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„Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen...“

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...das sagte Dr. Theodor Herzl, der Vater des politischen Zionismus, in bezug auf den Judenstaat auf dem 1. Zionistenkongreß 1897 in Basel.

Am 5. Ijar des Jahres 5708 jüdischer Zeitrechnung bzw. dem 15. Mai 1948 christlicher, wurde dieses Märchen Wirklichkeit.

Gegen den Willen der westlichen Großmächte und ungerührt von der Furcht eines kleines Teiles der jüdischen Bevölkerung des damaligen Palästina proklamierte der erste Ministerpräsident Israels, David Ben Gurion, die Unabhängigkeit und die Gründung des Staates Israel.

Die englische Besetzung

Im ehemaligen Palästina lebten damals 500.000 Juden. Seit 1917, nachdem vorher die Türkei die Herrschaft ausgeübt hatte, verwaltete England im Auftrag des Völkerbundes Palästina als Mandat. Die jüdische Einwanderung in dieses Gebiet hatte Ende des 19. Jahrhunderts begonnen und erreichte ihren Höhepunkt ab 1933 durch die Hitler-Verfolgungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg pochten Hunderttausende jüdischer Flüchtlinge an die Tore des Landes. Doch bis zur Staatsgründung ließ die dem Druck der Araber nachgiebige englische Mandatsregierung sie nicht herein.

Die jüdische Einwanderung brachte aber das Erwachen einer arabischen Nationalbewegung mit sich. Diese sah in den Juden beinahe von Anbeginn ungebetene Eindringlinge, die in ihren Augen im Mittleren Osten als die Exponenten der verhaßten westlichen Kultur auftraten.

In den Jahren 1921, 1927 und 1936 bis 1939 gab es Unruhen arabischer Freischärlerbanden gegen die Juden. Obwohl die Mehrheit der arabischen Bevölkerung diese Freischärler nicht unterstützte, waren sie sehr einflußreich. Die arabische Nationalbewegung war die Triebkraft, die im Jahre 1948/49 die unter sich uneinigen arabischen Nachbarnationen unter dem Motto „Kampf den Juden“ einte.

Als Selbstverteidigungswaffe der Juden gegen die Überfälle ihrer arabischen Nachbarn hatte es seit dem Ersten Weltkrieg zur Zeit der Mandatsregierung eine jüdische Untergrundbewegung „Haganah“ gegeben. Von dieser spaltete sich eine rechtsextremistische Splittergruppe namens „Etzel“ während der Unruhen 1936 bis 1939 ab. Grund war, daß nach Meinung dieser Extremisten die „Haganah“ nicht energisch genug gegen die Araber vorging.

„Etzel“ forderte während des Zweiten Weltkrieges den Abzug der Engländer aus Palästina, um die Schaffung eines unabhängigen jüdischen Staates zu ermöglichen. Als sich die Kämpfe im Zweiten Weltkrieg zuspitzten, schloß „Etzel“ mit der englischen Mandatsmacht einen Waffenstillstand. Diesmal splitterte sich wegen dieses Vorgehens von „Etzel“ eine Gruppe ab, die sich den Namen „Lechi“ zulegte. Sie setzte den Kampf gegen die Engländer

auch während des Zweiten Weltkrieges fort und spezialisierte sich auf persönlichen Terror. Trotz dieser Untergrundbewegungen aber war die damals 1,2 Millionen zählende jüdische Bevölkerung weder auf die politische Unabhängigkeit noch auf einen militärischen Kampf vorbereitet.

Der erste Krieg

Es begann mit Unruhen bereits Ende des Jahres 1947, als der UNO-Beschluß die Teilung Palästinas in

einen jüdischen und arabischen Staat vorsah.

Nach Abzug der englischen Mandatsmacht am 15. Mai 1948 traten zu den arabischen Freischärlern, die gegen die jüdische Bevölkerung kämpften, die Armeen von sieben arabischen Nationen zum Kampf an.

Israel hingegen zog mit zirka vier Brigaden, insgesamt 5000 Gewehren, einigen 100 Maschinengewehren und sehr wenig Munition in den Krieg. Von einem normalen Generalstab konnte keine Rede sein; auch gab es nicht genug Kommandanten und Militärexperten. Daher war von Anfang an alles eine Art von Wunder. Jeder militärische Sieg, jeder neue Waffentransport, jeder Nachschub von Freiwilligen aus der Diaspora, die am Befreiungskrieg teilnehmen wollen, alles erschien als Wunder.

