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Weltwirtschafts- optimismus

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Allmählich wird es Zeit, daß man sich Rechenschaft gibt über die Hintergründe des Währungstheaters und sich bewußt wird, worum es sich wirklich handelt, nämlich um einen frisch- fröhlichen Handelskrieg. Es geht gar nicht uhi das Geld und die Währung, sondern um die Ware. Und darum, daß züviel Ware produziert werden kann und produziert wir(i. Wir stehen vor dem Problem der Überproduktion, ob man es wahrhaben oder nicht.

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Allmählich wird es Zeit, daß man sich Rechenschaft gibt über die Hintergründe des Währungstheaters und sich bewußt wird, worum es sich wirklich handelt, nämlich um einen frisch- fröhlichen Handelskrieg. Es geht gar nicht uhi das Geld und die Währung, sondern um die Ware. Und darum, daß züviel Ware produziert werden kann und produziert wir(i. Wir stehen vor dem Problem der Überproduktion, ob man es wahrhaben oder nicht.

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Das vordergründige Schauspiel der seit einigen Jahren ablaufenden Währungskrisen — Pfundkrise, Goldkrise, Devisenspekulation, Auf- und Abwertungen — ist nicht Ursache, sondern Folge der sozusagen hinter den Kulissen sich abspielenden Entwicklungen. Aber die Politiker, Finanzexperten und Wirtschaftsmanager tun noch immer so, als ob es sich bei den Vorgängen auf dem Geldsektor um ein schicksalhaftes Geschehen handeln würde, eine billige Methode, sich zumindest der Verantwortung für Selbsttäuschungen zu entledigen. Wenn man nach jahrzehntelangen Behauptungen, man hätte auf Grund der alten Krisenerfahrungen und der modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse die wirtschaftliche Entwicklung völlig im Griff, sich jetzt würdevoll vom unangenehmen Geschehen abwendet und den Dingen den Lauf läßt, wie es etwa in der Freigabe der Wechselkurse zum Ausdruck kommt, oder kurzerhand zum Währungsdirigismus — Devisenverkehrsbeschränkungen, Einschränkungen des Bankgeheimnisses, Einführung von Netto- zinseh für Ausländerkonten, Rückkehr zu bilateralen an Stelle von multilateralen Verrechnungseinheiten usw. — zurückkehrt, so ist das alles nur ein Ausweichen vor den Realitäten oder eine unbillige und planlose Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, bei der man sich selbst den wahren Stand der Dinge nicht eingestehen will. Lediglich bei den harten Auseinandersetzungen zwischen USA und Japan anfangs September 1971 ist für kurze Zeit das wahre Gesicht der Krise zum Vorschein gekommen, als jeder vom anderen die Aufhebung der Importbeschränkungen verlangte.

Auch die schönsten wirtschaftlichen Entschuldigungsphrasen und hyperkluge Währungsrezepte wie der Slogan von der Stagflation, die Klage über den inflationären Fehlschlag mit dem „Papiergold“ der Sonderziehungsrechte, der Ruf nach Dollarabwertung und Goldstandard und die Forderung nach Schaffung eines abstrakten internationalen Währungsreservemediums können aber nicht mehr darüber hinwegtäuschen, daß es nur um Überproduktion und Überkapazität geht, und niemand weiß, wie man dieses Problem lösen kann, ohne in eine Sozialkrise zu stürzen.

Bisher ist es mindestens zehn Jahre lang gelungen, das Problem der Überproduktion zu verschleiern. Mit dem bodenlosen Faß des Vietnamkrieges und mit der Mondfahrerei haben sich die Amerikaner selbst eine grenzenlose Produktionsmöglichkeit vorgegaukelt, mit den Hormondollars der Militär- und der Entwicklungshilfe und mit dem im Ausland angelegten Investitionskapital konnten und können sich die unterstützenden Länder eine Kaufkraft vortäuschen, die sie gar nicht besitzen. Die übrigen Industriestaaten haben sich mit den Bettelparitäten aus der Frühzeit von Bretton Woods billige Absatzmöglichkeiten in die Hochindustrialisierung hineingerettet; vor allem Japan hat geglaubt, zum zweiten Industriestaat aufrücken und eine Riesenproduktion auf dem Weltmarkt absetzen zu können, ohne seine Primitivparität ändern zu müssen; in der EWG hat man geglaubt, mit einigen kosmetischen Aufwertungsoperationen das Auslangen zu finden, während sie ihr Exportimperium mit Hilfe einer weit unter ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit liegenden Geldparität ausbaute. Und alle Industriestaaten zusammen haben mit radikaler Qualitätsminderung der Ware zur Sicherung eines enormen Ersatzbedarfs durch Reklame, mit Entwicklung eines unproduktiven Freizeit- und Prestigekonsums und mit Absatzsteigerung durch Liberalisierung sich selbst in den Glauben an ein grenzenloses Wirtschaftswachstum derart hineinmanövriert, daß die Sehschärfe für die Wahrnehmungen des Unterschieds zwischen schwachem Normalbedarf und übersteigerten Anlaufbedarf verlorenging.

