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Weltwirtschaft — wohin?

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Die brennende Frage einer neuen Weltwirtschaftsordnung, der wesentlich geänderten Voraussetzungen und Notwendigkeiten für die wirtschaftlichen Beziehungen der Industrie- mit den Entwicklungsländern der Dritten Welt, war das Thema des 15. Weltkongresses der UNIAPAC. Diese Internationale Vereinigung christlicher Unternehmer lud dazu die Mitglieder aus aller Welt vom 14. bis 17. September nach Zürich.

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Die brennende Frage einer neuen Weltwirtschaftsordnung, der wesentlich geänderten Voraussetzungen und Notwendigkeiten für die wirtschaftlichen Beziehungen der Industrie- mit den Entwicklungsländern der Dritten Welt, war das Thema des 15. Weltkongresses der UNIAPAC. Diese Internationale Vereinigung christlicher Unternehmer lud dazu die Mitglieder aus aller Welt vom 14. bis 17. September nach Zürich.

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In einer Welt, in der die Ungleichheit von Produktion und Einkommen täglich augenfälliger und für die Länder der Dritten Welt immer weniger erträglich wird, inmitten entgegengesetzter Pläne und Uberzeugungen, stehen die Unternehmer im allgemeinen, die christlichen im besonderen vor neuen, großen Fragen und Aufgaben: Sie müssen schöpferisch tätig sein und die Umgestaltung in die Hand nehmen.

Über 500 Mitglieder aus 34 der 37 Mitgliedsländer der UNIAPAC folgten dem Ruf zur Diskussion und geistigen Auseinandersetzung. Der Grundtenor, der sich aus der Thematik des Kongresses ergab, waren immer wieder die Fragen:

•Wie steht es um die Hilfe für die Wirtschaft der Staaten der Dritten Welt, rund 100 an der Zahl?

•Haben wir noch genügend Zeit, um auf freiwilliger Basis eine Änderung — evolutionär — herbeizuführen? Wie lange haben wir noch Zeit?

Dr. Kurt Furgler, Vizepräsident des Schweizer Bundesrates, meinte, daß wir alle in einer Welt leben, in der die Voraussetzungen1 und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung der Menschen von Gruppe zu Gruppe, von Volk zu Volk und von Kontinent zu Kontinent so weit auseinanderklaffen, daß dieses „Wohlstands-“, Entwicklungs- und damit verbunden Freiheitsgefälle zur Herausforderung an uns alle wird, auch wenn wir uns in Europa „weit vom Schuß“ wähnen. Eine Herausforderung, Ungerechtigkeiten überwinden zu hellen und allen betroffenen Menschen und Staaten zu einer besseren Chance in der Gesellschaft zu verhelfen.

Für den Unternehmer, der seiner sozialen Verantwortung nicht nur aus Vorteilsüberlegüngen, sondern vor allem als christlicher Unternehmer aus ethischer Verpflichtung heraus gerecht werden will, stellt sich die Frage, wie im betrieblichen, gesamtwirtschaftlichen und weltwirt-wirtschaftlichen Bereich eine gerechtere Verteilung von Produktion und Einkommen, gar nicht gesprochen von Wohlstand, zu erreichen ist, ohne gleichzeitig den eigenen unternehmerischen Erfolg oder die erreichte Entwicklungsstufe des Staates preiszugeben oder auch nur zu gefährden. Also ein Zielkonflikt zwischen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Effizienz.

Es geht weltweit um die Verwirklichung einer auf dem Grundsatz der Solidarität und Komplementarität aufgebauten engeren Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Durch alle Ansprachen und Diskussionen zog es sich wie ein roter Faden: Wie kann ein dauerhafter Friede in dieser Welt geschaffen oder gesichert werden, solange schon arme Staaten jedes Jahr ärmer statt reich oder wenigstens weniger arm werden? Dabei geht es vor allem auch um infrastrukturelle Maßnahmen, die den Entwicklungsländern Voraussetzung auch für Selbsthilfe schaffen könnten.

„Wenn“, wie es Dr. Ousmane Seck, Minister für Planung und Zusam-i menarbeit der Republik Senegal, ausdrückte, „in den unterentwickelten Ländern Menschen leiden und mittels einer hoffnungslosen Zukunft entgegenblicken, während in den Industrieländern die Menschen überfüttert sind mit Komfort — die Seelen ohne Ideale. Der Materialismus der reichen Länder entmenschlicht ebenso wie Hunger und Armut in den Entwicklungsländern.“

Seck legte dann mit Zahlen die ungerechte Verteilung der Weltproduktion dar; der Abstand in der Pro-Kopf-Produktion zwischen den Entwicklungs- und den Industrieländern hat eich von 1960 bis 1970 wesentlich zuungunsten der Entwicklungsländer vergrößert. Ein Drittel der Weltbevölkerung, die Bewohner der Industrieländer, verbraucht drei Viertel der Weltreserven an Protein — eine grundsätzliche Frage des Uberlebens von Hunderten Millionen Menschen. Daneben die große Kapitalschwäche, ja große Verschuldung der Entwicklungsländer, das Fehlen der Infrastruktur, der Bildung. Es müsse also „eine neue Weltwirtschaftsordnung angestrebt werden, die eine gerechtere Arbeitsteilung und Verteilung des Reichtums garantiert“.

Noch deutlicher sprach diese Problematik Dr. Ibrahim Helmi Abdel-Rahmann, Berater für Planung und wirtschaftliche Entwicklung des ägyptischen Ministerpräsidenten, von 1966 bis 1974 Exekutiv-Direktor der UNIDO, an: Auch die heute entwik-kelten Staaten hatten vor 150 Jahren eine Bevölkerungsexplosion, ähnlich der der Entwicklungsländer heute. Eine Familie in den Entwicklungsländern verbraucht in ihrem ganzen Leben so viel wie ein Mensch in den Industrieländern in einem Jahr. Wer verschwendet also die Nahrungsquellen?

Der Unterschied im Pro-Kopf-Einkommen real zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern ist heute 1 :13. Die Relation zwischen dem ärmsten Entwicklungsund dem reichsten Industrieland ist noch wesentlich höher. 95 Prozent der Weltliquidität, also des Kapitals, steht den Industrieländern zur Verfügung. Afrika, ohne Südafrika, hat heute nur einen Anteil von einem halben Prozent an der Weltproduktion, das Ziel Ist, im Jahre 2000 einen Anteil von zwei Prozent zu erreichen. Der Anteil aller Entwicklungsländer zusammen beträgt heute nur sieben bis acht Prozent. Im Jahre 2000 sollten es 25 Prozent sein, jedoch nicht durch eine Neuverteilung der bestehenden Kapazitäten und Möglichkeiten, sondern durch einen größeren Anteil der Entwicklungsländer an neuer Kapazität.

Aus der Sicht der Industriestaaten sprach der Premierminister von Belgien, Leo Tindemans, der erklärte, die intensiven Beratungen des heurigen Jahres zur Entwicklungshilfe zeigten die erforderlichen Veränderungen auch in der Art der Hilfe auf. Die seit 1973 eingetretenen Krisensituationen erfaßten auch die Entwicklungsländer und führten viele davon in aussichtslose Situationen. Neben den Versorgungsproblemen zeigten sich viel tiefer gehende Spannungen aus dem demographischen Druck und den durchbrechenden Veränderungen ideologischer, religiöser und politischer Natur.

„Die Entwicklungsländer betrachten mit Recht eine Erweiterung ihrer industriellen Grundlage und die Gewißheit einer stärker werdenden Beteiligung an der Industrieproduktion der Welt als sehr wichtig.“ Die Christen, die politische, wirtschaftliche Verantwortung tragen, haben bei der Förderung der Zusammenarbeit zwischen armen und reichen Ländern eine ganz besondere Aufgabe zu erfüllen. Tindemans hatte schon im Dezember 1975 betont, daß die „Schaffung einer neuen wirtschaftlichen Weltordnung, die eine gerechtere Verteilung der Wirtschaftsreichtümer unseres Planeten vorschreibt, zu den wichtigsten Problemen gehört, die uns gegenwärtig beschäftigen müssen“. Sicher müssen beide Seiten dabei gewisse, wesentliche Grundsätze akzeptieren. Es ist sicher einleuchtend, daß jedes Land in voller Souveränität sein eigenes Wirtschafts- und Sozialsystem bestimmen können muß. Jedem Land oder jeder Staatengruppe (wie der EWG) steht es frei, die industrielle und technologische Politik zu definieren und den allgemeinen Rahmen der Schwerpunkte festzulegen. Es müßte möglich sein, eine Interessengemeinschaft zwischen den Investoren der Industrieländer und den Aufnahmeländern zu bilden, so daß diese Länder die Technik, das Wissen und Können der Industriestaaten zum eigenen Nutzen verwenden können. Diesen Kooperationsbeziehungen muß allerdings auch ein angemessener institutioneller Rahmen verliehen werden. Die Investoren dürfen aber auf keinen Fall ihre Machtposition auf dem Äufnahme-markt mißbrauchen, die administrativen Schwächen der Entwicklungsländer ausnützen, vor allem keine Handelspraktiken anwenden, die mit den wirtschaftlichen und sozialen Zielvorstelliungen der Gastländer unvereinbar sind. Die Unternehmer der Industrieländer müssen neue Wege beschreiten und gründlich die Möglichkeiten zur Anwendung des technologischen und wirtschaftlichen' Wissens und Könnens prüfen, damit dies in den Entwicklungsländern verbreitet werden kann, insbesondere zum Nutzen der ansässigen Bevölkerung. Hiezu ist der begonnene Dialog zwischen den Industrie-und Entwicklungsländern weiterzuführen als echter und aufrichtiger Dialog, weil echte Zusammenarbeit auch eine gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit bringt.

Was können speziell die christlichen Unternehmer dazu beitragen? Erschwert wird die Situation dadurch, daß man sich in den Industrieländern über „Mangel an Dankbarkeit, aggressiv vorgetragene For--derungen der Entwicklungsländer und über ungenügende Selbsthilfe dieser Länder empört“, während die Entwicklungsländer wieder tadeln, daß die Industrieländer nicht genug zur Bekämpfung der Armut der Entwicklungsländer beitragen, obwohl ihr Reichtum es zuließe.

Ein Fachmann verglich: Vor 120 Jahren standen viele Unternehmer der „Revolte“ der Arbeiter und der Gewerkschaften ebenso verständnislos gegenüber wie heute viele Angehörige der Industrieländer gegenüber der „anmaßenden“ Haltung der Dritten Welt. Auch damals meinten die Arbeitgeber, alles zu leisten, was in ihrer Macht stand, um den Arbeitern Arbeitsplätze m und Lohn zu schaffen. Die Arbeiter aber sahen die Dinge anders. Seither sind die meisten Sozialprobleme im Gespräch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gelöst, die Überwindung des Klassenkampfes durch die Sozialpartnerschaft hat sich bewährt. Diese Erfahrungen mit der Anerkennung der vollen Gleichberechtigung beider Seiten könnten, sinnvoll angewandt, auch dm Bereich der Zusammenarbeit Industrieländer-Entwicklungsländer nützlich sein.

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