Mit der Gründung des Staates und dem Heldenkampf seiner jüdischen Bevölkerung hob sich aber automatisch auch das Selbstbewußtsein der weiter in der Diaspora lebenden Juden in aller Welt.

Doch der größte Wunsch des jungen Staates, Frieden mit seinen arabischen Nachbarn zu schließen, erfüllte sich nicht.

Statt eines jüdischen und arabischen Staates — wie es die UNO beschlossen hatte — gab es nur einen jüdischen.

1948/49 wurde ein Großteil arabischen Gebietes von den Juden erobert, ein noch größerer Teil Palästinas von Jordanien annektiert und kleinere Teile von Ägypten und Syrien einverleibt.

Das arabische Palästina hatte aufgehört zu existieren.

Hunderttausende Araber verließen auf Geheiß ihrer Führer fluchtartig ihre Heimat. Die palästinensischen Flüchtlinge wurden von den sie aufnehmenden arabischen Nachbarländern in Flüchtlingslagern zusammengepfercht. Ein Großteil von ihnen lebt bis heute darin.

In einem Feldzug gegen Ägypten machte Israel 1956 mit England und Frankreich gemeinsame Sache. Beide Großmächte wollten die von Ägypten betriebene Nationalisierung des Suezkanals rückgängig machen. Israel wollte 'sich einen freien Zugang zum Suezkanal und Golf von Akkaba schaffen. Trotz des siegreichen israelischen Feldzugs mit der Besetzung der ganzen Sinaihalbinsel wurde dieses Ziel auf russischamerikanische Intervention hin nicht erreicht. Auf Geheiß der UNO muß-

ten die eroberten Gebiete an Ägypten zurückgegeben werden.

Mit dem Sinaifeldzug neigte sich auch die „Kindheit“ des Staates ihrem Ende zu. Die improvisierte Armee mauserte sich zu einem regulären Heer mit exaktem Mobilisierungsapparat und modernster Bewaffnung. Aus behelfsmäßigen Bürobaracken wurden Ministerien, und die Entschuldigung der ersten Jahre für jeden Planungs- und Organisationsfehler war nicht mehr stichhal-

tig. Das Wunder war zur Alltäglichkeit geworden.

Auch die Losung „Ein Brera“ (wir haben keinen Ausweg), die insbesondere im Befreiungskampf 1948/49 gebraucht wurde, verlor an Zugkraft: eine neue Komponente trat hinzu. Der kalte Krieg zwischen Ost und West fand seinen Niederschlag im Mittleren Osten. Israel und die arabischen Staaten wurden zu Schachfiguren im Spiel der beiden Großmächte.

Inzwischen hatte sich die Bevölkerungsstruktur weiter gewandelt. Im heutigen Israel leben 2,75 Millionen Juden, zirka 480.000 Araber und sonstige Minderheiten. Hinzu kommen in den von Israel verwalteten Gebieten 1 Million Araber in Cis-Jorda-nien und dem Gazastreifen.

Bis 1956 hatte Israel mehr als eine MUlion Neueinwanderer integriert. Es konnte nicht ausbleiben, daß in so einem jungen Staat Fehler gemacht wurden. Und es war nicht leicht, als Neueinwanderer nach Israel zu kommen — und es ist auch heute nicht immer leicht, als Alteingesessener in Israel zu leben.

Der Lebenskampf ist schwer. Durch die schwierigen Bedingungen breitete sich eine gewisse Rücksichtslosigkeit im gegenseitigen Umgang aus. Die Verhältnisse taten ein übriges.

Wirtschaftskrisen folgten anfänglicher Prosperität, und so mancher in seinen Idealvorstellungen oder

materiellen Erwartungen Enttäuschter drehte dem Staat durch Verlassen des Landes den Rücken. In Amerika leben heute zirka 200.000 ehemalige Israelis, während sich zirka 50.000 insgesamt in Südamerika, Australien, Kanada und Europa niederließen.

Kam es auch erst 1956 zum Krieg mit Ägypten, so dauerten die vor diesem begonnenen Grenzzwischenfälle auch nach diesem Krieg fort.

Die Situation verschärfte sich 1967

entscheidend. Wiederum hatte Ägypten den Golf von Akkaba gesperrt, so daß das südliche Tor zum Meer, Eilath, von der Außenwelt abgeschnitten war.

Es kam zum Sechstagekrieg 1967; und mit einemmal erwies sich, daß die ganze Nation wie ein Mann bereit war, alles zu ihrer Verteidigung zu tun. Wieder kam es zu heroischen Heldentaten, gab es unermüdlichen Aufopferungswillen, und an der Front wie in der Etappe zeigte es sich, daß die zweite Generation an Opferbereitschaft den Pionieren der ersten in nichts nachstand.

