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Digital In Arbeit

Wenn die Welt ins Wohnzimmer kommt

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„Kunst und Kirch?', die vom Arbeitsausschuß des Evangelischen Kirchbautages und vom Diözesan-Kunstverein Linz herausgegebene ökumenische Zeitschrift für Architektur und Kunst, eine Publikation hohen Ranges, hatte Heft 2/1979 dem Thema „Wie wirken Medien" gewidmet. Im folgenden veröffentlichen wir im Auszug das Einleitungsreferat von Hans Blankesteijn, Doktor der reformierten Theologie, Rundfunkjournalist und Pfarrer im Team der Experimentiergemeinde „Matinen" in Amsterdam, das auch vermeintliche und wirkliche Medienexperten noch zum Denken anregen kann.

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„Kunst und Kirch?', die vom Arbeitsausschuß des Evangelischen Kirchbautages und vom Diözesan-Kunstverein Linz herausgegebene ökumenische Zeitschrift für Architektur und Kunst, eine Publikation hohen Ranges, hatte Heft 2/1979 dem Thema „Wie wirken Medien" gewidmet. Im folgenden veröffentlichen wir im Auszug das Einleitungsreferat von Hans Blankesteijn, Doktor der reformierten Theologie, Rundfunkjournalist und Pfarrer im Team der Experimentiergemeinde „Matinen" in Amsterdam, das auch vermeintliche und wirkliche Medienexperten noch zum Denken anregen kann.

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In den Diskussionen über die Medien wird vorwiegend ihr Massencharakter betont. Und nicht zu Unrecht. Daß Millionen dieselbe Information, dieselbe Unterhaltung zugeteilt bekommen - und daß dann diesen Millionen aufs Maul geschaut wird, was sie gerne sehen, hören, lesen möchten -, hat riesenhafte Konsequenzen. Die Medien bewirken so eine Integration in einer Gesellschaft, die im übrigen immer weiter zerstük-kelt wird.

Ich will den Massencharakter der Medien gar nicht herunterspielen. Dennoch meine ich, daß sie ein gemeinsames Merkmal haben, das noch wesentlicher ist, in der Mediendiskussion aber viel weniger Aufmerksamkeit findet: alle Medien überbrücken Abstand. In den Niederlanden hat es vor vielen Jahren eine Werbung für Rundfunkgeräte gegeben mit dem Schlagwort: „Die Welt in deinem Wohnzimmer." Und damit könnte sehr wohl das Grundproblem der Medien angedeutet sein.

Rein historisch betrachtet, stimmt das jedenfalls.; So geht die Zeitung nicht 'zurück auf die Absicht, ein Massenpublikum zu erreichen. Sie hat ihren Anfang in Kaufmannsbrie-' fen; so wurden die Kaufleute von ihren Vertretern über Ereignisse unterrichtet, die für sie wichtig waren. Solche Briefe gingen von Hand zu Hand. Später verselbständigten sie sich zu Korrespondenzen, worauf man sich abonnieren konnte. Die Zeitung war geboren.

Auch die Anfänge des Rundfunks ließen gar nichts Massenhaftes vermuten. Die Faszination für die wenigen, die sich ein Empfangsgerät zusammengebastelt hatten, war vielmehr, daß Abstand überbrückt wurde, daß man auf dem Kontinent ein Konzert aus London und in Australien den Big Ben hören konnte.

Vorlesungen wurden übertragen, und der einzige Unterschied mit dem Saal, wo man sie auch hätte hören können, war, daß der Abstand zwischen Referent und Hörer auf Null reduziert wurde. Die Vorlesung dauerte auch genauso lange, wie sie in einem Saal gedauert hätte, eine Stunde oder so.

Erst allmählich verbreitete das neue Medium sich und erreichte nun

Leute, die Referate gar nicht gewöhnt waren, denen dieser Referenzrahmen fehlte. Und so entwickelte sich die Rundfunk-Kauserie als eine eigene Gattung, kürzer, und überhaupt anders als ein Referat.

Der Massencharakter überschichtete das bloße Uberbrücken des Ab-standes. Dennoch bleibt letzteres wesentlich, wenn wir überhaupt verstehen wollen, was vor sich geht, wenn wir das Radio oder das Fernsehgerät einschalten oder die Zeitung lesen*

Wer reist, überbrückt Abstand. Tut er es zu Fuß, dann tut er es in einem seinem Körper angemessenen Tempo. Allmählich ändert sich die Landschaft; die Städte, die Menschen werden anders. Der Reisende hat die Zeit, neue Erfahrungen einzuordnen, sie mit schon Bekanntem zu vergleichen. Fast unmerklich erweitert sich so der Referenzrahmen des Reisenden.

