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Wendezeit für Konzernchefs

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Alle großen Marktwirtschaften der Welt melden Schwierigkeiten, Konkurse, Verluste. Ist das nur eine vorübergehende Schwäche? Oder signalisieren diese Trends und Entwicklungen eher, daß unter dem dominanten Streben nach Wachstum Unternehmen zukünftig weder erfolgreich gegründet noch geführt werden können?

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Alle großen Marktwirtschaften der Welt melden Schwierigkeiten, Konkurse, Verluste. Ist das nur eine vorübergehende Schwäche? Oder signalisieren diese Trends und Entwicklungen eher, daß unter dem dominanten Streben nach Wachstum Unternehmen zukünftig weder erfolgreich gegründet noch geführt werden können?

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Wachstum war die Entwicklungsstrategie des Dinosauriers. Die letzten Riesenechsen sind vor zirka 65 Millionen Jahren ausgestorben. Bei sich ändernden klimatischen und nahrungsspezifischen Bedingungen hat sich Wachstum nicht bewährt, um ihre Art zu erhalten.

Unser Wirtschaftsbarometer - bislang auf Wachstum weisend - bewegt seinen Zeiger. Das Wirtschaftswunder, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg einstellte, um uns eine lange Phase des Wirtschaftswachstums zu bescheren, hat sich erfüllt: Die Märkte sind gesättigt, die Verbraucher auch. Wirtschaftszweige stoßen an Wachstumsgrenzen. Der Konsument investiert qualitäts- und preisbewußter. Die Schlüsselbranchen unseres Wohlstandes, Industrie, Energie, Dienstleistungen, Banken und Versicherungen signalisieren Statikprobleme an ihren Fundamenten.

Auf dereinen Seite funktioniert das Wachstum nicht mehr so wie gewöhnt und geplant. Auf der anderen Seite blasen fremde Winde aus internationalen Richtungen wie EG, Osteuropa, Golfregion gegen die Mauern unserer Wohlstandsfestung. Ein Cocktail aus Neugier, Hoffnung, Chance, Skepsis und Angst beeinflußt zur Zeit die Stimmung der Menschen in unserem Lebensraum.

Kein Baum wächst ewig, kein Mensch wird zum Riesen. Die Dinosaurier sind ausgestorben, aber ein gewisses Dino-Bewußtsein steckt in unserer marktwirtschaftlichen Haltung. Wir beurteilen unseren Erfolg nur aus der Wachstumsbrille. Wirtschaftswachstum, Unternehmenswachstum, Einkommenswachstum, materieller Reichtum und sein Zuwachs sind unter anderem die Paradigmen unserer Zeit. Von diesem einseitigen Standpunkt aus denkend und handelnd müssen wir unweigerlich in eine Krise schlittern, die hie und da geradezu beschworen wird.

Es ist alarmierend, daß 1992 in Österreich das „Jahr der Konkurse” war. Es verunsichert, wenn große Unternehmen sich zu noch größeren zusammenschließen. Es erschreckt, wenn bislang gewinnträchtige Unternehmen, wie die AUA, plötzlich Verluste melden. Ereignisse, die zwar Österreich treffen, aber nicht allein in Österreich stattfinden.

Alle großen Marktwirtschaften der Welt melden ähnliches. Diese Trends und Entwicklungen signalisieren, daß unter dem dominanten Streben nach Wachstum Unternehmen zukünftig weder erfolgreich gegründet noch geführt werden können. Das signalisiert aber auch Politikern in allen reichen Ländern, daß sie erkennen müssen, daß unsere marktwirtschaftlichen Volkswirtschaften im wesentlichen ausgewachsen sind und jetzt erwachsen werden müssen.

Ebenso muß jeder einzelne von uns Verbrauchern lernen, daß das Konsumieren „auf Teufel komm raus” nicht lebenserfüllend ist. Ständige starke Einkommenszuwächse sind ebenso unrealistisch wie die unaufhörliche Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit. Das Streben nach dem absoluten Maximum wie auch Minimum, das Erreichen quantitativ hoch gesteckter Ziele mit Brachialgewalt, das Ausknocken von Mitbewerbern durch Preisverfallsaktionen oder Aufkäufe, sowie Korruption und Gier ähneln den Ver-haltensweisen von Dinosauriern.