In diesem Krieg geschahen wieder Wunder. Israel eroberte im Lauf seines Siegesfeldzuges die Sinaihalbinsel, Cis-Jordanien und die Golan-Anhöhen.

Politisch war es jedoch auf die Besetzung eines solch riesenhaften Gebietes keinesfalls vorbereitet. Daher hoffte man, als Pfand für einen dauerhaften Frieden fast alles wieder zurückgeben zu können.

Hierzu waren aber die arabischen Staaten nicht bereit. Hieß doch jedes Verhandeln mit dem Feind das Zugeben der schmachvollen Niederlage.

So wurde Israel, das sich als provisorische Besatzungsexekutive ansah, ungewollt zur Regierung in den besetzten Gebieten, auch wenn die arabische Bevölkerung keine politischen Rechte erhielt.

Sechs Jahre Besetzung taten das ihrige. Für die zirka eine Million in

diesen Gebieten lebenden Araber war vorzusorgen. Wenn sie jetzt wirtschaftlich von den arabischen Nachbarstaaten abgeschnitten sind, müssen sie in die israelische Wirtschaft integriert werden. Mehr als 60.000 Arbeiter aus den besetzten Gebieten arbeiten bereits in Israel. Tausende sind für Israels Wirtschaft in den besetzten Gebieten beschäftigt.

Zumeist handelte es sich um ungelernte Arbeiter, so daß sie fürs erste zu Arbeiten herangezogen wurden, für die sich in Israel selbst kaum noch Arbeitskräfte finden. Es sind dies Bauhilfsarbeiter, Straßenbauarbeiter, Landwirtschaftsgehilfen und ungelernte Fabrikarbeiter. Diese wirtschaftliche Situation führt begreiflicherweise zu gesellschaftlicher Diskriminierung. Die Tatsache, daß inzwischen einige tausend Araber Diplome über absolvierte Regierungsfachkurse vorweisen können, ändert nicht das allgemeine Bild.

Die Normalisierung des Lebens nach dem Sechstagekrieg brachte auch negative Erscheinungen mit sich. Die einen opferten ihr Leben, die anderen dachten an ihre Geschäfte. Bei vielen zeigte sich ein nicht gekannter Fanatismus. Einige gründeten eine „Bewegung für Großisrael“, einige wurden Mitglieder der faschistischen Liga zur jüdischen Selbstverteidigung, die unter anderem die Araber „überzeugen*“ will, das Land zu verlassen.

Es gibt auch Positives. Eines davon ist das Wiedererwachen des jüdischen Nationalbewußtseins in der Sowjetunion. Mehr als 100.000, größtenteils jüngere Leute der zweiten im Kommunismus erzogenen Generation, stellten Anträge auf Auswanderung nach Israel. Dies außer den 50.000, denen die Ausreise bereits bewilligt wurde. Obwohl die sowjetrussische Regierung den Auswanderungswilligen alle nur erdenklichen Schwierigkeiten, wie Arbeitsplatzverlust, Akademikerkopfsteuer usw., bereitet, ist der Auswanderungswille ungebrochen.

Immer wieder wird behauptet, daß sich die heutige israelische Jugend kaum von der anderer Länder unterscheide. Tatsächlich sind Kriminalität und Rauschgiftkonsum im Anstieg begriffen und nimmt die sexuelle Freizügigkeit zu.

Die UNO-Geplänkel, die im allgemeinen durch die russisch-arabische Mehrheit in dieser immer wieder zur Verurteilung Israels führen, sowie die einseitigen Voreingenommenheiten vieler Staaten Israel gegenüber, sobald ihre ölinteressen in den arabischen Ländern gefährdet sind, erwecken bei vielen Israelis heute wiederum das Gefühl, daß die ganze Welt gegen ihr kleines Land sei.

Manches wurde in Israel in den vergangenen 25 Jahren falsch gemacht, aber anscheinend erwartete man vom Judenstaat, daß er unfehlbar sei. So herrscht allgemein tiefe Bestürzung, wenn sich Israel einmal von seiner negativen Seite zeigt. Wie dem auch sei — zu guter Letzt identifiziert sich der Israeli des 20. Jahrhunderts mit seinem Land und seinem Volk, auch wenn er oft ganz und gar nicht die gleiche Meinung wie seine Regierung oder die Vätergeneration hat.

Fast jeder Besucher des Landes fragt immer wieder: „Wie soll es weitergehen?“

Die herkömmliche Antwort lautet: „Nichje Wenire“ — „Wir werden leben und werden sehen“.

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