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Wenn die Donau zum Rinnsal verkommt

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Zehn Jahre Bauzeit, acht Milliarden Schilling investiert, den Vertragspartner Ungarn verloren, Widerstand der Biologen, eine schier unbewältigbare Wirtschaftskrise im eigenen Land -das sind die Voraussetzungen, um über das Donaukraftwerksprojekt Gabcikovo in der Slowakei nachzudenken. Davon will die offizielle Slowakei nichts hören: Noch im Herbst dieses Jahres sollen die Turbinen in Betrieb gehen.

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Zehn Jahre Bauzeit, acht Milliarden Schilling investiert, den Vertragspartner Ungarn verloren, Widerstand der Biologen, eine schier unbewältigbare Wirtschaftskrise im eigenen Land -das sind die Voraussetzungen, um über das Donaukraftwerksprojekt Gabcikovo in der Slowakei nachzudenken. Davon will die offizielle Slowakei nichts hören: Noch im Herbst dieses Jahres sollen die Turbinen in Betrieb gehen.

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Ein Lokalaugenschein beim Kraftwerk und in den betroffenen Auen läßt von Anfang an keinen Zweifel an der prekären Lage aufkommen. Obwohl seit 1975 die katastrophalen Auswirkungen des Staus in einer Studie von Juraj Holcik und Mitarbeitern festgehalten worden sind, haben sich die politisch Verantwortlichen - damals noch die normalisierte kommunistische Regierung - zum Bau entschlossen. Die Biologen, die zu unerwünschten Ergebnissen kamen, waren Schwierigkeiten ausgesetzt. Die Publikation der Studie wurde jahrelang behindert. Erst als die Ergebnisse nicht mehr geheimzuhalten waren, wurden sie 1981 so veröffentlicht, daß ohnehin niemand die Publikation auffinden würde.

Geplant war ein mehrstufiges Kraftwerksprojekt: Auf ungarischem Gebiet wurde bei Dunakiliti ein Wehr errichtet, der Auwald geschlagen, die Altarme der Donau eingeebnet, um den gewaltigen Stauraum Hrusov zu ermöglichen. Alle Bauarbeiten sind abgeschlossen, bis auf einen Donaudurchstich, der die Verschwenkung der Donau aus ihrem alten Flußbett in ein neues, der Kanalanlage von Gab-öikovo, ermöglicht.

Der Kanal, das neue Flußbett ist fertig: Ein schnurgerader, siebzehn Kilometer langer Bau, der mit Plastik und Teerpappe ausgelegt ist. Dieser Kanal soll vom Stausee Hrusov regelmäßig geflutet werden. Nach dem Füllen des neuen Donaubetts wird das Wasser rasch abgearbeitet, um im ebenfalls zu errichtenden ungarischen Donaukraftwerk Nagymaros erneut aufgefangen zu werden. Da die Ungarn das Kraftwerk Nagymaros nicht mehr errichten wollen, verringert sich die Leistung des Kraftwerks Gab-öikovo ungefähr um ein Viertel.

Ausgetrocknete Augebiete

Durch die Weigerung der Ungarn, den Durchstich bei Dunakiliti durchzuführen wird die Inbetriebnahme von Gabcikovo überhaupt unmöglich. Also errichten die Slowaken ein eigenes Wehr bei Cunovo. Damit wird der Kanal, das neue Flußbett um rund zehn Kilometer länger. Geschätzte Baukosten rund vier Milliarden Schilling.

Völlig ungelöst bleiben die Ökologischen Fragen. Die Donau führt bei Regelmittelwasser 2.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde mit sich. Durch die geplante Ableitung in das neue Flußbett von Gabßikovo sollten ursprünglich nur fünfzig Kubikmeter pro Sekunde für das alte Strombett übrigbleiben. Das ist ein kleines Bächlein, das rinnsalartig durch das dreihundert Meter breite Schotterbett der ursprünglichen Donau samt den Auwäldern stottert. Neue Berechnungen sehen vor, die Dotation auf rund 350 Kubikmeter pro Sekunde zu erhöhen. Diese Wassermenge entspricht etwa der Ybbs. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was es bedeutet, wenn durch das Flußbett der Donau plötzlich nur ein Alpenvorlandfluß ranne: zwangsläufig müßten die Augebiete austrocknen. Bei 50 Sekundenkubikmeter ist der Tod rasch, bei 350 dauert der Sterbensprozeß vielleicht fünfzig Jahre.

