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Weltwirtschaftlicher Wandel - Konsequenzen, Perspektiven

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19 OECD-Länder und die Kommission der EWG haben sich an einem Forschungsprojekt beteiligt, das die längerfristigen Perspektiven der weltwirtschaftlichen Entwicklung erforscht hat. Dieses Projekt (INTERFUTURES) wurde 1978 abgeschlossen und macht Aussagen über die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft in den Industrieländern und über die Beziehung dieser Länder zu den Entwicklungsländern.

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19 OECD-Länder und die Kommission der EWG haben sich an einem Forschungsprojekt beteiligt, das die längerfristigen Perspektiven der weltwirtschaftlichen Entwicklung erforscht hat. Dieses Projekt (INTERFUTURES) wurde 1978 abgeschlossen und macht Aussagen über die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft in den Industrieländern und über die Beziehung dieser Länder zu den Entwicklungsländern.

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Betrachtet man die vergangenen 25 Jahre, so hat die Zunahme der internationalen Verflechtung, besonders im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung, überwiegend positive Einflüsse gehabt. Ob dies auch für den Rest dieses Jahrhunderts gelten wird, ist indessen durchaus offen. Zumindest werden die Konsequenzen des Wandels der internationalen Beziehungen sowohl innerhalb der OECD als auch zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern eine Reihe wichtiger politischer Probleme aufwerfen.

Insbesondere kann nicht ausgeschlossen werden, daß jene Kräfte, die bereits seit Beginn der siebziger Jahre zu erheblichen Ungleichgewichten geführt haben und. die dazu beigetragen haben, die externe Verwundbarkeit einiger Volkswirtschaften zu erhöhen, auch in Zukunft fortbestehen werden.

Schon in der jüngsten Vergangenheit haben die Veränderungen in den internationalen Beziehungen bewirkt, daß sich die Führungsposition der Vereinigten Staaten im Hinblick auf die weltpolitische und weltwirtschaftliche Entwicklung gewandelt hat. Dieser Prozeß wird sich mit einiger Wahrscheinlichkeit fortsetzen. Das heißt nicht, daß die Rolle der USA in der Welt weniger wichtig wird, aber sie wird einen anderen Charakter haben.

Die Vereinigten Staaten werden nur noch eine Weltmacht unter anderen sein; ihr Anteil am Weltsozialprodukt wird weiter sinken, und ihr bis dahin unangefochtener Produktivitätsvorsprung dürfte ebenfalls in Frage gestellt sein. Zugegeben, die Position der Vereinigten Staaten wird auch in Zukunft durch beachtliche Pluspunkte gekennzeichnet sein: die vergleichsweise geringe Abhängigkeit von der Weltwirtschaft, die hervorragende Ausstattung mit natürlichen Ressourcen, der unbestrittene Vorsprung in einigen Basistechnologien usw.

Die Frage ist jedoch, inwieweit die amerikanische Gesellschaft und ebenfalls die Organisation von Regierung und Verwaltung in den USA den Herausforderungen der neuen weltpolitischen Lage wird gerecht werden können.

Ganz anders stellt sich die Position Japans dar, dessen Anteil am Weltso zialprodukt steigen und dessen weltpolitische und weltwirtschaftliche Bedeutung zunehmen wird. Auch Japan sieht sich mit einer Reihe spezifischer Probleme konfrontiert: das schnell zunehmende Durchschnittsalter der Bevölkerung, die Wohnungsnot, die extreme Importabhängigkeit bei Rohstoffen sowie die Problematik der nationalen Verteidigung seien als Beispiele genannt.

Doch gleichzeitig verfügt Japan wie kaum ein anderes Industrieland über Fähigkeiten, die besonders in einer Welt zunehmender Interdependenz Elemente innerer Stärke darstellen: ein hohes Maß an nationalem Zusammenhalt und Gemeinsinn, die Fähigkeit zu kollektiver Entscheidung und kollektivem Handeln, eine überdurchschnittliche Kapazität zur Verarbeitung und Auswertung von Informationen usw….

Hinzu kommt die zumindest für die Zukunft geographisch vorteilhafte Lage in der Nachbarschaft Chinas und Südostasiens. Angesichts der fortschreitenden Industrialisierung in diesem Teil der Welt, besonders auch wenn die neue Politik Chinas von Dauer ist, spricht vieles dafür, daß diese Region zur Mitte des nächsten Jahrhunderts eines der wichtigsten Zentren der Weltwirtschaft ist.

Die Beurteilung der Situation der Europäischen Gemeinschaft ist dagegen schwieriger. Vor dem Hintergrund der voraussehbaren Beschäftigungsprobleme, angesichts des notwendigen Wandels der Wirtschaftsstruktur und unter Einbeziehung des gegebenen Inflationspotentials dürfte ein verlangsamtes Wachstum für Europa kritischer zu beurtei-

len sein als für die USA oder für Japan.

