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Weniger Butter und dafür mehr Kanonen

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Das alte Dilemma „Butter oder Kanonen“ plagt die US-Regierung Jimmy Carters auf besondere Art: Nachdem der Präsident in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit fiskal ziemlich sorglos in den Tag gelebt und die Beiträge der Steuerzahler in laufende Sozialprogramme investiert hatte, steht jetzt plötzlich die Inflation mit einer Rate um die 10 Prozent wie ein Schreckgespenst im „Oval Office“ des Präsidenten.

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Das alte Dilemma „Butter oder Kanonen“ plagt die US-Regierung Jimmy Carters auf besondere Art: Nachdem der Präsident in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit fiskal ziemlich sorglos in den Tag gelebt und die Beiträge der Steuerzahler in laufende Sozialprogramme investiert hatte, steht jetzt plötzlich die Inflation mit einer Rate um die 10 Prozent wie ein Schreckgespenst im „Oval Office“ des Präsidenten.

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Wurden diese Programme zunächst alle als Arbeitsbeschaffungs-Projekte bezeichnet und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Priorität eingeräumt, steht jetzt der Kampf gegen die Inflation im Vordergrund. Dieser Kampf soll mit Leitlinien für zulässige Lohn- und Preisbewegungen geführt werden. Zugleich soll durch tiefe Schnitte im Haushalt das Defizit von rund 50 Milliarden Dollar im Jahr 1977/78 auf unter 30 Milliarden im Fiskaljahr 1979/80 gesenkt werden.

Während es um die „freiwilligen“ Preis- und Lohnrestriktionen nichts als Skepsis gibt - Nixon hatte ergebnislos sogar obligatorische Kontrollen eingeführt -, wird um die Verteilung des Haushaltskuchens erbittert gerungen, und das nicht nur zwischen Demokraten und Republikanern, sondern auch innerhalb der Demokratischen Partei.

Denn der Präsident hat durchblik-ken lassen, daß er die Sozialausgaben beschneiden, aber die Rüstungsausgaben um etwa drei Prozent über die inflationsbedingte Teuerung anheben will. Das hat sofort die Vertreter der schwarzen US-Bürger der städtischen Interessengruppen, die Umweltschützer und auch die radikalen Gewerkschaften auf den Plan gerufen, die den Präsidenten auf dem Parteitag der Demokraten in Memphis (Tennessee) scharf attackierten.

Die Opposition zu Carters Plänen kommt also von links und konzentriert sich um den populären „letzten Kennedy“, den Senator Edward Kennedy aus Massachusetts. Doch Carter schaut dieser Herausforderung gefaßt entgegen. Denn die Stimmung im Land ist momentan konservativ - das haben die jüngsten Halbzeitwahlen gezeigt.

Carter glaubt auch, diese Bedrohung aus den eigenen Reihen durch weitere außenpolitische Erfolge bekämpfen zu können. Zwar ist sein Ruhm als Vermittler zwischen Israel und Ägypten schon ein wenig verblaßt, aber Camp David war der Wendepunkt nach einer Phase allgemeinen Popularitätsschwundes. Die Hoffnungen sind nach Camp David und nach der Annäherung an Pe-

king jetzt auf die Unterzeichnung und Ratifizierung des Atom-Abrüstungsabkommens SALT II mit der Sowjetunion und den Besuch des chinesischen Vizepremiers Teng in Washington gerichtet.

So ist die dreiprozentige Anhebung des Rüstungsetats eine Konzession an alle jene Kreise, die dem SALT-Abkommen mit großem Mißtrauen gegenüberstehen: gegenüber den Militärs, die schon längere Zeit vor einem sowjetischen Rüstungsvorsprung warnen; gegenüber der NATO, die in der Frontlinie der Auseinandersetzung steht, und gegenüber einer sehr skeptischen Minderheit im Senat, die jedoch schon heute so stark ist, um die zur Ratifizierung der Verträge notwendige Zweidrittelmehrheit zu verhindern.

Dieser „SALT-Skepsis“ wurde bereits der als zu „weich“ gegenüber den Sowjets charakterisierte Abrüstungschef Paul Warnke geopfert und durch einen General ersetzt, von dem man im Pentagon allerdings auch nicht weiß, wo er eigentlich steht. Die NATO-Verbündeten sollen durch höhere Dotierungen geködert werden und Außenminister Vance nach London kommen, um den NATO-Staaten klar zu machen, daß SALT II nicht Konzessionen oder Nachgeben, sondern „Sicherheit“ bedeute.

Schließlich wurde den sich gegen die totale Kontrolle Moskaus wehrenden Rumänen durch den Besuch eines amerikanischen Kabinettsmitgliedes der Rücken gestärkt und Bukarest der Sympathien Washingtons versichert.

Interessanterweise haben die Führer des Kremls dieses Muskelspiel Carters ebenso mit Fassung hingenommen wie seine anfänglichen Initiativen zugunsten der in ihren Menschenrechten Bedrohten. Moskau hat zuletzt auch wieder einigen Juden die Ausreise aus der Sowjetunion bewilligt und die Vertreter amerikanischer Industrien bei einem Besuch in Moskau wurden durch Zuspruch des Parteiobmannes Breschnew ausgezeichnet.

Manche Kreml-Interpreten glauben in dieser Haltung eine Reaktion

auf die Bedrohung durch das immer aktiver werdende China herauslesen zu können. Jedenfalls scheint auch Moskau allerhand an der Unterzeichnung des SALT-Abkommens zu liegen.

' Ob die politische Rechnung Präsident Carters aufgehen kann, ist jedoch sehr fraglich. Es ist ungewöhnlich, daß Sparmaßnahmen zur Bekämpfung der Inflation einmal nicht von den eher unpopulären Militärs bezahlt werden sollen, sondern von den Empfängern sozialer Leistungen. Und sind die SALT-Gegner unter den Republikanern, aber auch unter den südlichen Demokraten durch mehr „Kanonen“ zu gewinnen?

•Ebenso zweifelhaft ist, ob die unter Arbeitslosigkeit und Inflation leidenden Elendsschichten der Slums das Verständnis aufbringen werden, ihre Förderungen zurückzustellen. In Memphis hat Bürgermeister White von Boston bereits vor neuen Explosionen in den Ghettos gewarnt.

In weiten Kreisen herrscht Skepsis, weil man alle diese Maßnahmen als politische Manöver interpretiert und glaubt, daß nach der Ratifizierung des SALT-Abkommens alles wieder beim alten sein werde: Daß der Rüstungsetät wieder gekürzt und die Priorität vor der Wahl 1980 wieder von der Inflationsbekämpfung zur Arbeitsbeschaffung und großzügigen sozialen Versprechungen umschwenken werde.

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