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Wem dient die orthodoxe Kirche Rußlands wirklich?

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Er sei Metropolit von Krutits-ky und Kolomna, stellt sich mein Gesprächspartner vor. „Das sind alte Ehrentitel, mit denen hier aber niemand etwas verbindet. Tatsächlich leite ich die Diözese Moskau."

Metropolit Yuvenaly, Mitglied der Heiligen Synode, hatte mich in sein geräumiges Hotelzimmer zu einem Gespräch eingeladen. Seine Erscheinung entspricht nur teilweise dem Klischee, das wir von orthodoxen Würdenträgern haben. Am ehesten paßt sein langer, angegrauter schwarzer Vollbart in dieses Bild. Mittleren Al-

ters, mit freundlichem Lächeln, raschen Bewegungen, wirkt er wie jemand, der mit beiden Beinen im Leben steht, nicht abgeklärt und weltfremd.

Er ist in Wien, um an einer Konferenz über Fragen von Abrüstung und Frieden teilzunehmen: „Die besondere Gefahr unserer Tage ist die weltweit vor sich gehende Aufrüstung mit Waffen aller Art."

„Sind da nicht die Supermächte besonders verantwortlich?", will ich wissen. Das Problem sei weltweit, betreffe allerdings sicher die Nuklearstaaten besonders.

„Also die Sowjetunion?" — Ja, die sowjetische Regierung strenge sich auch besonders an, dieses Problem friedlich zu lösen; würden doch ihre Gesprächspartner nur auf die Vorschläge eingehen, bekomme ich zur Antwort.

Solche Sätze spricht der Metropolit sicher nicht zum ersten Mal. Er wählt seine Worte sorgsam, wirkt aber routiniert. Ich erinnere mich daran, daß die sowjetische Nachrichtenagentur Nowosti das Gespräch vermittelt hat.

„Ist Friede mehr als Verzicht auf Waffengebrauch?" - „Ja, natürlich. Friede ist im Innern des Menschen. Es geht um Liebe, um Verständnis zwischen den Menschen und den Völkern." Er als Sowjetbürger sei überzeugt, daß die Vorschläge der Sowjetunion, würden sie verwirklicht…

Immer wieder jene Antworten, die ich mir schon vorher hätte ausrechnen können. Ist es sinnvoll, ein solches Gespräch fortzuführen? Ja, weil es trotz dieser Sprachlosigkeit wichtige Eindrücke vermittelt.

„Wie dient die Kirche nun konkret in Moskau dem Anliegen des Friedens?" Die russische Kirche bringe ihren Gläubigen das Anliegen des Friedens, des Glaubens, des Patriotismus nahe. Der einzelne müsse dann in seine Umgebung wirken, am Arbeitsplatz, am Wohnort…

Ob man da Erfolge merke? Ja, denn die Gläubigenzahl bleibe stabil trotz der Sterbefälle. Welcher Prozentsatz der Bevölkerung gläubig ist, ließe sich mangels Statistik nicht sagen.

Sind es eher 10, 1 oder 0,1 Prozent? — Keine Antwort. „Auf jeden Fall gibt es Dutzende von Millionen Gläubiger in der Sowjetunion."

Die Anleitung der Kirche geschehe im Gottesdienst. Ein eigener Unterricht für die Jugend wird nicht gehalten. „Die besten Glaubensboten für die Kinder sind die Großmütter", sagt der Metropolit lächelnd.

„So darf die Kirche offenbar internationale Konferenzen, aber keinen Unterricht für ihre Jugend veranstalten?" So ist es eben. So sind die Gesetze. Uber sie läßt sich der Metropolit in keine Diskussion ein. Die russische Kirche lebt eben in einer atheistischen Umgebung.

Dafür gibt es in der Sowjetunion im Gegensatz zum Westen in der Kirche keine lauen Mitläufer. „Bei uns sind die Menschen kalt oder heiß, aber sicher nicht lau", bezieht sich Yuvenaly auf die Apokalypse.

Das glaube ich ihm diesmal, nur denke ich dabei an die Dissidenten, deren Glaubensentscheidung mit radikaler Absage an die Praktiken des Regimes einhergeht:

„Wer einmal nein sagt, wird zum Dissidenten. Er verliert Arbeit, Familie, aber wird glücklich … ", sagte einmal die in den Westen abgeschobene Tatiana Goritschewa, eine engagierte russische Christin.

„Kommen diejenigen, die ihren missionarischen Glauben ernst nehmen, nicht in Konflikt mit dem Regime?" drängt sich die Frage auf. Verfolgte Christen seien entweder die Erfindung von „kalten Kriegern" oder es handle sich um politisch Oppositionelle. Für sie interessierten sich natürlich die westlichen Medien.

Uberraschenderweise kommt der Metropolit selbst auf den Fall Dudko zu sprechen. Dieser Priester seiner Diözese sei ein typisches Beispiel. Er habe die politische Situation seines Landes falsch gesehen, sei nach längerem Zuwarten verhaftet worden. Im Zuge des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens habe er seine Fehler eingesehen und öffentlich im Fernsehen bekannt.

„Jetzt hat er seine Stelle als Pfarrer wieder übernommen, aber kein westlicher Reporter interessiert sich mehr für ihn. Sehen Sie!"

Wer die Schriften dieses zutiefst gläubigen Priesters kennt, weiß, welche Tragödie sich hinter dieser verharmlosenden Darstellung verbirgt. Nach außen zumindest findet der Metropolit das Vorgehen der Behörden aber offensichtlich normal.

„Würde Christus heute unauffällig als Gläubiger der orthodoxen Kirche leben können?", frage ich zum Abschluß, bekomme darauf aber keine Antwort, wohl aber die Versicherung, daß Christus diese orthodoxe Kirche besonders liebe.

Nachdem ich mich verabschiedet habe, frage ich mich, was solche Gespräche bringen können. Wäre es andererseits ein Erfolg gewesen, dem Metropoliten eine unvorsichtige Äußerung zu entlocken, die ihm zuhause Schwierigkeiten gebracht hätte und hier bald wieder vergessen worden wäre? Ich glaube nicht…

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