Andere Akteure, die für das zukünftige Gleichgewicht in der weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Entwicklung von fundamentaler Bedeutung sind, umfassen insbesondere die Sowjetunion und Osteuropa, die Entwicklungsländer mit bereits fortgeschrittener Industrialisierung, die ölproduzierenden Länder sowie die wichtigsten Produzentenländer sonstiger mineralischer Rohstoffe.

In bezug auf diese Regionen stehen unter wirtschaftlichen Aspekten zwei Problemkreise besonders im Vordergrund: Erstens die Frage der Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung, zweitens der Prozeß fortschreitender Industrialisierung und seine Rückwirkungen auf die zukünftige internationale Arbeitsteilung.

Versucht man vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen einen mutmaßlichen Entwicklungsverlauf zu skizzieren, so könnte eine- zugegeben wenig optimistische, aber durchaus nicht unwahrscheinliche und auch nicht pessimistische - Variante wie folgt aussehen: Das gegenwärtige mäßige wirtschaftliche Wachstum in den Industrieländern könnte sich über ein weiteres Jahrzehnt fortsetzen. Strukturelle Arbeitslosigkeit würde insbesondere in Europa über die achtziger Jahre hinweg zu einer Dauererscheinung werden.

Auch der Strukturwandel würde sich fortsetzen, jedoch verzögert durch die Anwendung unterschiedlichster Arten eines international nur wenig abgestimmten Neoprotektionismus. Einige Länder, unter ihnen Japan, mit einiger Wahrscheinlichkeit auch die Bundesrepublik, bei denen eine positive Anpassungsstrategie verfolgt wird, werden überdurchschnittliche Produktivitätsgewinne erzielen und möglicherweise die Vereinigten Staaten nicht nur einholen, sondern überflügeln.

In fast allen Industrieländern werden die Regierungen Schwierigkeiten haben, einen Ausgleich zwischen den traditionellen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Forderungen und den überaus nachdrücklich vertretenen neuen Wertvorstellungen und Zielen von Minderheiten herbeizuführen. Es ist nicht auszuschließen, daß einige wenige Länder neue Konzepte eines betont qualitativ ausgerichteten Wachstums anzustreben versuchen, was gleichzeitig bedeutet, daß sie ihre Außenbeziehungen einer stärkeren staatlichen Kontrolle unterwerfen müssen.

Man mag noch so sorgfältig analysieren und ebenso vorsichtig argumentieren - die Geschichte der Zukunft ist noch nicht geschrieben.

Insbesondere stellt sich die Frage, was können die Regierungen tun, um den künftigen Verlauf der weltwirtschaftlichen Entwicklung positiv zu beeinflussen und um das Risiko akuter Fehlentwicklungen und möglicher Krisen zu verringern.

Vor dem Hintergrund der Ausführungen über die längerfristigen Perspektiven der weltwirtschaftlichen Entwicklung und des Strukturwandels ergeben sich die folgenden vier Orientierungslinien, die generell in den Industrieländern von besonderer Relevanz sein dürften:

• Erstens Rehabilitierung des wirtschaftlichen Wachstums - nicht als Ziel an sich -, aber in seinem instrumentalen Charakter zür Erreichung anderer gesellschaftlicher Zielsetzungen; daß hierbei die Qualität des Wachstums neben der Höhe der Zuwachsrate des Sozialprodukts ein wichtiger Gesichtspunkt ist, steht zu dieser Forderung nicht im Widerspruch.

• Zweitens Anerkennung der Notwendigkeit des wirtschaftlichen Strukturwandels - nicht um jeden Preis -, aber mit der höchsten Anpassungseffizienz, die sozial akzeptabel und politisch durchsetzbar ist; das heißt gleichzeitig, daß Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, dem Strukturwandel die sozialen Härten ztk. nehmen, im Einzelfall der Anwendung temporärer Natur sein müssen.

• Drittens Vermeidung solcher Entwicklungsverläufe, die bestimmte soziale Gruppen von der Teilhabung am wachsenden Wohlstand längerfristig ausschließen; hieraus ergibt sich insbesondere im Bereich der Arbeitsförderungsmaßnahmen die Forderung, Schwerpunktprogramme für Jugendliche, für Frauen, für ältere Arbeitnehmer sowie für Behinderte zu konzipieren.

• Viertens Offenheit für die Wünsche solcher Gruppen, die neuen gesellschaftlichen Wertvorstellungen Ausdruck verleihen. Dies heißt nicht, daß grundsätzlich allen Modetrends zu folgen ist, jedoch kann die permanente kritische Reflektion solcher Strömungen dazu beitragen, sich auf fundamentale neue Entwicklungen rechtzeitig einzustellen.

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