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Welt von gestern - Welt von morgen

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„Die Situation vor dem Absprung löscht mit allen anderen Unterschieden auch den des Ranges aus", hat Jean Amery in seinem Versuch über den Freitod geschrieben. Über den Rang des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig ist viel geschrieben, gestritten, mißverstanden - und in jüngster Zeit (seit 1981 zur Hundertjahrfeier seines Geburtstages mit einer Gesamtausgabe seines Werkes begonnen wurde) viel berichtigt worden.

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„Die Situation vor dem Absprung löscht mit allen anderen Unterschieden auch den des Ranges aus", hat Jean Amery in seinem Versuch über den Freitod geschrieben. Über den Rang des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig ist viel geschrieben, gestritten, mißverstanden - und in jüngster Zeit (seit 1981 zur Hundertjahrfeier seines Geburtstages mit einer Gesamtausgabe seines Werkes begonnen wurde) viel berichtigt worden.

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Stefan Zweig war am 28. November 1881 in Wien zur Welt gekommen, er stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie und sollte materielle Sorgen zeitlebens nicht kennenlernen. Er hatte früh zu schreiben begonnen und der Erfolg kam ebenfalls früh. Kaum jemand würde heute an Stefan Zweig denken, wenn nach dem meistverkauften und vor allem meistübersetzten deutschsprachigen Autor der zwanziger und der dreißiger Jahre gefragt wird. Und doch war es so: Stefan Zweigs - wenigstens kommerzieller- Erfolg überstieg den Thomas Manns oder Hermann Hes-ses in jenen Jahrzehnten bei weitem.

Dabei hatte Zweig durchaus als gewichtiger, sehr ernstzunehmender Schriftsteller gegolten. Er selber verstand sich zu Recht als der Europäer und Weltbürger, der er durch weite Reisen und die Lektüre fremden Schrifttums schon in seiner frühen Jugend geworden war. Mehr als seine berühmten Kollegen setzte er sich für Intemationalität und Verständigung nicht nur in der Kunst, sondern zwischen den Völkern ein, und im Grunde war er, der heute den meisten als ein Mann und ein Autor der „Vergangenheit" gilt, ein Mensch der Zukunft - nämlich unserer gemeinsamen europäischen Zukunft, die vielleicht jetzt erst, mit etwas Glück, zur Wirklichkeit werden wird.

Signal an die Intellektuellen

Daß sein Freitod vor fünfzig Jahren in Petropolis, einem unweit von Rio de Janeiro gelegenen Städtchen, die übrigen Autoren im Exil erschüttern, ja entmutigen mußte, läßt sich leicht nachempfinden. Da war einer, der es in jeder Hinsicht - künstlerisch, finanziell - „geschafft" hatte, dessen Wort etwas zählte. Und gerade dieser hatte sich zum Exil einen Ort gewählt, der-anders als New York oder London oder Los Angeles - geradezu am Ende der Welt lag: Brasilien, wo Stefan Zweig freilich wie ein Sohn empfangen und zuletzt mit einem Staatsbegräbnis verabschiedet wurde. Aber das Signal an die deutschen und österreichischen Intellektuellen wie Künstler war dunkel genug: wenn ein Stefan Zweig es nicht schaffte, wenn nicht einmal er den Mut zum Weitermachen aufbrachte, wer durfte dann auf Licht am Ende des Tunnels des NS-Faschismus hoffen?

Darüber hinaus wurde Stefan Zweigs Suizid, bei dem seine zweite Ehefrau Lotte ihn begleitete, zu einem der großen Doppelselbstmorde der Literaturgeschichte - Heinrich von Kleist kommt in den Sinn, und in jüngerer Zeit Arthur Koestler. Die allgemeine Öffentlichkeit hatte 1942 freilich wenig Kraft und Zeit, sich über die Greuel jedes neuen Tages hinaus mit dem Scheitern eines einzelnen aufzuhalten, und als der Weltkrieg endlich vorüber war, schien es auch mit Stefan Zweigs Ruhm ein Ende zu haben.

Seine Bücher, millionenfach verbreitet, wurden freilich gelesen, seine Hauptwerke, „Sternstunden der Menschheit", „Verwirrung der Gefühle", die „Schachnovelle", und vor allem auch die großen Biographien über Joseph Fouche, Marie Antoinet-te, Maria Stuart und - die über Erasmus von Rotterdam, in der Zweig im Grunde seine eigene Lebenshaltung abspiegeln wollte und abgebildet sah, gehören zum festen Bestand deutscher Literatur. Aber Bekanntsein und Gelesensein ist etwas anderes als Gelesensein und Gültigsein.

Auch verehrte Kollegen und Freunde äußerten sich im nachhinein etwas harsch über den Toten, der die Verzweiflung über sein geliebtes Europa, das in allem, was zählte, in Trümmer zu versinken schien, nicht ertragen konnte. Stefan Zweig hatte sich, darin liegt seine zukunftsweisende Bedeutung, recht eigentlich als verantwortlich für sein Europa gefühlt. Wie konnte er die Sonne Brasiliens als Trost annehmen, wenn auf seinem Erdteil nur noch Dunkel herrschte? Ein-sehr österreichischer - Hang zur Schwermut war seit jeher in ihm angelegt gewesen, es genügt, nur eine Fotografie dieses Autors zu betrachten, um diese allgegenwärtige Trauer - auch in seinen besten, den Salzburger Jahren zwischen 1919 und 1934, als er das „Paschinger-Schlößl" auf dem Kapuzinerberg mit seiner ersten Gattin Friderike bewohnte und zum internationalen wie liberalen Intellektuellen- und Künstlersalon in aller privaten Stille verwandelte - zu entdecken.

