7223372-1993_37_06.jpg
Digital In Arbeit

Wenn die Bundesbank tagt, dann zittert Europa

19451960198020002020

Die Turbulenzen auf der europäischen Währungsszene lassen es fraglich erscheinen, ob die europäische Währungsunion wie geplant vor der Jahrtausendwende Wirklichkeit werden kann. In den nächsten Wochen wird die EG über die weitere währungspolitische Zusammenarbeit beraten.

19451960198020002020

Die Turbulenzen auf der europäischen Währungsszene lassen es fraglich erscheinen, ob die europäische Währungsunion wie geplant vor der Jahrtausendwende Wirklichkeit werden kann. In den nächsten Wochen wird die EG über die weitere währungspolitische Zusammenarbeit beraten.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Europäische Währungssystem (EWS), die Vorstufe zu der im Vertrag von Maastricht vorgesehenen Währungsunion, besteht derzeit nur noch auf dem Papier. Für die meisten EG-Länder wurde die Bandbreite, innerhalb derer sich die Mitgliedswährungen nach oben oder unten bewegen können, von bisher 2,25 auf volle 15 Prozent erweitert. Von stabilen Wechselkursen zwischen den im System verbliebenen EG-Währungen (Großbritannien und Italien sind ja seit fast einem Jahr nicht im EWS) kann somit derzeit nicht die Rede sein. Diese Notlösung ist der Versuch, in der Währungspolitik Zeit zu gewinnen. Viele glauben, daß im kommenden Herbst nicht nur über die Neugestaltung des EWS zu verhandeln sein wird, sondern vielleicht überhaupt über Abänderungen des Vertrages von Maastricht.

Immerhin scheinen die europäischen Notenbanken mit der Währungsspekulation dieses Sommers ganz gut fertiggeworden zu sein. Einen mustergültigen Beweis dafür lieferte die Oesterreichische Nationalbank: sie hat die absurde Spekulation gegen unsere Währung rasch und überzeugend abgewehrt. Der Schilling bleibt (wie der Holland-Gulden) auf die D-Mark ausgerichtet, die sich nach wie vor als europäische Ankerwährung erweist. Garant und Hort dieser Währungssicherheit ist die Deutsche Bundesbank in Frankfurt.

Das Ziel, die deutsche Währung zu sichern, ist im Bundesbank-Gesetz ausdrücklich festgelegt. Auch unsere Nationalbank hat laut Gesetz die Pflicht, „mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln dahin zu wirken, daß der Wert des österreichischen Geldes... erhalten bleibt." Doch die Deutsche Bundesbank war in ihrem Bemühen, dem Kampf gegen die Inflation Vorrang vor allen anderen wirtschaftspolitischen Zielen einzuräumen, in den letzten Monaten starkem politischem Druck, vor allem des Auslands, ausgesetzt; viele verlangten von ihr, durch Zinssenkungen mehr zur Ankurbelung des allgemeinen Wirtschaftswachstums und zur Senkung der Arbeitslosigkeit in Europa zu tun, was die Bundesbank auch vorige Woche machte. Sie senkte den Diskont- und den Lombardsatz um jeweils einen halben Prozentpunkt.

Der Unabhängigkeit einer Notenbank von politischer Einflußnahme sind offenkundig Grenzen gesetzt. Wenn auch der frühere Präsident Pohl einmal die Bundesbank „ein wirtschaftliches Gegenstück zur Regierung" nannte, so hatte doch sein Vorgänger Blessing eingeräumt, daß ein Notenbankpräsident, der den Draht zu seiner Regierung verliert, auf Ein-

fluß in der Währungspolitik verzichten müsse.

Österreich trägt dieser Problematik schon in der gesetzlichen Grundlage Rechnung, denn die Nationalbank hat volle Handlungsfreiheit bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen des Nationalbankgesetzes, doch hat sie auf die Wirtschaftspolitik der Regierung Bedacht zu nehmen.

Welche Bewährungsproben gerade in dieser Hinsicht die deutsche Notenbank immer wieder zu bestehen hatte, wie ihre Präsidenten seit der Gründung der Bundesbank im Jahre 1957 die ihnen gestellten Aufgaben bewältigten, hat der britische Wirtschaftspublizist David Marsh in einem überaus informativen, sachlich vorbildlich fundierten und flüssig lesbaren Buch dargestellt(siehe Kasten rechts). Mehr noch, auch die oft lehrreiche Währungspolitik der alten Deutschen Reichsbank und der nach dem Kriege gegründeten Bank deutscher Länder (der dann die Bundesbank folgte) wird interessant geschildert.