An Vorwarnungen hat es nicht gefehlt: Unter vielem anderen ist da die Kohlenkrise zu nennen, in der die Kohle dem Energieüberangebot zum Opfer gefallen ist, dann die zeitweise Minderausnützung der Stahlkapazitäten bis unter 50 Prozent, der Zusammenbruch der überbesetzten Textilkapazitäten , der Einsturz der Werbewirtschaft in den USA, das Überangebot an Flugpassagierraum mit seinen Rückwirkungen des Tarifzusammenbruchs und der Jumboflaute, die Zeitungskrise und vor allem das Problem der Agrarüberschüsse — die Landwirtschaft ist nach Ansicht der klassischen Nationalökonomie immer der Vorreiter wirtschaftlicher Entwicklungen! Auch vor dem 24. Oktober 1929, dem Tag des Ausbruchs der Weltwirtschaftskrise, hat man Weizen ins Meer geschüttet, Kaffee in Lokomotiven verheizt und Milch zu Textilien verarbeitet. Aber alte Weisheiten sind heute nicht mehr gefragt. Auch das böse Schlagwort der Pessimisten von der Weltwirtschaftskrise hat man füglich vergessen: „Es kann jede Familie ein Auto haben, ein zweites kann man ihr einreden, beim dritten ist die Krise da!“ Bisher ist ja alles gut gegangen: Man hat die Kohlenkumpels, die arbeitslosen Zeitungsleute, die abwandernden Bauern, die Frauen aus der Textilindustrie immer wieder untergebracht. Warum sollte es nicht so weitergehen?

Aber das Blatt hat sich gewendet. Die allmähliche Austrocknung des Vietnamkrieges und die Reduktion der Raumfahrt haben in den USA Hunderttausende auf die Straße geworfen und den Traum eines unbegrenzten Wirtschaftswachstums beendet. In diesem Stadium finden es die USA natürlich überflüssig, die Dollarinjektionen im Ausland fortzusetzen, denn diese fördern nicht mehr den Absatz amerikanischer Waren, sondern stärken im Gegenteil die Konkurrenzfähigkeit der Auslandsware. Man kann nun von den USA allerlei verlangen, aber sicher keinen kommerziellen Selbstmord, und genau diesen hat Nixon mit seinen Maßnahmen vom 15. August 1971 vermieden. Diese Maßnahmen sind im Grund denkbar einfach, ihr Ziel ist es auch: einerseits sollen die Währungen der Industrieländer ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechend gegenüber dem Dollar aufgewertet werden, um die Konkurrenzierung der amerikanischen Ware mit Hilfe von Bettelparitäten auszuschalten, anderseits sollen die Währungen der Entwicklungsländer auf jenes Maß abgewertet werden, das ihrer minderen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Gegensatz zu ihren politischen Ansprüchen entspricht, wodurch zugleich der Rohstoffbezug der USA und der Industrieländer verbilligt wird. Beide Prozesse sind trotz aller Widerstände in wenigen Wochen in Gang gekommen und verlaufen im Sinne der Initiatoren. Damit ist auch die Absicht erfüllt, den Dollar als king- pin, als Drehzapfen, um den sich das ganze Währungs- und Wirtschaftskarussell dreht, zu erhalten.

In Europa und Japan ist man offenkundig trotz der sich mit absoluter Logik entwickelnden Ereignisse noch immer nicht über das Stadium der Selbsttäuschungen hinausgelangt. Nicht einmal das in Bonn neuestens bekundete ..Entsetzen“- noch die tie- len Schockwirkungen in Japan über eine kommende Wirtschaf tskatastro- phe scheinen zu heilsamer rechtzeitiger Einsicht in die Lage zu führen. Man faselt noch immer von einer dirigismusfreien Wirtschaft in einem Zeitpunkt, in dem sich herausstellt, daß die ganze Weltwirtschaft wie eine Pyramide auf der Spitze einer einzigen dirigistischen Maßnahme steht, nämlich auf dem 1936 festgelegten Satz von 35 Dollar pro Unze Gold. Man fordert weiterhin eine Dollarabwertung, obwohl längstens seit der Spaltung des Goldpreises bekannt ist, daß die Handelssituation damit nicht gerettet werden kann. Man gefällt sich im Empfehlen einer energischen Inflationsbekämpfung, ohne auch nur ein einziges Rezept dazu vorzulegen und ohne sich einzuge- stehen, daß man längst in eine Deflation geraten ist. Die Aufwertungen, die überall um sich greifenden Erhöhungen der öffentlichen Tarife, das Absinken der Kreditzinsen an einer Reihe von Plätzen bereits unter sechs Prozent, eine Reihe von Exportförderungen und Importbehinderungsmaßnahmen einschließlich der amerikanischen Importabgabe sind reine Deflationswirtschaft. Auf der anderen Seite laufen die Psychosen der Inflation mit Lohndynamik, indirekten Sparzinserhö hungen und vor allem mit dem Geldentwertungsgerede in den Massenmedien weiter.

Der Wachstumsfetisch hat noch nichts von seinem Zauber eingebüßt. Man glaubt noch immer, daß das Wasserklo und das Auto für jeden der fast anderthalb Milliarden Chinesen und Inder ein erreichbares Ziel ist und vergißt, daß man dann den Erdball auswinden müßte, um genug Wasser und Benzin zu haben. Die Bremsen -sind aber schon früher angelegt worden, sie wirken bereits, und wenn man will, so steht es zur Zeit 1:1. Siegt die Inflation, dann wird es gut sein, sich auf einen schwarzen Freitag ä la 1929 vorzubereiten, siegt die Deflation, dann ist es Zeit, am Hosenriemen für neue Löcher zum Engerschnallen zu sorgen.

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