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Wenn die Katee ein Pferd wäre ...

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Es brennt in der bundesdeutschen CDU. Wo steht die Partei? Brandbekämpfung ist angesagt. Am Wiesbadener Parteitag im Juni soll der Richtungsstreit gelöst werden.

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Es brennt in der bundesdeutschen CDU. Wo steht die Partei? Brandbekämpfung ist angesagt. Am Wiesbadener Parteitag im Juni soll der Richtungsstreit gelöst werden.

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Heiner Geißler, der Generalsekretär der CDU, ist ein humorvoller Mann. „Die größte Berühmtheit“, so zitierte er jüngst im vertraulichen Plausch mit Journalisten Albert Camus, „besteht heute darin, Bewunderung oder Abscheu zu erregen, ohne gelesen zu werden.“ Folglich ist Geißler ein außerordentlich berühmter Mann. Denn für die unter seiner Verantwortung von zwei Kommissionen erarbeiteten Diskussionspapiere über zentrale Fragen christdemokratischer Regie-

rungspolitik bezog er gleichermaßen Lob und Prügel, wobei vor allem die Kritiker dadurch auffielen, daß sie die Papiere offenbar nicht gelesen hatten.

Was sich in den vergangenen Monaten in der CDU tat, war gleichwohl kein Sturm im Wasserglas. Die Partei wurde von ihrem Generalsekretär jäh aus einem Zustand der Erstarrung gerissen, den Geißler für den Anfang vom Ende politischer Gestaltung durch die CDU hält.

Seit der Bundestagswahl 1987 haben die Parteistrategen gemerkt, daß der Zuspruch zur CDU geringer wird. Die Wahlforscher diagnostizieren auf breiter Front ein Abbröckeln der Stammwählerschaft bei den großen Volksparteien. Gleichzeitig nimmt das Potential der Wähler zu, die bei latenter Sympathie für die eine oder andere politische Richtung ihre konkrete Wahlentscheidung jeweils von Fall zu Fall treffen. „Die wollen stets von neuem überzeugt werden, daß es sich lohnt, CDU zu wählen“, sagt Peter Radunski, Bundesgeschäftsführer der CDU und Chef Stratege der Partei.

Die Sozialwissenschaftler haben analysiert, was das für Leute sind und wonach sie ihre Entscheidung richten: Es handelt sich vorwiegend um jüngere, auf-stiegs- und leistungsorientierte Wähler der politischen Mitte, meist Angehörige von Dienstleistungsberufen. Ihre konfessionellen Bindungen, soweit vorhanden, wirken sich auf das politische Urteil so gut wie überhaupt nicht aus. Sie sind sensibel für Stilfragen, also wie man in der Politik miteinander umgeht. Und sie verteilen ihre Sympathien an die Parteien danach, wer mit anstehenden Problemen am besten fer-tigzuwerden verspricht (Kompetenz), aber auch danach, welche Partei dabei sensibel genug bleibt für soziale Fragen.

Geißler hat seiner CDU klarzumachen versucht, daß man sich vermehrt um diese Klientel kümmern müsse, nicht im Sinne von Anbiedern, sondern durch eine Umgewichtung der Themenschwerpunkte. Das hat ihm aus den eigenen Reihen den harschen Vorwurf eingetragen, er wolle die CDU nach links führen und verprelle damit die Stammwählerschaft. Geißler definiert seine Strategie anders: „Es ist falsch, wenn man Themen so artikuliert, daß zwar die gefährdeten 0,3 Prozent am rechten Rand gehalten werden können, wir aber dafür in der Mitte drei Prozent verlieren.“

Die Gefahr erschien dem Generalsekretär umso größer, als sich seit einiger Zeit eine Kluft aufzutun drohte zwischen praktizierter Regierungspolitik und dem, was die Partei programmatisch bisher festgeschrieben hat. Die Außen-

Politik zum Beispiel ist seit nahezu zwanzig Jahren nicht mehr substantiell in der CDU diskutiert worden. Die Deutschlandpolitik wurde zuletzt Anfang der siebziger Jahre, als die CDU in der Opposition saß, debattiert. Uber die Fragen des Schutzes menschlichen Lebens, des ungeborenen ebenso wie des alten, kranken, gibt es zwar Grundsatzbeschlüsse. Doch die stammen allesamt aus einer Zeit, als sich die CDU noch nicht in einer Koalitionsregierung auf Kompromißlinien begeben mußte.

Da viele Parteimitglieder das Handeln der Regierung Kohl immer noch daran messen, was in den Programmen steht, war der verbreitete Vorwurf, die versprochene „Wende“ habe gar nicht stattgefunden, die logische Folge. Die Phalanx derer, die das „C“ im Parteinamen aus seinem vermeintlichen Kümmerdasein herausholen wollen, stellt zwar nur eine Minderheit in der CDU, die aber ist artikulationsstark und zündet viele kleine Feuerchen im publizistischen Umfeld an.

Zusammen mit dem Parteivor-

sitzenden Helmut Kohl hat Geißler deshalb den bevorstehenden Parteitag im Juni in Wiesbaden zur Brandbekämpfung auserkoren. In zwei Leitanträgen, die nach ein paar kosmetischen, nicht substantiellen Operationen vom CDU-Bundesvorstand aus den Geißlerschen Diskussionspapieren gefertigt worden sind, wird die Regierungslinie programmatisch untermauert.

Daß sie eine breite Mehrheit finden werden, ist so gut wie sicher. Damit wird die CDU zwar nicht die diversen Unzufriedenheiten in ihren Reihen ausmerzen können. Aber hinfort weiß jeder Christdemokrat, woran er inhaltlich mit seiner Partei und der von ihr getragenen Regierung ist.

Geißler hält diese Operation für umso dringlicher, als auch die SPD nach ihrem Ausflug in grüne Politikfelder wieder den Anschluß an die politische Mitte sucht und dabei auch vor heiligen Kühen nicht mehr zurückschreckt. Zwar hat Oskar Lafontaine, der sozialdemokratische Star aus Saarbrücken, mit seinen unkonventionellen Gedanken

über Arbeitszeitverkürzungen und die Zukunft der Arbeit im allgemeinen die SPD an den Rand des Bruchs mit den Gewerkschaften geführt. Aber der Konflikt ist lediglich unter den Teppich gekehrt worden, er wird wieder aufbrechen.

Denn die jüngeren Parteimanager der SPD haben wie Geißler erkannt, daß die Klientel in der politischen Mitte für solche Gedanken empfänglich ist.

Das Unbehagen am .rechten Rand der CDU und unter den christlichen Fundamentalisten der Partei begegnet diesen Strategieüberlegungen mit Unverständnis. Auch Geißler kann nicht leugnen, daß die steigende Zahl von Wahltenthaltungen auf Kosten der CDU aus dem Stammwählerbereich stammen. Den Spagat zwischen diesen und denen, die neu hinzugewonnen werden sollen, glaubt er dennoch durchhalten zu können. Und wenn nicht? Geißlers Antwort auf solche Spekulationen: „Wenn die Katze ein Pferd wäre, könnte man die Bäume hinaufreiten...“

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