Der größte Dino, der gefunden wurde, hatte eine Länge von dreißig Metern und war bis zu fünfzehn Metern hoch. Er hat 130 Tonnen gewogen; das entspricht dem Gewicht von zwanzig Elefanten. Er war Pflanzenfresser und muß von morgens bis abends unaufhörlich gefressen und verdaut haben, um seinen enormen

Energiebedarf zu decken. Manche Multis, Riesenkonzerne und Finanzimperien muten an wie Dinosaurier. Sie haben zwar hochintelligente Schaltzentren, aber einen enormen Bedarf an Energie, wie Finanz und Rohstoffe. Sie sind da schwer steuerbar, sehr anfällig gegen wirtschaftliche Klimaveränderungen. Die Folgen sind zum Beispiel Schließung von Organisationseinheiten, Freisetzung von Mitarbeitern, wie das unter anderem bei General Motors in den USA der Fall war (siehe obenstehenden Beitrag). Auch Untemehmenszusam-menbrüche, wie sie in der Informationsverarbeitungsindustrie derzeit häufig vorkommen, sind eine Folge dominanten Dino-Denkens. Wir haben vom Wirtschaftswachstum profitiert und profitieren immer noch. Wir haben aber auch Auswirkungen unseres Wohlstandes und deren Folgen auf unsere Mitwelt und letztlich auf uns selbst übersehen. Unternehmen wie Manager stehen vor einem Verwandlungsprozeß. Vom Boxer, der ohne Rücksicht auf Verluste seinen Sieg erringen will, müssen sie zur Jiu-Jitsu Persönlichkeit werden, die das sanfte Spiel der Kräfte beherrscht, um zu überleben. Eigenschaften, die wir überlebensnotwendig brauchen, sind optimale Anpassungsstrategien, Flexibilität, Kreativität und Harmonie mit der Natur. Jiu-Jitsu nutzt vorhandene wie auch störende Kräfte anstatt sie zu bekämpfen. Ein Beispiel ist die japanische Wirtschaft. Sie nutzt diese Kraft offensichtlich zu ihrem Vorteil und hat unsere Dino-Mentalität in der Verehrung des Automobiles und der High-Tech-Bewunderung erkannt.

Die japanische Wirtschaft betreibt das Spiel mit der Dino-Mentalität so perfekt, daß sie aufpassen muß, nicht selbst bei sich Dino-Probleme zu erzeugen.

Manche Unternehmen können nur schwer auf Marktveränderungen reagieren, weil sie von einem bestimmten Produkt abhängig sind, anstatt ihre Marktfunktion zu definieren. Die Automobilindustrie ist ein Beispiel dafür. Werden weniger Autos gekauft, so geht sofort der Umsatz zurück. Folgen sind Kurzarbeit, Freisetzung von Mitarbeitern und so weiter.

Würden diese Unternehmen ihren Existenzgrund erweitern, wären sie vielleicht nicht so krisenanfällig. Sie könnten sich als Verkehrsspezialisten verstehen, die auch Dienstleistungen und Produkte zur Verfügung stellen, die unser öffentliches Verkehrswesen optimieren.

„Speed”- und ,Lean”-Management heißen die neuen Mode worte, um das zeitgemäße Unternehmen kundenorientiert auszurichten. Managementebenen werden flacher und Informationen gelangen direkt an die Entscheidungsträger in Geschäftsführung beziehungsweise Vorstand. Die Anpassung an neue Marktverhältnisse wird dadurch leichter.

Der produktive Mitarbeiter, der zu 90 Prozent eigenverantwortlich seine Aufgabe erfüllt, ist die zukünftige Basis des Unternehmenserfolges. Er realisiert das Flexibilitäts-Prinzip durch eine qualifizierte Selbstorganisation. Er ist teamorientiert tätig und kann sich auf neue Marktverhältnisse schnell einstellen. Dies versetzt das Unternehmen in die Lage, sich kurzfristig auf ändernde Konsumentenbe-dürfnisse einzustellen.

Das Unternehmen, das in den kommenden Jahren erfolgreich tätig sein will, wird nicht darum herumkommen, „erwachsen” zu werden. Die Zukunft wird zeigen, ob sich die Unternehmen weiterhin wie Dinosaurier verhalten und nur auf Wachstum aus sind oder sich neuzeitlicheren Management-Methoden bedienen werden, um auch in Zeiten neuer „Klimabedingungen” erfolgreich zu sein. Der Autor ist Leiter der European Cybemetics Academy in Wien.

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