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Welt im Belagerungszustand

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Es begann 'mit zeitweise fast routinemäßigen Flugzeugentführungen der Palästinenser. Seither wurden' die Methoden der Terroristen nicht nur perfektioniert, sondern auch Allgemeingut einer steigenden Zahl größerer, kleiner und kleinster Gruppen und Grüppchen, die ihre Ziele anders nicht erreichen können.

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Es begann 'mit zeitweise fast routinemäßigen Flugzeugentführungen der Palästinenser. Seither wurden' die Methoden der Terroristen nicht nur perfektioniert, sondern auch Allgemeingut einer steigenden Zahl größerer, kleiner und kleinster Gruppen und Grüppchen, die ihre Ziele anders nicht erreichen können.

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So ist es zum Beispiel völlig unwahrscheinlich, daß die arabischen Terroristen, die Wien unter Zurück-lassumg dreier Toter, darunter eines

österreichischen Polizisten, mit einer Flugzeugladung arabischer Minister ungehindert verließen, Kontakt mit den Ambonesen hatten, deren Geiselnahmen in einem Zug auf offener Strecke und im indonesischen Konsulat in Amsterdam in einein wochenlangen Nervenkrieg ausarteten, oder mit den IRA-Terroristen, die sich schließlich in einer Londoner Wohnung ergeben mußten.

Trotzdem könnte man meinen, der Überfall auf das OPEC-Hauptquartier in Wien sei die unmittelbare und direkte Verarbeitung der holländischen und Londoner Erfahrungen. In diesen Fällen waren die Geiseln in dr Hand der Terroristen kleine Leute oder untergeordnetes diplomatisches Personal.

Aber wenn die verhafteten IRA-Terroristen in London und, die verhafteten Ambonesen in Holland Gelegenheit gehabt hätten, jenen, die den Wiener Anschlag planten, einen Rat zu geben, dann hätte er wohl lauten müssen: nehmt nächstes Mal Leute, die so wichtig sind, daß man mit ihrem Leben nicht spielen kann. Oder nicht zu spielen wagit. Und schlagt nächstes Mal in einem Land zu, in dem eine harte, standfeste Haltung der Behörden am wenigsten zu befürchten ist.

Im gegenständlichen Fall ist allerdings zu vermuten, daß es solcher Beispiele und Ratschläge nacht bedurfte, denn die periodische Anhäufung arabischer und anderer hochrangiger Politiker in einem Gebäude der Wiener Innenstadt ohne weithin sichtbare, starke Bewachung könnte Gruppen mit besonders radikaler Einstellung oder besonderen Profi-lierungsbedürfnissen im palästinensischen Untergrund schon lange in die Augen gestochen haben. Der Terrorakt am Schottentor war eigentlich die logische Fortsetzung von Schönau. Aber er war auch der logische nächste Schritt in der Eskalation des internationalen Terrors.

Mit diesem Terror einer steigenden Zahl von Gruppen unterdrückter oder aufbegehrender Minderheiten, /ideologisch oder nationalistisch Fanatisierter und wohl auch verrückter Außenseiter wird die Welt wahrscheinlich längere Zeit leben müssen. Welche Mittel gibt es dagegen? Gibt es überhaupt welche?

Früher oder später werden zumindest die demokratischen Länder um eine gemeinsame Linie gegen den Terrorismus nicht herumkommen. Vor allem um einen gemeinsamen Verhaltenskodex bei vollzogenen Geiselnahmen, der sich freilich mehr an Londoner und holländischen als an Wiener Beispielen orientieren sollte. Ein solcher Kodex sollte in einem Fall wie unserem, für ein Land mit notorisch geringer Standfestigkeit im Krisenfall, wenigstens eine gewisse internationale Rückendeckung bedeuten — vorausgesetzt, man ist bereit, eine konsequente Haltung gegenüber mordenden Erpressern überhaupt in Erwägung zu ziehen.

Aber die Welt wird leider auch zur Kenntnis nehmen müssen, daß ihr die Prävention gegen solche Anschläge gegen ihre empfindlichsten Nervenzentren einige Abstriche von einer uns selbstverständlich gewordenen Lebensweise auf dem Präsentierteller abverlangen werden.

Nichts deutet auf ein bestehendes Abflauen des Terrors hin. Wenn auch wir in Österreich mit dem Terror leben müssen: sollten nicht massive Doppeltüren, wie sie sich in jeder israelischen Botschaft auf der ganzen weiten Welt seit Jahren bewähren, längst zur Standardausrüstung jedes Botschaftsgebäudes gehören? Vergitterte Fenster Im Erdgeschoß? Oder wenigstens die Möglichkeit, das Zimmer des Botschafters abzuriegeln, sobald die Portierloge gestürmt wird?

Technische Maßnahmen solcher Art erscheinen uns nicht nur wirkungsvoller, sondern auch wesentlich harmloser oder wenigstens tragbarer für die Gesellschaft als legislative Maßnahmen, welche die Freiheit aller — oder ihren rechtlichen Schutz — einschränken, Sondervollmachten für die Polizei oder gar die Einführung der Todesstrafe, die in einigen Ländern (wohlgemerkt keineswegs in Österreich) erwogen wird, aber kaum in der Lage sein dürfte, auch nur einen Terrorakt zu verhindern.

Der Terrorismus hat heute manche Funktion übernommen, die einst der Krieg hate. Er fasziniert unter anderem einen Menschentyp, der sich einst im Krieg oder wenigstens in der Vorfreude auf den Krieg ausleben konnte. Längst hat der Typus des potentiellen Terroristen eine kopftstarke Subkultur, einen weltweiten terroristischen Untergrund hinter sich, in dem die Terroristen wurzeln, Bestätigung und Ermutigung finden, Erfolge in Prestige umsetzen können, und so, wie „die Unterwelt“ Verbrecher hervorbringt, garantiert auch schon allein das Vorhandensein eines solchen terroristischen Untergrundes eine Fortsetzung des Terrors mit immer neuen Mitteln.

Darauf müssen wir uns vorbereiten. Das Resultat ist zweifellos eine weniger sichere, weniger schöne, weniger freie Welt. Es ist eine Art von Belagerungszustand mitten im Frieden, dem wir entgegengehen. Aber es ist eine Realität.

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