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Wenn halbe Kinder schon ein Kind bekommen …

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Früher waren Mädchen mit 17 geschlechtsreif, heute sind sie es mit 13 oder 14. Junge Menschen werden geschlechtsreif, ehe sie ,.elternreif’ sind. Aber Medien und Märkte suggerieren: Ohne Sex keine,,Identitätsfindung" und keine „Persönlichkeitsentfaltung"! Also Sex. Und Kinder. Aber Kinder sollen kein Zufallsprodukt sein …

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Früher waren Mädchen mit 17 geschlechtsreif, heute sind sie es mit 13 oder 14. Junge Menschen werden geschlechtsreif, ehe sie ,.elternreif’ sind. Aber Medien und Märkte suggerieren: Ohne Sex keine,,Identitätsfindung" und keine „Persönlichkeitsentfaltung"! Also Sex. Und Kinder. Aber Kinder sollen kein Zufallsprodukt sein …

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Vergleicht man die Ergebnisse einer Innsbrucker Untersuchung (1976) mit der Erhebung an westdeutschen Studenten von Giese und Schmidt (1966), wird das Ausmaß der Vorverlegung innerhalb der. letzten zehn Jahre sehr deutlich.

Während bei Giese zum Zeitpunkt der Befragung lediglich zwölf Prozent der Knaben und fünf Prozent der Mäd- , chen im Alter von 17 Jahren koituserfahren waren, ermittelte man in der Innsbrucker Untersuchung einen Prozentsatz von 32 bzw. 31 Prozent.

Die Vorverlegung heterosexueller Aktivitäten bei Jugendlichen, ihre Ablehnung der traditionellen Begrenzungen der Sexualität auf Ehe und Fortpflanzung dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich ihre Einstellung zur Sexualität stark an traditionellen Wertvorstellungen orientiert.

So machen Jugendliche Zuneigung und Liebe zu den Voraussetzungen, die allein Sexualität legitimieren. Damit werden affektionale Bedingungen zum wichtigsten Regulativ ihrer sexuellen Beziehungen. Die sogenannte voreheliche Freizügigkeit ist daher nur eine „bedingte“, zumal sie nur unter der bestimmten Voraussetzung einer Liebesbeziehung gebilligt wird …, und das weitverbreitete Vorurteil, nach dem das sexuelle Verhalten der Jugendlichen allein vom Lustprinzip unter Außerachtlassung personaler Beziehungen reguliert wird, bestätigt sich nicht. „Für die Mehrzahl ist Liebe die Schlüsselbedingung für die Aufnahme vorehelicher Beziehungen“ (Weiss 1978, S.45).

Ein weiteres wichtiges Regulativ ist die Treue, die Jugendliche von sich selbst und vom Partner fordern. In der Innsbrucker Untersuchung sprachen sich mehr als drei Viertel der Jungen und neun Zehntel der Mädchen für die Treue aus und traten dafür ein, daß man sich in der festen Freundschaft Treue verspricht und dann auch tatsächlich treu ist.

Heimliche Untreue oder ein für beide Partner geltender Verzicht auf sexuelle Treue wurde nur von wenigen Schülern für akzeptabel gehalten …

Diesen Aussagen zufolge kann man wohl kaum von einer sexuellen Freizügigkeit der Jugend sprechen. Die Liberalisierung der Jugendsexualität scheint sich vielmehr lediglich auf das frühzeitige Einüben ehelicher Verhaltensweisen zu beschränken und im Gewände eines quasiehelichen Verhaltens zu verwirklichen, denn die Wertvorstellungen „Treue“ und „Liebe“ erweisen sich auch heute noch als Stabilisatoren und Regulative für feste freundschaftliche als auch für eheliche Beziehungen …

Man dürfte nun auch annehmen können, daß in solchen Liebesbeziehungen jeder Partner die Bedürfnisse des anderen berücksichtigt, ihm nicht Schaden beifügen oder ihn in Schwierigkeiten

bringen will. Rücksicht und verantwortungsbewußtes Handeln sollten hier vorausgesetzt werden können: Die Anwendung von Verhütungsmitteln müßte die Regel sein.

Dennoch gibt es zahlreiche Hinweise und Beweise für die Annahme, daß nur selten sichere Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um unbeabsichtigte

Folgen (Schwangerschaft) zu vermeiden, Alarmierend sind die Aussagen und Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen zum kontrazeptiven Verhalten Jugendlicher.

Bereits 1969 stellte Schofield fest, daß acht von zehn Mädchen beim Koitus ein Schwangerschaftsrisiko einge- hen. Daß sich der Sachverhalt seitdem kaum verändert hat, läßt sich aus den Untersuchungsergebnissen von Si- gusch-Schmidt (1973) und Zerzer (1976) entnehmen …

Fragt man nun nach der Art der beim ersten Koitus angewendeten Methode, zeigt sich sowohl bei den Ergebnissen Zerzers als auch bei jenen von Sigusch (1973), daß Mädchen und Jungen ausgesprochen unsichere Methoden anwenden, wie z.B. den Coitus interrup- tus.

Diese äußerst unzuverlässige Art der Empfängnisverhütung wurde nach der Innsbrucker Erhebung sogar dem Präservativ und den oralen Ovulationshemmern vorgezogen, obwohl die befragten Jugendlichen zumindest die Si-

cherheit der Pille und des Präservativs bzw. die Unzuverläsigkeit des Coitus interruptus einzuschätzen wußten.

Zahlreiche Jugendliche riskieren also bereits beim ersten sexuellen Kontakt eine unbeabsichtigte Schwangerschaft, setzen damit ihre gesamte Jugendzeit, zumeist auch ihre Zukunft, uufs Spiel.

Daß es nicht immer beim Risiko bleibt, beweisen die steigenden Abtreibungsraten bei Jugendlichen und die weltweit ansteigende Anzahl jugendlicher Mütter.

Das lückenhafte kontrazeptive Verhalten Jugendlicher, wie es Zerner, Si- gusch u.a. beschreiben, als auch der steigende Anteil minderjähriger Mütter in den westlichen Ländern scheinen die

Meinung zahlreicher Erwachsenen zu bestätigen, daß sich Jugendliche in diesem wichtigen Bereich der Sexualität verantwortungslos und rücksichtslos verhalten, ja, mit der gewonnenen Frei- heit und Liberalisierung nicht umzugehen wissen.

Dieser Schluß drängt sich nahezu auf. Er sollte uns aber nicht von neuen Fragestellungen ablenken, z.B., ob es außer dem Motiv „Verantwortungslosigkeit“ nicht auch andere Motive, Gründe und Überlegungen gibt, die Jugendliche von der Anwendung kontrazeptiver Mittel abhalten …

Die Ablehnung von Verhütungsmitteln oder Einnahmefehler bezw. Nachlässigkeit bei der Anwendung einer bestimmten Methode können auch Ausdruck eines unbewußten Kinderwunsches, des Wunsches nach einer Schwangerschaft oder auch eines bestimmten Moralkodex sein (Schuhmann 1979).

Besonders für Frauen und Mädchen aus Unterschichten oder schlechten Familienverhältnissen mit frustrierendem

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