Wer war nicht aller bei den Zweigs in Salzburg ein- und ausgegangen, unabhängig von den Salzburger Festspielen, von denen Hugo von Hofmannsthal den Dichterkollegen fast eifersüchtig auszuschließen suchte. Aber als er aus dem Leben gegangen war, schrieb ein Hermann Hesse (in einem Brief vom 16. Mai 1942 an Otto Baseler) zum Beispiel: „Zweigs

Tod hat auch mich ergriffen. Doch habe ich zu ihm... immer ein halbes und gestörtes Verhältnis gehabt, denn so sympathisch mir seine Gesinnungen waren, so war er eben doch mein Kollege, ...und hat eine Menge Bücher mit schneller Geschicklichkeit und in schlechtem Deutsch geschrieben. Für mich war er als Autor trotz allem ein Schädling, die guten Deutschen fielen ja auch gründlich auf ihn herein und waren sogar von seinem wurzel- und atemlosen, mühsamprächtigen Journalistenstil ganz entzückt und wären es heute noch, wenn nicht zufällig jetzt Antisemitismus Vorschrift wäre..." Und fünf Jahre später schreibt derselbe Hesse (in einem Brief vom August 1947 an Felix Lützkendorf): „...seine Gesinnung war gut, er folgte darin treu seinem Führer Romain Rolland. Im übrigen halte ich weder seine Dichtungen noch seine vielen andern Bücher für etwas von mehr als Tageswert..."

Diese Meinung schien auch die der Germanistik und der literarischen Öffentlichkeit zu sein, bis die eingangs erwähnte Hundertjahrfeier seiner Geburt vor kaum elf Jahren eine Wende einleitete. Heute forschen Gelehrte in aller Welt im Werk Stefan Zweigs, in den wichtigsten Weltsprachen werden die Bücher aufgelegt -und diese Renaissance geschieht nicht zufällig:

Es ist richtig, Stefan Zweig war kein Hermann Broch, kein Robert Musil, kein Thomas Mann, er war auch kein Romain Rolland. Die Besessenheit des Dichters, den einzelnen Satz zu beseelen und zur Welt in sich zu gestalten, fehlte Stefan Zweig, zumindest war ihm dieser Ehrgeiz niemals fruchtbar geworden. Sein Schreiben kann zum Beispiel in an-glosächsischen Kulturen, wo die strenge Unterscheidung zwischen Literatur und Feuilleton/Journalismus, die wir bei uns - ohne recht zu wissen warum - feierlich hochhalten, wenig gilt, viel besser gewürdigt werden. Stefan Zweig, insofern gehörte ernicht zur „Moderne", glaubte an den Zweck und die Botschaft eines Textes, jedes Buch erfüllte ihm die Aufgabe und das Ziel einer konkreten Handlung. Wenn wir uns heute, und nicht nur heute, an ihn erinnern (das heißt ihn lesen) sollten, dann deshalb, weil er, der verwöhnte Wiener Sohn aus reichem Haus, aus den Vorzügen seiner Herkunft nichts anderes abgeleitet hatte, als sich das Leben - ich möchte sagen: - schwerer zu machen. Die Donaumonarchie, deren „fröhliche Apokalypse" (H. Broch) er noch erfahren hatte (und in sich zum Weltbürgertum verwandelte), deren Ende der damals bald vierzigjährige Zweig als die Tragödie empfand, die sich damit - inzwischen wissen wir es -für Mittel- und Osteuropa und die halbe Welt ja anbahnte, ohne heute wirklich am Ende zu sein, der allgemeine Verfall der Werte, diese gewaltigen Zerstörungen machten aus Stefan Zweig den modernen Europäer. Nur daß ein solcher noch nicht gefragt schien, wohl nicht einmal erkannt wurde.

Jetzt, wo wir allenthalben vom „Haus Europa" reden, sollten wir wünschen, daß es uns damit - mit mehr als fünfzigjähriger Verspätung - wenigstens ebenso ernst sein möge wie Stefan Zweig. Wohl am bekanntesten ist der Autor für seine 1944 auf deutsch erschienene Autobiographie „Die Welt von Gestern". Als einen der „Gestrigen" würde ihn nur die oberflächlichste, blindeste Lektüre gerade dieses Buches abtun können: gewiß, Stefan Zweig wollte nicht Visionär spielen, vielleichtdarf er deshalbeiner sein. Wo Politiker und Intellektuelle (seltsam, die zwei in diesem Zusammenhang in einem Atemzug zu nennen) zur Zeit so gern von Zukunft und europäischer Einheit sprechen, da spürte, sich erinnernd und nachsinnend, Stefan Zweig diese durchaus bestehende und damit verpflichtende Verbundenheit Europas. Er setzte sie in jedem seiner Gedanken als Wesenheit voraus.

Deshalb hatte er, am 23. Februar vor fünfzig Jahren, ja zerbrechen müssen. Sein eigener Schmerz und seine Resignation jedoch widersprachen ihm: man stirbt nur für etwas, das wirklich ist. Es gibt Europa, und Stefan Zweig ist in diesem Europa einer von erstem Rang.

(Die Stadt Salzburg ehrt das Andenken an Stefan Zweig in diesem Jahr mit einer groß angelegten, überzeugend-enthusiastischen Kongreß-Ausstellungs-Veranstaltungsreihe, die in der Gründung einer Internationalen Stefan-Zweig-Akademie ihren Höhepunkt und vor allem, über das Jahr hinaus, ihre Fortdauer finden wird. Die Grundgedanken und die Offenheit, die diesen Aktivitäten zugrunde liegen, hatten Stefan Zweig, dem Humanisten und Versöhner, wahrscheinlich Freude bereitet.)

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