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Wenig Mut zur Selbstkritik

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Das Jubiläumsjahr 1984 (50 Jahre nach 1934) nähert sich dem Ende. Viel ist politisch aufgearbeitet worden. Ein Fazit bleibt: Mit mehr Anstand taten es die „Bürgerlichen".

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Das Jubiläumsjahr 1984 (50 Jahre nach 1934) nähert sich dem Ende. Viel ist politisch aufgearbeitet worden. Ein Fazit bleibt: Mit mehr Anstand taten es die „Bürgerlichen".

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Im Februar 1984 haben österreichische Katholiken unter Führung ihres Kardinals öffentlich Abbitte und Buße getan: Namhafte Sozialisten (vgl. Fischer-Interview in der FURCHE Nr. 14/84) waren beeindruckt.

Es ist nicht bei Gebeten und Predigten geblieben. Auch in der zeitgeschichtlichen Fachliteratur setzte eine kritisch-selbstkritisch differenzierende Grundlinie sich durch. Uberzeugendes und fesselndes Beispiel dafür ist auch der Styria Sammelband „Österreich 1934-1984", der mit eindimensionalem Klischeedenken aufräumt: in Sicht auf rechts wie auch auf links.

An der Demokratie sind viele Völker damals verzweifelt, nicht nur Österreich: Von Ungarn bis Polen und zum Baltikum, von Portugal bis Griechenland herrschten autoritär-parlamentarische Mischformen vor. Sie alle über den Faschismus-Kamm zu scheren, ist ebenso primitiv wie die vulgärmarxistische Methode, alle „österreichisch-konservativen, national-halbfaschistischen, ständisch-sozialen und nationalsozialistisch-revolutionären, antiösterreichisch-großdeutschen und gleichschaltungswilligen

Kräfte auf die einzige Forderung .faschistisch' zu bringen" (K. D. Bracher, S. 13).

Die Haltung der katholischen Amtskirche gegenüber dem Dollfuß-Regime war gewiß „ambivalent" (Maximilian Liebmann, S. 117). Aber die Koalitionsvorstellungen unterschiedlicher katholischer Protagonisten waren beidseitig erstaunlich: Plädierte Anton Böhm für eine Koalition der Christlichsozialen mit den Nationalsozialisten, wollte Ernst Karl Winter neben Katholiken, Liberalen und Sozialisten auch Faschisten in seiner Koalition gegen die Nazis sehen...

In der Beurteilung Dollfuß' gab es auch heuer die größten Abstände zwischen versöhnungswilligen Sozialisten und brückenbauenden Katholiken. Manfried Welan findet, Bundespräsident Wilhelm Miklas hätte das erpresserisch gemeinte Rücktrittsangebot Dollfuß' nach der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 annehmen müssen.

Miklas aber erlaubte Dollfuß, nach dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz (KWEG), das von 1917 in die republikanische Verfassung übernommen worden war, autoritär zu regieren. Warum hatten die Sozialdemokraten der Hereinnahme dieses Trojanischen Verfassungspferdes zugestimmt?

Dazu ein Zitat von Adolf Schärf: „Wir haben 1920 das KWEG in die Verfassung eingebaut, um es einmal gegen die anderen anwenden zu können, und nun ist die Büchse rückwärts losgegangen" (S. 163).

Kardinal Innitzers „Heil Hitler" in seinem Brief vom 18. März 1938 war Ausdruck einer opportunistischen Schwäche eines ansonsten mutigen Prinzipienverfechters. Aher Karl Renners Ja zum Anschluß an Hitler-Deutschland konnte in seinen „letzten Motivationen nie aufgehellt werden" und führte vermutlich dazu, daß der Anteil der. Nein-Stimmen bei der Volksabstimmung vom 10. April 1938 bei Arbeitern „unterdurchschnittlich gering" war (Alfred Ableitinger).

Wahr ist halt auch, daß die Bereitschaft zur Verleugnung der Demokratie in allen Schichten groß war, wenn man sich — zuerst von Dollfuß, dann von Hitler — die Beseitigung des Wirtschaftselends (1933 war jeder vierte Arbeitnehmer in Österreich arbeitslos!) erwarten durfte. So war „das Schicksal der Ersten Republik ein mahnendes Beispiel dafür, daß man politische Polarisierungsprozesse nicht zu weit treiben darf und sich immer überlegen soll, wohin das führt" (Norbert Leser, S. 153).

Aber sozialistische Autoren, die zu ähnlich mannhafter Selbstkritik wie nichtsozialistische bereit sind, haben es leider schwer in diesen Tagen. Norbert Leser hat schon viel Schelte eingesteckt, Walter B. Simon noch mehr.

Simon, der in den damaligen Sozialdemokraten nicht nur Opferlämmer und in Christlichsozialen und Großdeutschen nicht nur Faschisten erblickt, hat sich für sein Buch „Österreich 1918-1938" in der sozialistischen „AZ" vom 20. August 1984 vorhalten lassen müssen, man werde ihn langsam nicht länger als Sozialdemokraten anerkennen und jedenfalls nicht mehr als Gesprächspartner ernst nehmen können.

Einige der gegen ihn dabei erhobenen sachlichen Vorwürfe fallen eher auf den Rezensenten Herbert Steiner als auf den Kritisierten zurück. Das aber ist traurig: Daß in einem Jahr, in dem viel Unheilvolles aus der Ersten Republik von Nichtsozialisten in ehrlicher Selbstkritik aufgearbeitet worden ist, Sozialdemokraten mit einem ähnlichen Mut zur Selbstkritik schmählich abgeschmettert werden.

ÖSTERREICH 1934-1984. Erfahrungen, Erkenntnisse, Besinnung. Hrsg. von Joseph F. Desput. Verlag Styria, Graz-Köln-Wien 1984. 239 Seiten, kart., öS 198.-.

OSTERREICH 1918-1938. Ideologien und Politik. Von Walter B. Simon. Böhlau-Ver-lag. Wien 1984.183 Seiten, Pbck., öS 296,-.

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