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Wenig Solidarität

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Früher als gedacht, schritt Willy Brandt zur Abrechnung mit seinem Brutus Herbert Wehner. Das Brandt-Buch „Über den Tag hinaus“ ist ein Pfeil, der den ?»Iann abschießen soll, der Br/mdt abschoß. Wehner hat offenbar tatsächlich eine sehr schäbige Rolle gespielt, vw allem, wenn man bedenkt, wie er sich später an seinen unhaltbar gewordenen Wienand geklammert hat. Aber auch Brandt war nicht mehr zu halten — seine eigenen Erinnerungen machen es noch deutlicher.

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Früher als gedacht, schritt Willy Brandt zur Abrechnung mit seinem Brutus Herbert Wehner. Das Brandt-Buch „Über den Tag hinaus“ ist ein Pfeil, der den ?»Iann abschießen soll, der Br/mdt abschoß. Wehner hat offenbar tatsächlich eine sehr schäbige Rolle gespielt, vw allem, wenn man bedenkt, wie er sich später an seinen unhaltbar gewordenen Wienand geklammert hat. Aber auch Brandt war nicht mehr zu halten — seine eigenen Erinnerungen machen es noch deutlicher.

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Durch die Auseinandersetzungen um Wienand, den er immer wieder selbst in kritischsten Fällen gedeckt und unterstützt hat. Ist Wehner voll in die Schußlinie jener Partei- „freunde“ geraten, die den alternden, unberechenbaren und eigensinnigen Politiker gerne seiner Macht beraubten. Seit Montag weiß man nun, daß auch Willy Brandt und Helmut Schmidt, jeder auf seine Weise ein Wehner-Geschädigter, die Attacken auf Wehner nicht ungem sahen und zumindestens nichts dagegen unternahmen, daß offen ein Rückzug Wehners aus seinen Ämtern verlangt wurde. Ein Verhalten, das erst im Vergleich mit den tosenden Ovationen für Wehner auf dem Hannoveraner Parteitag der SPD zeigt, wie sehr sich weite Kreise in der SPD von ihrem „Altmeister“ entfernt haben.

Schon der Anlaß für die minutenlangen Ovationen für Wehner in Hannover war ein Ärgernis für einige in der Parteispitze, vor allem für Willy Brandt, gewesen. Wehner hatte kurz zuvor unerwartet bekanntgegeben, daß er „aus persönlichen Gründen“ nicht mehr länger stellvertretender Parteivorsitzender sein wolle. Damit verlor Willy Brandt plötzlich in einer Phase wachsender innerparteilicher Konflikte seinen wichtigsten Stellvertreter in der Partei. Zwar blieb Wehner auf seinem Posten als Fraktionsvorsitzender, aber hier war er mehr ein Gegenüber zu Brandt, denn sein Mitstreiter und Ohef-Stratege.

Bald bewies Wehner dann auch noch, daß er die gewonnene Unabhängigkeit vom Parteivorsitzenden dazu benützte, um seine eigenen politischen ui d taktischen Vorstellungen nur um so besser verwirklichen zu können. Er begann den Kanzler, der ohnedies gerade ein Formtief durchmachte, offen zu attackieren, benutzte dazu sogar einen Aufenthalt in der UdSSR und startete gar noch eine Geheimdiplomatie mit Besuchen bei ungenannten Gesprächspartnern in Moskau und überraschenden Treffen mit DDR- Chef Honecker.

Nicht nur, daß Wehner auf diese Weise massiv begann, das „politische Denkmal“ Willy Brandt zu zerstören, sein Verhalten war ein Hohn auf die Brandt-Beteuerungen, mehr Transparenz in die Politik zu bringen, da nicht einmal Parteifreunde wußten, was Wehner trieb. Kein Wunder, daß jetzt imbewiesene, aber von vielen wegen der Unberechenbarkeit Wehners für möglich gehaltene Gerüchte umlaufen, der Fraktionsvorsitzende hätte Geheimtref- fen mit Honecker gehabt und diesen sogar von den Verdachtsmomenten gegen . den Kanzlerreferenten Guilaume unterrichtet.

