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Wenn die Armut wandert

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Zwölf Tage lang wird ab 14. Juni Wien im Zeichen einer Weltkonferenz stehen, wie es eine solche seit dem Wiener Kongreß vor bald 180 Jahren nicht mehr gab. Über 6.000 Regierungsrepräsentanten, Vertreter nichtstaatlicher Organisationen und Journalisten werden sich dem Thema Menschenrechte widmen.

Im Vorfeld der Konferenz ist weltweit viel gestritten worden. Im Westen denkt man bei diesem Thema vor allem an die Rechte jedes einzelnen, in der Dritten Welt vor allem an soziale, kollektive Rechte von Bevölkerungsgruppen und Nationen. Beide Seiten haben recht, müssen daher ihre Vorstellungen durch die der jeweils anderen Seite ergänzen. Abstriche auf beiden Seiten wären Verrat an der Idee und nicht Kompromiß. Wie aber sieht die Bilanz aus?

Rund 120 Millionen Menschen wurden im 20. Jahrhundert in Kriegen gemordet. 200 Millionen müssen noch heute Sklavenarbeit verrichten, die Hälfte davon Kinder. In über 100 der 181 UN-Mitgliedsländer werden Häftlinge mißhandelt, gefoltert. 300.000 Menschen sitzen aus politischen Gründen hinter Gittern. Mindestens 14 Millionen sind aus politischen Gründen auf der Flucht, mehr noch innerhalb von Ländern der Dritten Welt unfreiwillig verpflanzt. Über ein Viertel der Weltbewohner sind unterernährt, 1,3 Milliarden haben keinen Zugang zu gesundem Wasser, 1,5 Milliarden keinen zu Gesundheitsdiensten, 130 Millionen Kinder keine Grundschulausbildung. Eine Milliarde Erdbewohner sind Analphabeten. „Wieviel Armut können die Schwingen der Freiheit tragen?" fragt der ehemalige UN-General Versammlungspräsident Dante Caputo.

Hilfe für Entwicklungsländer muß neu überdacht, neu organisiert werden. Verzichtbar ist sie nicht. Im Human Development Report der UNO für 1992 heißt es: „Die reale Bedrohung der kommenden Jahrzehnte besteht darin, daß die globale Armut zu wandern beginnen wird, ohne Paß und in vielen unangenehmen Formen - Drogen, Krankheiten, Terrorismus, Migration. Armut irgendwo wird eine Bedrohung für Reichtum überall sein."

Gibt es eine Chance für mehr und bessere Entwicklungspolitik? Eine Voraussetzung dafür wäre gegeben: Die weltweiten Rüstungsausgaben haben seit 1987 um rund 240 Milliarden Dollar abgenommen. Seit 1990 gibt es um zwei Millionen weniger Soldaten (aber viermal so viele UNO-„Blauhelme"). Der Personalstand der Rüstungsindustrie ist um ein Viertel gesunken. Aber mittun müßten vor allem die Entwicklungsländer selbst: Wenn sie ihre Rüstung auch nur auf dem Stand von 1990 einfrören, würden fast 100 Milliarden Dollar für bessere Zwecke frei!

Die UN-Menschenrechtskonferenz in Wien wird sich auch des grausamen europäischen Hintergrundes nicht entziehen können. Wieder einmal hat Österreichs Außenminister Alois Mock einen neuen Schritt zur Debatte gestellt: UN-Treuhandschaft für Bosnien. Wo bleibt das internationale Echo?

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