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Wenn aber das Recht gnadenlos wird?

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Auf Wunsch des Pastoralrates in der Erzdiözese Wien ist die PGR-Ord-nung überarbeitet worden. Diese alte Ordnung war im Zuge der Reformen des II. Vatikanischen Konzils entstanden. Zwei Ziele sind für diese Bearbeitung vorgebracht worden: Die Angleichung an das erneuerte Kirchenrecht von 1983 sowie sprachliche Verschönerung. Einige Reformer erhofften sich insgeheim, mit der neuen Ordnung eine Art Musterordnung für ganz Osterreich zu schaffen.

Mit 15. November 1991 nun ist die neue Ordnung in Kraft gesetzt worden. Die ersten Exemplare kamen frisch aus der Druckerei in die gerade tagende Delegierten Versammlung des Wiener Diözesanforums zum Thema „Miteinander Kirche sein - zu gemeinsamer Verantwortung berufen". Auf der Tagesordnung stand vor allem die Verbesserung der Zusammenarbeit von Priestern und Laien insbesondere in den Pfarrgemeinden.

Reklerikalisierung?

Die Verwunderung der Versammlung war programmiert. Schon die Zweigleisigkeit hat überrascht. Hat sich doch der Erzbischof das Diöze-sanforum auch dazu einberufen, um sich in pastoralen Fragen Rat zu holen. Enttäuschung lösten vor allem einige „neue" Bestimmungen aus. Insbesondere die neue Definition der Zuständigkeiten der Laien und der Priester wurde als folgenreicher Eingriff bedauert. Der Vorwurf der „Reklerikalisierung" wurde vorgebracht. Diese zeige sich daran, daß die Rolle des Pfarrgemeinderates eindeutig und uneingeschränkt jener des Pfarrers untergeordnet werde. In der Tat: Die Laien, vertreten in dem von ihnen wählbaren stellvertretenden Vorsitzenden, sind ohne Beteiligung des Pfarrers nicht handlungsfähig: Er kann nicht einmal dann eine Sitzung einberufen, wenn der Pfarrer längere Zeit krank oder wenn eine Pfarrgemeinde längere Zeit vakant ist, ein Zustand, der auch in Österreich schon viele Pfarrgemeinden betrifft.

Spätestens hier wird klar, daß die neue PGR-Ordnung nicht nur das Kirchenrecht berücksichtigt, sondern im Zuge einseitiger Sicherung der amtlichen „Letztverantwortung" ek-klesiologisch schlagseitig wird. Ist eine christliche Gemeinde wirklich nur dann handlungsfähig, wenn es einen ernannten Pfarrer gibt? Hier zeigt sich, daß die formelle Anwendung des Rechts oftmals theologisch und auch praktisch nicht ausreicht. Die fruchtbare Spannung zwischen Gemeinde und Amt wird ausschließlich zu Gunsten des Amtes aufgelöst.

Eine in sich durchaus berechtigte Verdeutlichung der Verantwortung des Pfarrers wäre nicht so tragisch, wenn sie nicht wegen der gleichzeitigen Abwertung der Laienverantwortung fatale Folgen hätte. An den erwartbaren Auswirkungen der einsei' tigen Reform wird sich wiedereinmal zeigen, daß nicht alles, was formell rechtens ist, auch ausreicht, um der kirchlichen Lebendigkeit zu nützen. Die Verteidigung der Rechte des Amtes ohne ebenso entschiedenen Rechtsschutz für die theologisch unabgebbare eigene, vom Amt nicht ableitbare Verantwortung der Gemeinde(mitglieder) ist theologisch ebenso nachteilig wie auch in der gegenwärtigen kirchlichen Situation unproduktiv, ja kirchenschädlich.

Die bisher gefundene Formel für das Miteinander von Laien und Priestern (aber analog auch zwischen Priestern und Bischof oder einer Bischofssynode mit dem Papst) heißt „beratendes Stimmrecht" (so auch die neue PGR-Ordnung). Nun ist menschlich gesehen Rat etwas Wichtiges und auch Wirksames. Rat und Beratung sind lebenswichtig in großen Krisen eines einzelnen oder einer Gemeinschaft. In all diesen Bereichen ist es aber unumgängliches Prinzip, daß die Betroffenen freiwillig um Rat bitten und dafür auch bezahlen. Es bleibt im freien Ermessen des Beratenen, was er, sie oder die Organisation mit dem Rat tun. Kein Berater kann einfordern oder gar einklagen, daß Ratsuchende sich an den Ratschlag halten.

Die Beratung in einem Pfarrgemeinderat (und analog in einem Priester-, einem Pastoralrat) hat theologisch einen anderen Sinn. DerPfarrgemein-derat vertritt nicht primär die Interessen eines Pfarrers, der in seiner Amtsführung in Krise ist und der deshalb (freiwillig!) Beratung wünscht. Vielmehr gehört es zu den zentralen Aufgaben des Pfarrgemeinderates, die Anliegen der Gesamtgemeinde und ihrer Mitglieder zu repräsentieren und der nicht vom Amt abgeleiteten Verantwortung der Laien in der Pfarre eine rechtliche Form zu geben. Der Pfarrgemeinderat berät daher auch nicht in der Form jeneseinfühlenden Desinteresses, das die professionelle Lebens- oder Organisationsberatung auszeichnet. Vor allem ist der beratene Pfarrer auch nicht „frei", mit dem Rat nach Gutdünken zu verfahren. Die Frage ist, wie diese Art des Beratens und ihr entsprechend die Bindung des Pfarrers an den gegebenen Rat rechtlich gefaßt wird.

Eben diesbezüglich versagt die PGR-Ordnung. Sie betont zwar, daß der Amtsträger gehalten ist, den Rat des Gremiums zu hören. Aber ohne seine Einwilligung kann das Gremium schon gar nicht beraten. Sodann kann rechtlich besehen der Pfarrer mit dem gegebenen Rat tun, was er will. Er braucht sich selbst an einen einstimmig gegebenen Rat nicht zu halten. Natürlich ist es nicht die Absicht des Gesetzgebers, die Pfarrer zur Beliebigkeit oder zur Willkür aufzufordern. Doch wird bei den Amtsträgern, die - vielleicht aus einem Mangel an theologisch fundiertem Respekt vor den Laien - das erwartete Ethos nicht haben, der Mißbrauch nicht verhindert. Nicht einmal jene Schiedsstelle gibt es mehr, die in der alten PGR-Ordnung für den unerwünschten Fall vorgesehen war, wenn sich Laien und Priester in einem PGR nicht einigen konnten. Das Argument, es wurde dieses Schiedsgericht ohnehin nie angerufen, weshalb man auf dieses verzichten könne, genügt nicht. Denn allein die Berufungsmöglichkeit war eine sinnvolle Art, den Laien das Gefühl zu geben, in der Kirche emstgenommen zu werden.

Gnade statt Recht All diese Beobachtungen lassen das Kernproblem der katholischen Kirchenstruktur klar erkennen: Während die Rolle der Laien rechtlich genau begrenzt und eingegrenzt wird, wird jene des Pfarrers recht offengehalten. Unbeschadet der Bindung des Amtsträgers an das Evangelium (aber daran ist jedes getaufte Gemeindemitglied gebunden wie ja umgekehrt auch ein Pfarrer sich am Evangelium versündigen kann) ist es somit im unein-klagbaren Ermessen des Pfarrers, was er mit dem Rat des PGR anfängt. Es ist eine Frage seines Ethos, seiner „Gnade". Im Fall, daß das Amt nicht will, und - was von vornherein nicht auszuschließen ist - das Amt nicht Recht hat -, hindert kein Recht, daß sein Handeln gnadenlos wird. Es gibt kein Recht, das den Pfarrer an einen gegebenen Rat einklagbar bindet: Er muß (wie ja auch leider ein Bischof in Fragen der Verleihung oder des Entzugs einer missio) nicht argumentieren. Er braucht nur zu entscheiden.

Diese Tatsache wird im friedvollen Pfarr-Alltag nicht stören. Aber im Konfliktfall können die Laien nichts machen, sie sind machtlos. Die formelle Macht ist allem beim Amt.

Wie richtig diese Analyse ist, zeigen die der PGR-Ordnung beigefügten Ausführungsbestimmungen sowie die einschlägigen „Beschlüsse" des Wiener Diözesanforums. So appelliert das Diözesanforum an die Pfarrer, in der Anwendung der neuen PGR-Ordnung nach Einmütigkeit z trachten. Das Prinzip wird formuliert, daß es ohne die wirksame Beteiligung der Betroffenen keine Entscheidung geben solle. Das nicht zuletzt deshalb, weil einsam gefaßte Beschlüsse heute nur mehr schwer durchführbar sind Eben solche in unserer Kultur selbstverständlich gewordenen Prinzipien für eine Gestaltung der Zusammenarbeit werden in der neuen PGR-Ordnung tendenziell ignoriert.

Der Preis dafür ist vorhersehbar: Einsam entscheidende Pfarrer werden auch in der Arbeit allein bleiben. Jene, die Teilhabe an der Arbeit der Pfarre auch mit gemeinsamer Gestaltung der erforderlichen Entscheidung verbinden, Werden im Rahmen der neuen Ordnung vorhersehbar kaum mitarbeiten. So wird die neue PGR-Ordnung zwar einen rechtlich gut abgesicherten Klerus, aber einen Klerus ohne Laien bewirken. Ob das wirklich die Absicht der Rechtshüter war?

Es ist zu wünschen, daß der „Beschluß" des Diözesanforums auf Novellierung der soeben in Kraft gesetzten PGR-Ordnung (FURCHE 47/1991) nicht ein negativer Präzedenzfall für die neue PGR-Ordnung sein wird, indem ein einmütig gegebener Rat eben folgenlos bleibt. Es wäre sehr wünschenswert, könnte der Erzbischof gerade den ängstlichen Pfarrern ein Beispiel geben und ihnen zeigen, daß ein nach ernsthafter Beratung formulierter Ratschlag es verdient, nicht nur angehört und erwogen, sondern auch berücksichtigt zu werden. Ein solches Signal allein könnte den Verdacht aus der Welt schaffen, daß die neue PGR-Ordnung im Grunde doch die neoklerikale Rücknahme der in der Ekklesiologie des Konzils wiederentdeckten, in Bibel und Tradition verbürgten Verantwortung jedes Kirchenmitglieds für Leben und Wirken der Kirche ist.

Der Autor ist Ordinarius für Pastoraltheologie, an der Universität Wien und Vizepräsident de Wiener Diözesanforums.

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