In unmittelbarer Nachbarschaft der Au befindet sich die Hauptstadt der Slowakei Bratislava. Landschaftlich unattraktive Gebiete werden bei günstiger Verkehrslage umgehend wirtschaftlich genützt. Die Argumentation ist absehbar: Was spricht dagegen, in einer ausgetrockneten Au den Tank- oder Containerhafen einzurichten?

Für die Ökologen geht es also darum, ein Revier nicht denaturieren zu lassen, das bis jetzt alle Eingriffe verhältnismäßig unbeschadet überstanden hat: Die Donau hat sich seit der Jahrhundertwende um eineinhalb Meter eingetieft, rund sechzig Prozent dieses Vorgangs sind von den Baggerungen für die Schiffahrt verursacht. Das entnommene Material lagert zum geringen Teil zu gewaltigen Bergen aufgehäuft am Donauufer. Kritiker sprechen von der „sichtbaren Eintiefung". Der größere Teil des Schot-termaterials wurde zu Bauzwecken abtransportiert. Der zweite Eingriff in die bestehende Aulandschaft erfolgte durch die Auspflanzung von „Hybridpappeln". Also Bäumen, die durch menschliche Zucht entstanden sind, und die sich als Holzlieferanten besonders gut eignen.

Da aber das Grundwasserregime nicht gestört, der innige Kontakt zwischen Land und Wasser gegeben ist, hat sich die Artenvielfalt erhalten können, die für Aulandschaften charakteristisch ist. Der einzige versuchte Eingriff in die Lebensgemeinschaften der Au erwies sich als Katastrophe. In einem Altarm der Donau wurden Graskarpfen (Amurkarpfen) eingesetzt, um durch deren Emäh-rungsgewohnheiten den Verlandungs-prozeß zu verhindern. Die regionfremden Fische fraßen den Altarm kahl, doch den gewünschten Effekt konnten sie nicht erzielen. Im Gegenteil: Die Zerstörung der Lebensgemeinschaften ist derartig massiv, daß selbst nach acht Jahren das Gewässer nicht in den Ursprungszustand zurückkehren konnte.

Gefährdung des Trinkwassers

Solche Beispiele zeigen, wie sensibel ökologische Gegebenheiten zu beurteilen sind. Ein Eingriff in die Landschaft wie das Kraftwerk von Gabcikovo ruft jene auf den Plan, die von der grenzenlosen Machbarkeit der Verhältnisse nicht überzeugt sind. Nicht nur das Sterben einer Landschaft wird befürchtet, sondern auch die Gefährdung der Trinkwasservorkommen in Ungarn angenommen. Ungarn ist bekanntlich von der Donau abhängig. Die Ängste haben reale Wurzeln.

Europa wird zahlen müssen

Die Forderung der Ökologen, die Slowakei solle aus dem Projekt Gab-öikovo aussteigen und den Giganten stalinistischer Prägung als Museum im Maßstab eins zu eins einmotten, übersieht die dramatische Wirklichkeit. Nicht nur der Streit zwischen Slowaken und Tschechen, sondern auch zwischen der CSFR und Ungarn überschatten die Möglichkeiten, die Vernunft zu gebrauchen. Gleichzeitig erwartet man von der CSFR den raschen Ausstieg aus der Kemkraft und die Einmottung oder Nachrüstung aller kalorischen Kraftwerke sowie die Anpassung der Industrie an bessere Umweltsverträglichkeit. Noch 1989 hatte die CSFR den höchsten Staatsanteil an der Wirtschaft. Im nichtlandwirtschaftlichen Bereich betrug dieser über 99 Prozent.

Die Wirtschaft in der Slowakei war besonders intensiv auf die Sowjetunion ausgerichtet. Die Schwer- und die Rüstungsindustrie, maßgeblich für den Aufholprozeß des Prokopfeinkommens (1948: 60 Prozent in Relation zur Tschechei, 1988 87 Prozent), hat ihren Markt verloren.

Die Arbeitslosenrate in der Slowakei beträgt zwölf Prozent (Tschechei vier Prozent), der Konsum fiel 1991 um etwa ein Drittel, das Bruttoinlandsprodukt um 16 Prozent, die Reallöhne im ersten Halbjahr 1991 um 27 Prozent.

Wer ernstlich den Wunsch nach Erhaltung der Donauaulandschaften hat, wird einsehen, daß ohne massive finanzielle Hilfe kein Verzicht der Slowakei auf „ihr" Kraftwerk möglich sein wird. Westeuropa, das sich gerne den Deckmantel des Umweltschutzes umhängt, muß tief in den eigenen Säckel greifen, um zu retten, was vor der eigenen Haustür durch eine antiquierte Planung vernichtet zu werden droht.

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