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Weniger gehorsam sein

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HANNES SCHOPF

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HANNES SCHOPF

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Uber die Erziehungsmethoden der Österreicher, über den Sinn und Unsinn einer Ohrfeige (FURCHE 40/ 1980), wird ebenso berechtigt wie leidenschaftlich diskutiert. Wozu sie ihre Kinder erziehen, was sie ihnen auf den Lebensweg mitgeben sollen, darüber wird kaum gesprochen.

Zumindest jetzt nicht mehr. Denn Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre wurden die Erziehungsgrundsätze sehr wohl in Frage gestellt.

Es war die Neue Linke, die der Familie vorwarf, jenen lebenslänglichen Untertanen heranzuzüchten, der sich scheu, ängstlich und geduckt verhalte.

Und die Theoretiker der Neuen Linken, etwa Frank Böckelmann, führten dies darauf zurück, daß die bürgerliche Familie in der Situation des Mangels leben mußte. Daher mußte sie - so die Schlußfolgerung - ihre sogenannten bürgerlichen Tugenden wie Pflichtgefühl, Gehorsam, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Enthaltsamkeit, Fleiß, Sparsamkeit und Treue entwickeln.

Freilich: Diese Diskussion wurde hierzulande nicht annähernd mit jener Heftigkeit geführt, wie das etwa in der Bundesrepublik Deutschland der Fall war. Und die letzte österreichische Grundsatzdiskussion liegt schon weit länger zurück: bald 20 Jahre.

Denn bei uns werden Erziehungsgrundsätze nur dann mit großer Anteilnahme diskutiert, wenn es um die Schule geht, wie etwa bei der Schulreform des Jahres 1962.

Damals entstand der heißumkämpfte Zielparagraph des Schulorga-nisationsgesetzes, der sich als typisch großkoalitionäre Kompromißformel liest:

„Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach sittlichen, religiösen und sozialen Werten des Wahren, Guten und Schönen . .. mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu führen.”

So floskelhaft diese Gesetzesformulierung klingt, so klischeehaft sind auch die Lebensregeln, die Österreichs Eltern der jungen Generation mitgeben.

Das Linzer Institut für Mlirkt- und Sozialanalysen (IMAS) hat die Erziehungsgrundsätze von Herrn und Frau Österreicher untersucht; dies nicht nur in einer Momentaufnahme für das heurige Jahr, sondern den mittelfristigen Trend zwischen den Jahren 1973 und 1980 - einen Zeitraum also, in dem bereits so mancher aus der Studentengeneration der späten sechziger Jahre familiäre Erziehungsverantwortung übernommen hat.

Um es vorwegzunehmen: Insgesamt haben sich die Erziehungsgrundsätze der Österreicher in den letzten sieben Jahren wohl im Detail, grundlegend aber kaum verändert. Nützlichkeitserwägungen und Ehrauffassungen wurden stillschweigend übernommen.

Es sind keine vollkommenen, mustergültigen Idealziele, die den Kindern mitgegeben werden, vielmehr ist es handfeste Lebenshilfe, ein Spiegelbild eigener Lebensweisen.

Der Österreicher hält sich selbst für höflich und freundlich. Und das ist für ihn auch erster und oberster Erziehungsgrundsatz für seine Kinder: „Immer höflich und freundlich sein” erkoren 65 Prozent der Befragten heuer (1973: 63 Prozent) aus 18 vom IMAS-Institut vorgegebenen Antwortmöglichkeiten zum vorrangigsten pädagogischen Motto.

Auch am Grundsatz Nummer zwei hat sich in den letzten Jahren nichts geändert: „Sparsam sein, auf das Geld achten” ist für 60 Prozent Erziehungsmaxime.

Unverändert auch nach sieben Jahren die Lust (oder Unlust?) des Österreichers, den herkömmlichen Weg zu verlassen: Zwar will jeder vierte seinem Nachwuchs beibringen, „sich mit dem Gewohnten nicht zufriedenzugeben, versuchen, neue Wege zu gehen”, doch rangierte und rangiert dieses Prinzip an letzter Stelle.

Dazwischen freilich hat sich einiges getan: „Diszipliniert sein, sich immer beherrschen” ist vom seinerzeitigen Rang neun auf Platz drei vorgerückt; „auch bei Schicksalsschlägen nicht den Mut verlieren” steht jetzt an vierter Stelle und hat zwei Plätze aufgeholt.

Gleich um fünf Ränge hat sich der Grundsatz „wissensdurstig sein, immer Neues dazulernen wollen” verbessert: für 49 Prozent der Österreicher ist das heute bereits der fünftwichtigste Erziehungsgrundsatz.

Und welche Prinzipien haben an Bedeutung verloren? „Gehorsam sein gegenüber Älteren und Vorgesetzten” ist von Platz drei auf Rang acht abgesackt - sicherlich eine Reaktion auf die antiautoritäre Stimmung Ende der sechziger Jahre.

Und in dem Maß, in dem die Erziehung zum Gehorsam abgenommen hat, wurde ein anderer Grundsatz aufgewertet: „hart sein, sich durchsetzen.”

Nur logisch daher, wenn auch der komplementäre Erziehungsgrundsatz, nämlich „rücksichtsvoll sein gegenüber anderen Menschen”, ebenso an Boden verloren hat wie die Einsicht, „sich anzupassen, zu versuchen, mit allen Menschen gut auszukommen”.

Natürlich ist auch „Frömmigkeit, christlicher Glaube” etwas, wozu die Österreicher ihre Kinder unbedingt erziehen wollen: Heute nennen das noch 34 Prozent als ihren Erziehungsgrundsatz - gegenüber 37 Prozent im Jahr 1973. Womit dieses Erziehungsziel in der Rangordnung der 18 IMAS-Ant-wortmöglichkeiten von Platz 11 auf Platz 15 zurückgefallen ist.

Sieht man sich die Detailergebnisse der IMAS-Untersuchung in dem zuletzt genannten Bereich an, finden sich gefühlsmäßige Einschätzungen bestätigt: Frauen sehen darin zu 37 Prozent einen Erziehungsgrundsatz, Männer nur zu 31 Prozent. 16-bis 29jährige bekennen sich zu 26 Prozent zu religiöser Erziehung, 30- bis 49jährige zu 32 Prozent, jene, die älter als fünfzig sind, hingegen zu 42 Prozent.

Je geringer das Einkommen und je kleiner die Wohngemeinde, desto höher wird diese Erziehungsaufgabe eingeschätzt. In Wien etwa will nur jeder Fünfte von einem derartigen Erziehungsauftrag etwas wissen.

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