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Weltmodelle und Politik
Lassen Sie mich auf einige Ursachen hinweisen, warum.die Regierungen bisher den Weltmodellen so wenig Aufmerksamkeit zugewandt haben:
• In der Konkurrenz um Macht und Regierungsverantwortung konzentriert sich heute die Aufmerksamkeit auf die unmittelbar drängenden Probleme. Daher leiden die politischen Kräfte — zumindest in den westlichen Demokratien - unter einer Art fortdauernder Kurzsichtigkeit. Obwohl es mittlerweile allgemein anerkannt ist, daß viele unserer heuti-
gen Probleme ihre Wurzeln ganz offensichtlich in politischen Entscheidungen haben, die Jahre zurückliegen, sind die Politiker nicht bereit, aus dieser Erfahrung Konsequenzen zu ziehen. Sie berücksichtigen weiterhin kaum die langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen, auch dort nicht, wo Computermodelle hilfreich wären.
• In der Auseinandersetzung um Wählerstimmen macht sich ein Hang zur Vereinfachung von Problemen, die tatsächlich jedoch enorm komplex sind, breit. Damit geht die Versuchung einher, diese Probleme mit demselben niedrigen Grad von Rationalität, mit dem sie dargestellt worden sind, auch zu lösen.
• WegendesZwangszurPopu-larität haben die Regierungen im allgemeinen Schwierigkeiten, die Lösung von lokalen und nationalen Problemen zugunsten von international drängenden Anliegen hintanzustellen. Daher ist wenig Interesse für die Anwendung von Ergebnissen der Weltmodelle zu erwarten.
• Ich sorge mich besonders um die Struktur unserer politischen Einrichtungen. Sie sind für die
Bewältigung der großen Probleme unserer Welt kaum eingerichtet. Die wirklich ernsten Probleme sind horizontal in dem Sinn, daß sie viele Bereiche betreffen: So ist z. B. die Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion in dichtbevölkerten Ländern nicht nur ein landwirtscl\aftliches, sondern auch ein Erziehungs- und Berufsbildungsproblem, eine Frage, die die Ökologie ebenso wie die industrielle Infrastruktur, die Energieversorgung ebenso wie das Verkehrssystem betrifft. Von der Lösung einer solchen Frage sind viele verschiedene Stellen betroffen.
Im Gegensatz dazu sind die Ministerien im wesentlichen ‘vertikal gegliedert, jedes ängstlich um seinen Kompetenzbereich besorgt und bemüht, jedes Hereinwirken von außen abzuwehren. Daher werden die Probleme immer nur von einer Warte aus angegangen. Meistens kommt es nur zu einer Symptomkur, was durchaus auch zu einer weiteren Verschlechterung der Situation führen kann…
Ich will die Kritik vom Standpunkt eines Politikers in einer westlichen Demokratie, der über die langfristigen Auswirkungen einer von ihm ins Auge gefaßten Entscheidung Bescheid wissen will, formulieren … Nehmen wir an, daß es ihn interessiert, wieviel Entwicklungshilfe sein Land zu leisten habe, um in den Empfängerländern ein Wirtschaftswachstum von jährlich mindestens fünf Prozent zu ermöglichen.
Nun, dieser Politiker würde bald feststellen, daß ihm das Modell eine derartige Antwort kaum in einer direkten und überzeugenden Weise liefern kann. Vielleicht sagt man ihm dann, daß das Modell stattdessen Auskunft darüber geben könnte, welche Wirkungen eine Verdoppelung der derzeitigen Entwicklungshilfe haben würde. Nur, was würde dem Politiker eine solche Antwort bringen?
Denn die wirklich schwierigen politischen Fragen bleiben ja dennoch unbeantwortet, weil „der Teufel ja im Detail steckt…"
Ich mußte ein hoffnungsloser Pessimist sein, würde ich nicht ernsthaft daran glauben, «daß in Zukunft Politik stärker als in der Vergangenheit auf Realismus und Rationalität aufbauen wird. In der rationalen Ausrichtung auf die Wahrheit und im Verzicht auf eigennützigen Opportunismus liegt die Hoffnung, die gegenwärtigen Grenzen wirksamer politischer Führung zu überwinden.
Täuschen wir uns aber nicht, daß ein solcher Wandel bald stattfinden könnte. Die Politiker sind derzeit noch nicht imstande oder willens, die katastrophalen Folgen unseres Tuns, die noch Jahrzehnte in der Zukunft liegen, zu antizipieren und durch geeignete Maßnahmen zu verhindern.
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