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Wenig Hoffnung ftir Chile

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Im elften Jahr der Pinochet-Diktatur geht es Chile alles andere als gut: Seit 1972 sinkt die Industrieproduktion ständig, zur Zeit wird nur mehr die Hälfte der damaligen Güter erzeugt. Mitte 1983 lag die Inflationsrate bei rund 30 Prozent. Die Arbeitslosigkeit unter den Landarbeitern erreicht im März dieses Jahres 45 Prozent. Und 30 Prozent der chilenischen Kinder sind in einem Ausmaß unterernährt, daß ihre normale Entwicklung gestört ist.

Der Unmut über diese wirtschaftliche Misere, vor allem aber auch über die politische Repression, führte im Frühsommer vergangenen Jahres zu Massenprote-

sten. „Nationale Protesttage" wurden von Oppositionsgruppen aufgerufen, an denen ein großer Teil der chilenischen Bevölkerung versuchte, durch passiven Widerstand das Tagesgeschehen lahmzulegen: Die Menschen in den Straßen gingen betont langsam, auf den Arbeitsplätzen wurde geschwiegen, es verkehrten keine Taxis und Autobusse mehr.

Die Polizisten des chilenischen Machthabers Pinochet wurden nervös. Doch Reden oder Schweigen aus Protest konnten auch sie nicht verbieten. Und über die Gehgeschwindigkeit von Fußgängern ließ sich kaum eine Verfügung erlassen.

Als aber dann an den Abenden der .Protesttage" die Landeshauptstadt Santiago einem „dröhnenden Kochtopf" glich, weil die Einwohner durch Hämmern auf Haushaltsgeschirr ihr Mißfallen mit dem Regime bekundeten, antwortete die Militärjunta mit Knüppeln und Ketten. Verhaftungen folgten, es gab bei Zusammenstößen mit der Polizei Tote und Verletzte.

Einer, der damals ebenfalls im Gefängnis landete, war der Vorsitzende der christlich-demokratischen Opposition Chiles, Gabriel Valdes. Auf Druck der Massenbewegung und des Auslandes ging Valdes aber bald nach der Verhaftung wieder frei.

Erst unlängst weilte er in Wien, wo er in einem Vortrag unter anderem erklärte: „Meine Partei will die Menschen in Chile nicht gegeneinander aufhetzen. Wir wissen genau, was in Peru, Argentinien oder El Salvador geschehen ist. Wir wollen keinen Bruderkrieg!"

Zur aktuellen politischen Situation in Chile meinte Valdes: „Pinochet begeht zur Zeit einen großen Fehler. Er entscheidet sich nicht, ob er jetzt einen liberaleren, menschenwürdigeren Kurs einschlagen, oder den Weg der Gewalt und Unterdrückung beibehalten soll. So verliert das Regime an Glaubwürdigkeit, während in der Bevölkerung das politische Bewußtsein wächst und damit die politischen Parteien im Untergrund Zulauf erhalten."

Dennoch: Die Chance für einen breiten Protest wie im vergangenen Jahr schätzt Valdes zur Zeit als gering ein, obwohl auch dieser Tage wieder Unruhen ausgebrochen sind. Denn der Massenwiderstand fordert, wie das Jahr 1983 zeigte, zu viele Todesopfer.

Die christlich-demokratische Partei will im Untergrund eine demokratische Lösung für Chile vorbereiten. Aber aller Voraussicht nach besteht für die Bevölkerung erst 1989 wieder Hoffnung auf eine menschenwürdigere Verfassung und ein demokratisches System. Denn erst dann läuft die achtjährige Amtsperiode von Präsident Pinochet ab.

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