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Wem gehört das Meer?

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Zwei international bedeutsame Ereignisse ließen jetzt den Inselstaat Island in den Mittelpunkt des Interesses der Weltöffentlichkeit treten: die jüngst zu Ende gegangene Schachweltmeisterschaft sowie die offensichtliche Entschlossenheit dieses Staates, seihe Fisehereigrenzen, entgegen der Entscheidung , “des., Internationalen Gerichtshofes vom 17. August, von! den all gemein üblichen 12 auf 50 Seemeilen auszudehnen. Dieser Entschluß ist von besonderer Tragweite, läßt er doch nicht nur die Frage nach der Rechtmäßigkeit eines solchen Schrittes, sondern im weiteren auch jene aufwerfen, die seit der Entdeckung der Neuen Welt Theoretiker und Praktiker des internationalen Seerechts immer wieder beschäftigt hat: Wem gehören das Meer und seine Naturreichtümer?

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Zwei international bedeutsame Ereignisse ließen jetzt den Inselstaat Island in den Mittelpunkt des Interesses der Weltöffentlichkeit treten: die jüngst zu Ende gegangene Schachweltmeisterschaft sowie die offensichtliche Entschlossenheit dieses Staates, seihe Fisehereigrenzen, entgegen der Entscheidung , “des., Internationalen Gerichtshofes vom 17. August, von! den all gemein üblichen 12 auf 50 Seemeilen auszudehnen. Dieser Entschluß ist von besonderer Tragweite, läßt er doch nicht nur die Frage nach der Rechtmäßigkeit eines solchen Schrittes, sondern im weiteren auch jene aufwerfen, die seit der Entdeckung der Neuen Welt Theoretiker und Praktiker des internationalen Seerechts immer wieder beschäftigt hat: Wem gehören das Meer und seine Naturreichtümer?

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Nicht zu allen Zeiten war das Meer „frei“. Im spektakulären Vertrag von Tordesillas teilten sich die Entdeckernationen Spanien und Portugal 1494 die Welt und ihre Ozeane in eine östliche (Portugal) und westliche (Spanien) Hälfte auf, wobei eine durch den Atlantik von Pol zu Pol gezogene imaginäre Linie als Demarkation diente. Andere seefahrende Nationen, vor allem England, Frankreich und Holland, traten diesen Ambitionen mit dem späteren Erfolg entgegen, daß der Grundsatz der Meeresfreiheit, gemäß welchem das Meer der Aneignung oder dauernden Okkupation eines oder mehrerer Staaten verschlossen sein sollte, zu einem Fundament des völkerrechtlichen Seerechts wurde. Von dieser Freiheit ist jener der Küste eines Staates vorgelagerte Meeresstreifen ausgenommen, welcher — und hier herrscht keine einheitliche Regelung — in der Breite von 3 bis 12 Seemeilen (eine Seemeile entspricht 1,852 km) der Souveränität des Küstenstaates unterliegt.

Einerseits die Entdeckung des an Bodenschätzen überaus reichen Kontinentalsockels (des Meeresgrundes und Meeresuntergrundes von der Küste bis zu einer Meerestiefe von etwa 200 m, von wo erst der Meeresboden zu voller Ozeantiefe absinkt) und anderseits die Entwicklung moderner Techniken und Geräte zur Erschließung dieser Reichtümer veranlaßten 1945 die USA, in der sogenannten „Truman-Proklamation“ ihre Souveränität auf Grund des geographischen Zusammenhangs auf den Kontinentsockel auszudehnen. Dieser Schritt, der keine Ausdehnung des Küstenmeeres bedeutete, wurde nicht nur von den übrigen Küstenstaaten akzeptiert, sondern diese setzten selbst in der Folge ebensolche Akte, nachdem sich eine allgemeine Rechtsüberzeugung entwickelt hatte, daß Meeresgrund und -Untergrund im Sockelbereich dem Uferstaat gehören. Die Genfer Konvention von 1958 über den Kontinentalsockel stellte dieses Recht endgültig außer Streit.

Oft beträchtliche Staatseinnahmen fließen nun aus solchen Verträgen, die heute die Rechtsgrundlage für die umfangreiche Off-Shore-Erdöl-produktion im Persischen Golf, im karibischen Raum und vor den Küsten Indonesiens darstellen.

Das Recht auf den Kontinentalsockel umfaßt jedoch nicht Souveränitätsrechte über die „epikontinentale See“, also über die darüber gelegenen Gewässer, die weiterhin dem Grundsatz der Freiheit der Hohen See unterliegen und daher bis zur Küstenmeergrenze der Fischerei aller Staaten offenstehen.

In Widerspruch zu dieser heute gültigen Rechtslage setzte nun das ein, was der internationale Seerechtler als creeping legislation (schleichende Gesetzgebung) bezeichnet: die langsame, von Staat zu Staat fortschreitende unilaterale Ausdehnung von staatlichen Hoheitsrechten über das Meer. Creeping Legislation wird vor allem bei den lateinamerikanischen Staaten eifrig gepflegt. Ohne selbst über einen Kontinentalsockel zu verfügen — hier fällt ausnahmsweise die Küste unmittelbar in Ozeantiefe ab —, aber dennoch unter Hinweis auf die Truman-Doktrin beanspruchten zwischen 1947 und 1949 die Staaten Chile, Ekuador und Peru einseitig eine Küs'tenmeerbreite von 200 Seemeilen (370,4 km), ein Ausmaß, welches im Vergleich zum traditionellen System gigantisch erscheint. Diesem Beispiel

Panama (1967, Uruguay (1969) und Brasilien (1970), so daß mit Ausnahme von Kolumbien, Venezuela, Guayana und Surinam der gesamte südamerikanische Kontinent ein ansehnliches Stück der freien Weltmeere auf diese Weise unter seine Herrschaft zu bringen versucht. Das Beispiel machte übrigens auch auf dem Nachbarkon'tinent Afrika Schule, wo Guinea 130 und Sierra Leone 200 Meilen Küstengewässer beanspruchen. Demgegenüber wirkt die jüngste isländische Forderung von 50 Meilen beinahe bescheiden.