Es geht in dem Buch nicht um die technischen Instrumente der Geld- und Kreditpolitik oder die Taktik des Kampfes gegen die Währungsspekulation, sondern vielmehr um die deutsche Währungspolitik in rund sieben Jahrzehnten.

Im Sommer und Herbst 1923 hatte die galoppierende Inflation in Deutschland schwindelerregende Höhen erreicht. Als endlich eine Währungsreform die Stabilisierung einleitete - für eine Billion Mark erhielt man damals eine Rentenmark! - trat an die Spitze der Reichsbank Hjalmar Schacht, jener Mann, der, mit einer kurzen Unterbrechung, bis fast zum Beginn des Zweiten Weltkrieges auf diesem verantwortungsvollen Posten war. Er galt und gilt als einer der fähigsten Fachleute auf dem Gebiete des Währungs wesens, ist jedoch nicht unumstritten, weil er im Interesse seiner Devisenpolitik Hitler Zugeständnisse machte. Seine zunehmenden Zweifel an der Politik des Nazi-Regimes gipfelten in einem warnenden Memorandum von Anfang 1939 zur Budgetlage, zur Rüstungsfinanzierung und zur deutschen Zahlungsbilanz, was denn auch zu seiner Absetzung führte.

Unter den Nachfolgern Schachts in der Bundesrepublik ragten die Präsidenten Karl Blessing und Karl Otto Pohl, in dessen Amtszeit die deutsche Wiedervereinigung fiel, besonders hervor. Wie Schacht mußte auch Pohl die Grenzen erkennen, die der Unabhängigkeit der Notenbank gegenüber der Regierung gesetzt sind, wenn auch

unter ganz anderen Umständen. Seine Differenzen mit Bundeskanzler Kohl in der Frage des Umwechslungskur-ses der ostdeutschen Währung zur D-Mark traten deutlich zutage. Gegen einen wirtschaftlich tragbaren Kurs setzte sich Kohl aus politischen Überlegungen durch. Pohl, der daraufhin zurücktrat, hatte schon damals in der sehr raschen Angleichung der ostdeutschen Wirtschaft eine bedrohliche Last für die westdeutsche Währung gesehen.

Aus ähnlichen Überlegungen erklärt sich der unterschwellige Widerstand der Bundesbank gegen den im Vertrag von Maastricht vorgesehenen Zeitplan für die Europäische Währungsunion, denn auch die Termine für die baldige Heranführung der schwächeren EG-Länder an das höhere wirtschaftliche Niveau der stärkeren könnte für diese, und da in erster Linie für das durch die Wiedervereinigung ohnedies sehr strapazierte Deutschland, allzu arge finanzielle Belastungen bringen.

Zwar sieht Maastricht eine „Konvergenz" der wirtschaftlichen Leistungsdaten als Voraussetzung für die Währungseinheit vor; weil diese aber noch nicht annähernd erreicht ist, wurde der „Kohäsionsfonds" geschaffen, aus dem Finanzhilfe der reicheren an die ärmeren Mitgliedsländer fließen soll.

Die an der Währungsunion, und aus politischen Gründen damit an der Einbindung des währungsstarken deutschen Partners in den europäischen Verbund besonders interessierten Regierungen, vor allem Frankreichs und Italiens, sind den Deutschen in der Währungsfrage immerhin entgegengekommen: Laut Maastricht soll die Europäische Zentralbank nach dem Muster der Bundesbank konstruiert werden, vor allem was die Unabhängigkeit gegenüber den Regierungen betrifft, und sie soll ihren Sitz in Frankfurt haben. Ob beides aber dann tatsächlich so realisiert werden kann und ob das genügen wird, die Bedenken der Bundesbank und überhaupt der Deutschen gegen die befürchtete Aufweichung ihrer wirtschaftlichen Stärke zu zerstreuen, muß sich erst zeigen.

Angesichts der vor wenigen Wochen neu aufgeflammten Währungsunruhe sträubt sich auch die deutsche Öffentlichkeit immer mehr dagegen, die bewährte D-Mark zugunsten einer Europa-Währung aufzugeben, mag auch der Termin dafür noch in einiger Zukunft liegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung