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Weltelite, Mittelmaß, Entdeckung

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Wertstabiltät oder von Konzernen und Banken manipulierte „künstliche Preise“?, stellte Kiaus Lingens, Chef der Wiener Galerie „Basilisk“, zu Saisonbeginn die provokante Frage und wählte als Motto seiner ersten Herbstausstellung „Wer glaubt noch an den Graphik-Boom?“ Und die Angriffe, die er fürs erste — ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen — aggressiv formulierte, werden in der Wiener Kunstszene gewiß noch einige Bewegung erzeugen. Zieh er doch die Meister der Wiener Schule der Kursmanipulation (Brauer etwa durchs Plattengeschäft, Lehmden durch nicht numerierte Graphiken, Fuchs durch Warenhaus-Editionen usw.) und stellte ihnen billige preiswerte Arbeiten, vor allem der Jungen, gegenüber. Was freilich das Kapitel „Graphik-Boom“ auch nicht überzeugender machte, sondern alles in allem eher nach origineller

Verpackung graphischer Ladenhüter aussah. Dennoch; die provozierende Frage lag längst in der Luft. Daß sie gestellt wurde, könnte Folgen haben.

Druckgraphik der internationalen Spitzenklasse stellt Galeriechef Klewan in seinem Lokal in der Doro-theergasse aus. Er, der sich seit Jahren vor allem um Dada, Konstruktivismus, Suprematismus bemüht, hier immerhin Ausstellungen mit Werken Schwitters, Moholy-Nagys, der ungarischen Konstruktivisten und anderer arrangiert hat, brachte nun El Lissitzkys Manifestmappe, 13 Lithos zum Preis von etwa 1,3 Millionen Schilling nach Wien. Freilich, Albertina und das Museum des 20. Jahrhunderts müßten sich zwar diese Rarität sichern, wozu aber wie stets kein Geld vorhanden ist; also wird das Werk demnächst auf der Düsseldorfer Kunstmesse angeboten werden.

Es sind technisch hervorragend gedruckte Blätter, ästhetisch per-i'ekt komponiert. „Sieg über die Sonne“ nannte Lissitzky seinen Zyklus nach Matjuschins futuristischer Oper von 1913. Ihm schwebte dabei eine Art „elektro-mechanisches Theater“ vor, bei dem sich die Kräfte der Zentrale in der Hand eines einzigen befinden sollten. „Die Sonne als Ausdruck der alten Weltenergie wird vom Himmel herabgerissen durch den modernen Menschen, der kraft seines technischen Herrentums sich eine eigene Energie schafft. Diese Idee der Oper ist eingewoben in eine Simultanität der Geschehnisse.“ Lissitzky war seit seiner Darmstädter Studienzeit (um 1909; Maschinenbau, Architektur) und den ersten großen Reisen (1912) dem Expressionismus, später Dada und seinen Stars, Schwitters und Arp, dann auch eine Zeitlang Chagall verbunden. Bereits zu Beginn der zwanziger Jahre galt er als der prominente Vater der revolutionären russischen Moderne. Er war der große Experimentierer, der technische Formen mit Photographie und Schriftelementen zu einem „unpersönlichen Stil“, zu einem Stil ohne romantische „Handschrift“ zu verbinden trachtete. Malerische, plastische, architektonische Aspekte waren dabei für ihn bei der Verwirklichung eines theoretischen und praktischen Konstruktivismus gleich wichtig, für die Realisierung seines letztlich ins Irrationale zielenden Schaffens, das er mit dem sinnfreien Wort „proun“ belegte, mit einem Begriff, der in der Kunstgeschichte längst seinen festen Platz hat. Die räumliche, formale und tonale Ausgeglichenheit der Proun-Gestaltungen (Bildtafeln, Reliefs, freistehende Zweckgebilde), die Prägnanz ihrer rhythmischen Gliederung, ihre Fakturwerte sind unbestreitbar Höchstleistungen konstruktivistischer Ästhetik.

Einem der bemerkenswertesten jungen Zeichner der letzten Jahre stellt die Galerie am Graben 7 vor: Michael Lechner, Jahrgang 1949, der bisher beim Innsbrucker Graphikwettbewerb und beim internationalen Wettbewerb des Europahauses Preise erhalten hat. Er erinnert manchmal noch ein wenig an die indirekten Vorbilder, Walter Pichlet und Max Peintner, mit denen er etwa das Sujet teilt: die phantasievolle Gestaltung der Landschaft und der Umwelt im Geiste der Architektur und das Abtasten architektonischer Elemente, vor allem der Wiener Flaktürme, auf ihre plastischen Momente. Es sind technisch faszinierend exakt gearbeitete, in den feinen Grautönungen wohlkalkulierte Blätter, deren Inhalte man aber, ähnlich wie bei Pichler, eigentlich nur schwer definieren kann. Gewiß, die kultisch-symbolischen Bezüge, die absurde Konstruktionswelt sind überall spürbar, Titel deuten darauf hin, der Anspruch, daß der Mensch nun einmal das Maß aller Dinge sein sollte, wird ad absurdum geführt. Aber am Ende steht bei Lechner die große Ungewißheit, die sich eben in Symbolen chiffriert... Arbeiten eines jungen Manieristen, möchte man sagen, wenn man nicht wüßte, daß man damit eine der größten Begabungen der letzten Jahre auf einen zu einfachen Nenner brächte.

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