Wer mit Auto, Zug, Flugzeug reist, dem fehlt diese Möglichkeit, über Nacht wird er in eine völlig fremde Umgebung versetzt. Sein' Informa-, tiqqssysteni -tut, was alle Informationssysteme in der Natur tun: es lehnt das Unbekannte ab.

Man hat einen Bauern aus Indien, der noch nie in einer Großstadt war, einen Tag lang durch Kalkutta geführt. Er „sah" so viel Unbekanntes, daß er es gar nicht sah, am Abend zeigte sich, daß er nur eine schlecht gefütterte Kuh auf irgendeinem Innenhof „gesehen" hatte.

Wer sehr junge Kinder, zum Beispiel auf Urlaubsfahrten, plötzlich mit einer total anderen Umgebung konfrontiert, nimmt ihnen wahrscheinlich endgültig, die Freude am Reisen. Ihr Informationssystem geht in die Defensive: sie akzeptieren in der neuen Umgebung nur das, was bekannt ist.

Eine wirkliche Emanzipation der kleinen Leute setzt eine Umverteilung von Besitz, Macht und Information voraus. Für letzteres hat man sich von den Medien viel versprochen. Aber es hat sich gezeigt, daß die Medien die Informationskluft erweitert statt verringert haben. Man hat sich darüber gewundert, aber man hätte das durchaus erwarten können.

Nur wer in einem sorgfältigen Er-

ziehungsprozeß „Reisen" gelernt hat, wer sein Informationssystem hat entwickeln können, entnimmt dem Umstand, daß einem die Welt ins Wohnzimmer geliefert wird, etwas Positives: mehr Information und eine immer weitere Entwicklung seines Informationssystems. Im Grunde sind die Massenmedien etwas Hochelitäres.

Augenzeuge eines schweren Unfalles zu sein, passiert einem normalerweise nur einige Male in seinem Leben. Zum Glück. Denn so etwas zu verarbeiten, erfordert eine ziemliche Zeit. Erhöht sich, zum Beispiel im Krieg, diese Frequenz, dann werden

die Erfahrungen nicht mehr verarbeitet, man kapselt sich ab.

Wenn nun die Medien den Abstand auch in diesem Sinne aufheben, daß wir Augenzeugen von praktisch allen Katastrophen werden, die sich irgendwo abspielen, geschieht dasselbe: man kapselt sich ab, wird nicht Augenzeuge, sondern Zuschauer.

Und hier haben diejenigen, die über ein reicher entwickeltes Informationssystem verfügen, die besten Chancen, keinen Schaden an ihrer Seele zu erleiden, obschon es auch ihnen schließlich zuviel werden kann, was sich dann meistens nicht in unbewußter Abkapselung, sondern in bewußter Resignation äußert.

Die anderen können zweierlei tun: entweder sie schalten ab - die Einschaltequoten der Nachrichtensendungen werden geringer, wenn Qualität und Quantität der Information steigen. Oder sie „schauen sich die Sache an". Was dann wieder zu einer zweiten Natur werden kann: in Amsterdam ist es schon einige Male passiert, daß einer ins Wasser fiel, und eine Menge einfach zuschaute, ob er sich retten würde oder nicht. Diese Haltung hat mehr als nur eine Ursache, aber die Zuschauerrolle, worin man durch die Medien so viele Katastrophen erlebt, spielt dabei sicher nicht an letzter Stelle mit.

Also: die Kommunikation auf Abstand löst Probleme aus im Empfänger, indem sie seine Informationsverarbeitung schwer belastet, meistens überlastet. Und gewissermaßen unabhängig davon erleidet Kommunikation auf Abstand eine Reduktion. Mit dem Massencharakter der Medien hat das nichts zu tun. Es gilt genauso für Reisen, für Briefe, fürs Telefon.

Man kann versuchen, diesen Umstand zu kompensieren. Die Exkla-mationen in Liebesbriefen sind meistens überschwenglicher als das, was mansichalsLiebendeimMondlichtso sagt. Und in Hörfunk und Fernsehen hat man eine Variante davon als Patentheilmittel: die Emotionalisie-rung.

Von Zeit zu Zeit (und das „Urning" ist auch schon Bestandteil der Kommunikationswissenschaft) werden im Fernsehen große Spendeaktionen veranstaltet, das eine Mal für krebs-kranke Kinder, das andere Mal soll ein Dorf gebaut werden für Körperbeschädigte, und so weiter. Sie bringen bis zu 50 Millionen Mark ein. Entscheidend ist dabei die Frage, ob man die Zuschauerhaltung des Publikums zu durchbrechen vermag.

Dafür gibt es allerhand Tricks, die man unter dem Stichwort „Emotio-nalisierung" zusammenfassen kann. Dabei spürt man in den aufeinanderfolgenden Aktionen, daß die Dosierung der Emotion immer vergrößert werden muß. Das Ende scheint nun wohl so ungefähr erreicht.

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