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Wenn der Zorn des Volkes groß ist...

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Es vergeht kaum eine Woche ohne eine neuerliche Verdammung des Sowjetimperialismus und seiner Unterdrückungsmethoden durch die Volksrepublik China. Mag man auch im Westen eine gewisse Erleichterung über den Streit der beiden großen roten Brüder empfinden, so sollte dies aber doch nicht den Blick dafür verstellen, wie es um die Achtung der Menschenrechte in China selbst bestellt ist. Der jüngste Bericht von „Amnesty International“ über „Politische Gefangene in der Volksrepublik China“ weiß dazu nur wenig Erfreuliches zu berichten.

Die neue chinesische Verfassung von März 1978 sichert grundsätzlich eine Reihe menschlicher Freiheitsrechte, wie das Briefgeheimnis, Presse- und Versammlungsfreiheit, auch das Demonstrations- und Streikrecht. Alle Rechte sind aber illusorisch, wenn es um „Konterrevolutionäre“ geht, und zu ihnen kann man auch schon gehören, wenn man anderer Meinung als die Parteiführung ist. Propaganda dieser Art und die Verbreitung von Gerüchten wird mit Gefängnis von drei Jahren aufwärts bestraft, in schweren Fällen auch mit dem Tod.

Durch eine amtliche Kundmachung des Volksgerichtshofes von Kanton wurde bekannt, daß im Februar 1978 He Chunsu zum Tod verurteilt wurde, weil er ein konterrevolutionäres Flugblatt gedruckt und verteilt hatte. Da er sich „hartnäckig weigerte, sein Verbrechen zuzugeben“, das in dem Bericht nicht näher genannt ist, und „der Zorn des Volkes groß war“, wurde die Hinrichtung sofort vollzogen.

Wäre He Chunsu weniger hartnäk-kig gewesen, hätte das Gericht die Vollstreckung des Todesurteils nach geltendem Recht zwei Jahre aussetzen und bei festgestelltem Gesinnungswandel eine Haftstrafe ver-

hängen können. Bei politischen Anschuldigungen arbeiten Polizei, Gericht und Partei eng zusammen, und das Gericht ändert selten Art und Umfang der Strafe, wie sie von der Partei im Einzelfall „empfohlen“ wird.

Auch die Verfassung 1978 kennt die richterliche Unabhängigkeit nicht. Zwar gibt es für den Angeklagten wieder das 1975 abgeschaffte Recht auf Verteidigung, aber es gibt keine Verteidiger. Es empfiehlt- sich auch nicht, vom Verteidigungsrecht Gebrauch zu machen: Der Angeklagte weiß, daß das Fehlen eines Schuldbekenntnisses straferschwerend wirkt und er weiß ferner, daß seine Strafe im voraus ziemlich feststeht.

Politische Straftäter können zu körperlicher Arbeit „unter Aufsicht“ verurteilt werden, wobei sie aber das Leben im bisherigen Rahmen weiterführen dürfen. Erfolgt eine Verurteilung zur „Rehabilitation durch Arbeit“, so hat dies die Einlieferung in eigens dafür geschaffene Einrichtungen zur Folge. Diese Strafen können auch ohne Gerichtsurteil von der Polizei oder von Parteistellen verhängt werden. Natürlich gibt es auch die Strafverbüßung in Gefangnissen, die für „Lebenslängliche“ die Regel ist.

Für Gefangene jeder Art gelten einschneidende Maßnahmen der Disziplinierung. Neben harter Arbeit müssen sie sich an einem individuellen Erziehungsprogramm beteiligen. Ihm dienen allabendliche Sitzungen in kleinen Gruppen, die zu Kritik-und Kampfsitzungen werden können, wenn die Besserung zu wünschen übrig läßt.

„Der Gefangene“, so heißt es in einem Erlebnisbericht, „ist von höhnischen, haßerfüllten Gesichtern umringt, man schreit ihm ins Ohr, spuckt ihm ins Gesicht, droht mit

Fäusten und brandmarkt alles, was er sagt, als Lüge.“ Am Abend wird er isoliert und mit der Versicherung eingesperrt, daß es am nächsten Tag noch schlimmer kommen werde. Spätestens nach einer Woche bewirkt der fortgesetzte psycho-physische Spießrutenlauf, daß der Beschuldigte alle Geständnisforderungen erfüllt, ja selbst Anschuldigungen erfindet, nur um dem unerträglichen Streß zu entkommen.

Obwohl das chinesische Recht Folter jeder Art verbietet, kennt die Praxis laut Amnesty International die Isolationshaft bis zu sechs Monaten auf engstem Raum, bei kärgster Ernährung, manchmal auch noch in Fesseln, wobei der Gefangene Tag und Nacht von „Aktivisten“, besonders bewährten Gefangenen, bewacht wird und niemand nur ein Wort mit ihm sprechen darf.

Ist die Strafe verbüßt, folgt nicht zwangsläufig die Freilassung. Nach chinesischem Gesetz können Gefangene in Arbeitserziehungsbrigaden zurückbehalten werden, wenn der Betreffende z. B. für die Produktion gebraucht wird oder er keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz zu Hause hat. Zur „Rehabilitation durch Arbeit“ Verurteilte werden häufig als „arbeitende Freigänger“ zurückbehalten und ihr Leben ist nur wenig besser als das der eigentlichen Gefangenen.

Viele Umstände, nicht zuletzt die georgraphischen Gegebenheiten, bewirken, daß der chinesische Bambusvorhang dichter hält als der Eiserne Vorhang der Sowjets. Nachrichten über Menschenrechtsverletzungen gelangen daher in geringerer Zahl und mit zeitlicher Verspätung in die freie Welt. Daß solche Verstoße aber eine erschütternde Wirklichkeit sind, hat der jüngste „Amnesty“-Be-richt wieder einmal klargemacht.

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