Fragt man nun nach den Ursachen und Auswirkungen solcher einseitiger Akte, so sind erstere vor allem in den nationalen Wirtschaftsinteressen des betreffenden Küstenstaates gelegen. Es genügt, zu erwähnen, daß mit ihrem Schritt Chile, Peru und Ekuador die vielleicht fischreichsten Fanggebiete der Welt am Rande des Humboldtstromes unter ihre ausschließliche Kontrolle zu bringen versuchten. Im Gegensatz zur Tru-man-Proklamation sind aber die rechtlichen Wirkungen dieser Akte bisher relativ gering: sie stießen auf überwiegenden Widerstand, wobei selbst maritime Erzrivalen wie die USA und die Sowjetunion sich in seltener Einmütigkeit derartigen legislativen Eskapaden wiedersetzen. Der jüngste Beweis dieser Haltung wurde am 29. August durch eine der beiden maritimen Supermächte geliefert, als nämlich die Sowjetunion bei der isländischen Regierung gegen deren geplante Ausdehnung der Fischereigrenzen energisch Protest einlegte. Die Chance, daß durch allgemeine Anerkennung eine Erweiterung der Küstenmeerbreite in diesem Ausmaß zu Recht wird, ist daher aus diesem Grund sowie der Tatsache, daß sich auch der Internationale Gerichtshof gegen die Rechtmäßigkeit des isländischen Schrittes ausgesprochen hat, wohl gering. Man darf auch nicht übersehen, daß bei einer Durchsetzung etwa des 200-Meilen-Sys'tems die freien Meere und Ozeane auf etwa 2At ihres heutigen Umfangs zusammenschrumpfen würden. Das bedeutet weiter, daß zwar die „schädigungslose Durchfahrt“ durch diese neuen Küstengewässer durch Schiffe anderer Staaten zulässig wäre, aber das Uberfliegen dieser weiten Bereiche des Meeres bereits von der Zustimmung des Küstenstaates abhängig wird, eine Folge, die sicherlich den Bedürfnissen des internationalen Flugverkehrs nicht gerade entgegenkommt.

Wenn auch nicht selbst praktiziert, so wird dennoch dieses 200-Meilen-System von Spanien und Portugal sowie der Volksrepublik China befürwortet, die sich damit zum Sprecher der „Dritten Welt“ macht. Das Problem ist in der Tat weniger ein solches zwischen Ost und West, als eines zwischen Nord und Süd, zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern. Diese fühlen sich durch modernst ausgerüstete Fangflotten ersterer in ihrer „Souveränität über Naturreichtümer“ bedroht und versuchen durch die genannten legislativen Maßnahmen dieser drohenden Gefahr der Ausbeutung zu begegnen.

Eine Lösung dieses weltweiten Problems kann nur auf universeller Ebene erfolgen. Mit diesem Ziel vor Augen beschloß die UNO-General-versammlung 1970 die Abhaltung einer Konferenz zur grundlegenden Neuregelung des internationalen Seerechts, deren zweite vorbereitende Tagung im August dieses Jahres in Genf beendet wurde. Die hier aufgezeigten Probleme wurden auf diesem Forum eingehend diskutiert. Wiewohl man von handfesten Lösungen noch weit entfernt ist, kann bereits jetzt gesagt werden, daß die traditionellen Küstenmeergrenzen kaum eine grundlegende Änderung erfahren werden; daß sich weiters langsam die allgemeine Auffassung zeigt, daß die Reichtümer der Hohen See allen Staaten gehören, deren Verwaltung und Verteilung durch alle Staaten — etwa im Wege einer Internationalen Organisation zu erfolgen habe. Den zum Teil berechtigten Interessen der Entwicklungsländer könne man in der Weise entgegenkommen, daß ihnen in mehr oder weniger küstennahen Gewässern Prioritätsrechte eingeräumt werden, wobei gleichzeitig in diesen Gewässern fremde Staaten Fischfangkontingentierungen und anderen Beschränkungen- unterworfen werden. Diese Lösung klingt im übrigen bereits im jüngsten Urteil des Weltgerichtshofs an.

Wie kann nun Österreich sein Scherflein zur Lösung dieser internationalen Probleme beitragen? Einen — und gewiß nicht unwesentlichen — Beitrag hat es bereits geleistet, indem es als ein auch vom Regelungsgegenstand her neutraler Staat die für 1973 geplante III. Seerechtskonferenz in Konkurrenz mit Santiago de Chile nach Wien eingeladen hat, und damit die Reihe jener Konferenzen, die erfolgreich schwierige Materien des heutigen internationalen Rechts aufzeichneten, fortzusetzen bemüht ist.

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