Im Zusammenhang mit der Enttarnung dieses DDR-Spions ist Wehner es vor allem gewesen, der Brandts raschen Rücktritt herbeiführte. Wenn dies aus parteipolitischen Gründen auch richtig war und später durch den Gewinn an Wählersympathien mit Kanzler Schmidt gerechtfertigt wurde, so haftet Wehners entschiedenem Vorgehen im Fall Brandt ein unguter Beigeschmack an, wenn man das Festhalten Wehners an seiner „rechten Hand“ Karl Wienand beobachtet. Wo er den Kanzler, kaum daß die Krise akut wurde und Schaden für die Partei zu befürchten war, fallen ließ und sogar noch stieß, da hielt er Wienand, auch wenn dieser bereits zu einer nahezu unerträglichen Belastung für die Partei geworden war.

Kein Wunder, daß Kreise in der Partei, die Brandts Sturz nicht so leicht verschmerzen konnten und unter Wehners zunehmend sprunghafter und rüder werdenden Art zu leiden haben, die mit den Skandalen um Wienand gebotene Möglichkeit nützten, dem Zuchtmeister der SPD-Fraktion am Zeug zu flicken. Dabei scheinen die Pläne zunächst auf einen schnellen Sturz Wehners hinausgelaufen zu sein. Von der ersten Minute an wurde Wienands erneute Verstrickung in Skandale mit Wehner zusammengebracht und der „Spiegel“ nannte seine die neue Affäre Wienand auslösende Geschichte: „Wienands Fall — Wehners Ende?“

Der Zeitpunkt schien günstig gewählt. Wehner war auf Urlaub. Die Wahlen in Hessen und Bayern noch nicht so nah gerückt, daß parteiinterne Konflikte begraben werden müßten. Freilich zog der schlaue Fuchs Wehner noch einmal den Kopf aus der Schlinge. Mit taktischen Raffinessen, mit einer polternden, von verwirrender Syntax geprägten und die Sachverhalte mehr verschleiernden denn erklärenden Elocjuenz, wußte er sich aus der Umklammerung mit Wienand zu befreien und ließ diesen allein den unaufhaltsamen Absturz in die politische Belanglosigkeit antreten.

Zwar ist nun Wienand seines Amtes als parlamentarischer Geschäftsführer entbunden, aber um seinen ehemaligen Beschützer Wehner türmen sich ungeklärte Fragen. Weshglb hat er Wienand so lange geschützt? War es nur Solidarität, oder banfl die beiden das Wissen um irgendwelche geheimzuhaltenden Vorgänge? Hat Wehner Brandt kaltblütig gestürzt, nachdem dieser nicht mehr der rechte Vollstrecker seiner Politik war? Ist ihm auch Helmut Schmidt nur ein Werkzeug? (Die Beziehungen zwischen beiden sind jedenfalls nicht besser als früher bei Brandt.)

Für die SPD aber lauten die bangen und zukunftsentscheidenden Fragen: Was hat Wehner weiter vor? — Wie lange will Wehner noch seine, die Partei mehr in Schwierigkeiten denn zu Erfolgen führende, Politik im Alleingang treiben? Will die eben erst von der Brandt-Flaute erholte SPD nicht wieder abrutschen, muß sie entschieden an politischer Glaubwürdigkeit gewinnen. Wehners Politik des nackten Machterhalts seiner Partei, die schon an Spätz)üge der Adenauerschen CDU-Politik erinnert, ist der SPD nicht dienlich. Blitzumfragen haben gezeigt, daß die SPD durch die Geschichten um Wienand und Wehner wieder gewaltig an Terrain bei den Wählern verloren hat.

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