradiesisches Leben geführt hat. Interessant wäre auch, ob ich in völliger Wildnis überleben müßte, oder ob eine kulturelle Struktur vorhanden wäre. Denn das wäre wohl das „MegaBuch", das Trost für all diese Situationen in einem böte, das Utopia der Schriftstellerei sozusagen.

Zu schnelle Antworten

Oft bekommt man die Antwort „die Bibel". Mir leuchtet das ja ein, wenn ich es in manchen Fällen auch nicht für ehrlich halte. Solche Antworten kommen meist zu schnell und wecken den Verdacht eines Klischees, speziell wenn die Befragten sich dann oft als eher dürftige Bibelkenner erweisen. Ich habe auch schon ein paar Engländer nach besagtem Buch gefragt und auch da habe ich zu oft und zu schnell die Antwort „Shakespeare" bekommen. Gesamtausgaben werden auch gerne genannt. Da hat man gleich ein paar Fliegen auf einen Schlag. Man sollte dies durchgehen lassen, besonders wenn es sich um eine windige Nordseeinsel handelt.

Die Frage nach dem Inselbuch soll dazu dienen, wirklich einmal nachzudenken, was einem an Büchern wichtig ist, nicht aber um sich besonders fromm oder besonders gebildet auszugeben. Etwas kommt beim Nachdenken auf alle Fälle heraus: Es gibt Bücher für bestimmte Gelegenheiten. Bücher etwa, die einen trösten, erheitern und bestätigen können - auf einer einsamen Insel würden sie wenig helfen. Und umgekehrt könnte ein kostbarer Lyrikband, unter der Himmelsglocke eines tropischen Abends gelesen, plötzlich schal erscheinen, wenn man morgens die Zeitung mit ihren Schreckensmeldungen gesehen hat.

Weiters kommt hinzu, daß sich die bevorzugten Bücher selbstverständlich auch mit dem Lebensalter ändern. Wälzt man gerade Identitätsprobleme, würde man sich vielleicht für Max Frisch entscheiden, etwas später im Leben wäre es möglicherweise wirklich die Bibel. Dann gibt es auch noch diese wunderbaren Bücher, die einen nach zwanzig Jahren wieder genauso begeistern; oder auch jene, bei denen man beim besten Willen nicht mehr verstehen kann, was einen jemals daran gereizt hat. Es gibt auch solche, an denen man immer wieder etwas Neues findet.

Also, was wird es für ein Buch? Die Bibel, der gesammelte Goethe oder Shakespeare? Vielleicht Friedrich Hölderlin oder ein schöner, langer Dostojewskij? Auch wenn man zu keinem Schluß kommt, so lohnt es sich doch, einmal ernsthaft darüber nachzudenken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung