7068958-1992_15_16.jpg
Digital In Arbeit

Wenn der Staat zum Terroristen wird

19451960198020002020

Die Archive des Innenministeriums in den ehemaligen Volksdemokratien öffnen jetzt (und noch immer langsam) ihre Pforten. Sie geben ihre Geheimnisse preis. Es sind aufwühlende Dokumente, die ans Tageslicht kommen. Zeugnisse einer Inquisition, die zusammengereimt nicht einmal einen politischen Sinn ergeben und sich rational kaum erklären lassen.

19451960198020002020

Die Archive des Innenministeriums in den ehemaligen Volksdemokratien öffnen jetzt (und noch immer langsam) ihre Pforten. Sie geben ihre Geheimnisse preis. Es sind aufwühlende Dokumente, die ans Tageslicht kommen. Zeugnisse einer Inquisition, die zusammengereimt nicht einmal einen politischen Sinn ergeben und sich rational kaum erklären lassen.

Werbung
Werbung
Werbung

Neuerdings wurde zu diesem Thema ein schmaler Band publiziert: „Verschwörer, Spione. Staatsfeinde... Politische Prozesse in der Tschechoslowakei 1948-1954". Verfasser ist der Prager Historiker Miroslav Siska, der bereits 1990 im Auftrag einer Tageszeitung die Möglichkeit erhielt. Nachforschungen über die dunklen politischen Prozesse in seiner Heimat zwischen 1948 und 1954 durchzuführen. Aus einer die Leserschaft aufrüttelnden Artikelserie entstand nun 1991 - mit einer neuen Dokumentation ergänzt-dieses Buch.

In den einführenden Kapiteln wird ausführlich über die Entstehung des sowjetischen Staatsterrors geschrieben und über die Situation in der Tschechoslowakei nach Kriegsende. Bereits in den Jahren des Übergangs von der Demokratie zur Volksdemokratie wurden von den Kommunisten die ersten politischen Prozesse vorbereitet. Dazu bediente sich die KP des Staatssicherheitsdienstes, der, aus überzeugten Kommunisten bestehend, sich im Lande bereits 1945 etabliert hatte. Nach dem Februar-Putsch der Kommunisten in Prag (1948) konnte KP-Chef Gottwald die Macht im ganzen Land rasch ausbreiten. Die ersten zwei großen Prozesse wurden 1949 und 1950 gegen die Bürgerlichen geführt. Sie wurden angeklagt, eine Verschwörung gegen die Republik zu organisieren, in der Absicht, den Kapitalismus im Lande wieder herzustellen. Die rot geschaltete Justizeine „Tochtergesellschaft" des Staatssicherheitsdienstes - hatte überdie Angeklagten schwere Zuchthausstrafen und neun Todesurteile ausgesprochen. Unter den Hingerichteten war auch eine 48jährige Frau, Milada Ho-rükovä. eine seit 1923 aktiv arbeitende Vorkämpferin der Frauenbewegung, nach Parteibuch Vorstandsangehörige der Sozialistischen Volkspartei. Die Proteste der westlichen Intellektuellen gegen dieses, Schandurteil zeitigten keinen Erfolg. Frau Horükovä wurde am 2. Jänner 1950 geheim gehängt.

Dann folgten weitere Prozesse -jetzt gegen die Kommunisten. Gottwald verlangte und erhielt - wie dies damals in allen „Volksdemokratien" üblich war - sowjetische Berater: hochkarätige NKWD-Spezialisten. Mit deren tatkräftiger Hilfe wurden nun neue Prozesse veranstaltet. Die unsinnige stalinistische Staatstheorie von der ständigen Verschärfung des Klassenkampfes beim Aufbau des Sozialismus trübte den Blick der Leitungsorgane der KPTSch und gab dem Staatssicherheitsdienst freie Hand.

Siska nennt in seinem Buch genaue Zahlen. Diese stammen aus den Archiven des Prager Innenministeriums. Von Oktober 1948 bis Ende 1952 standen etwa, 45.000 Personen als „Staatsfeinde" („Verschwörer". „Spione", „Saboteure") vor Gericht. In diesem Zeitraum wurden 233 Todesurteile gefällt und 178 vollstreckt. In Europa herrschte Frieden. Hinter dem Eisernen Vorhang wurde aber Staatsterror praktiziert.

Den Höhepunkt der politischen Prozesse in der Tschechoslowakei bildete zweifelsohne der sogenannte „Prozeß gegen die Führung des staatsfeindlichen Verschwörungszentrums unter Leitung von Rudolf Slansky" Ende 1952. Rudolf Slansky warGrün-dungsmitglied der KPTSch, zwischen 1945 und 1951 Generalsekretär der KPTSch und gleichzeitig bis zu seiner Verhaftung stellvertretender Ministerpräsident. Er verkörperte somit die KP-Macht im Lande: ein überzeugter Stalinist. Und gerade er-dies ist das Absurde in diesem blutigen, niederträchtigen Spiel - sollte Anführer einer antikommunistischen Verschwörer-Gruppe sein?! Aber Gottwald, der Rivale, wollte sich Slanskys entledigen und der „Hausherr", der Oberste Chef, Josef Stalin, gab dazu seinen Segen. Im Zuge einer erniedrigenden Prozedur, bei der sich Slansky und die anderen - alles verdiente Kommunisten, Spanien-Kämpfer, antifaschistische Partisanen - im Sinne der Anklage für schuldig erklärten und ihre „gerechte Strafe" verlangten, wurden schreckliche Urteile gefällt. Slansky und neun seiner Genossen wurden gehängt, Dutzende Mitangeklagte für lange Jahre ins Zuchthaus gesteckt.

Mit Stalins Tod (1953) änderte sich vorerst wenig. Es kam zu einer ganzen Reihe von sogenannten Nachfol geprozessen des „Falles Slansky". Dann gegen Wirtschaftsfunktionäre und hohe Militärs. Gleichzeitig er mittelte man gegen die „bürgerlichen Nationalisten", deren prominentestes Opfer der slowakische Kommunist (nach 1969 Präsident der CSSR) Gustav Husak wurde. Ihn verurteilte man im April 1954 (!) zu lebenslänglicher Haft: davon verbüßte er neun Jahre.

Mit Chruschtschows „Tauwetter Politik" ab 1957 mußten sich wohl oder übel die Prager Machthaber abfinden. Auf Moskaus Druck kam es zur Einstellung der politischen Prozesse und zur Überprüfung der bereits gefällten Urteile. Siska nennt dieses Vorgehen mit Recht ein „Rehabilitationsspiel", denn Antonin Novotny. der in den fünfziger und sechziger Jahren die Geschicke der CSSR bestimmte, wollte keine echte Rehabilitation. Er wußte wohl, daß ein solcher Schritt die Glaubwürdigkeit des Regimes gefährden würde. Es ist absurd aber wahr: bis 1963 führten faktisch jene die Revision der politischen Pr* zesse durch, die sie inszeniert hatten! Und später, in den siebziger Jahren, wurden die Rehabilitierungen nach Möglichkeiten - und mit Wissen von Husak! - bewußt verschleppt.

Ende 1989 ging die KP-Herrschaft in der Tschechoslowakei unrühmlich zu Ende. Eine sachgemäße Aufarbeitung des Staatsterrors in den Jahren 1945 bis 1989 ist die Aufgabe der zukünftigen Historiker. Dieses Buch ist eine nützliche Einführung.

VERSCHWÖRER, SPIONE. STAATSFEINDE... Politische Prozesse in der Tschechoslo wakei 1948-1954. Von Miroslav Siska. Diet/ Verlag, Berlin 1991. 167 Seiten. öS 140.40.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung