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Wenn Kolaric den Hut nimmt...

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Der Paukenschlag: die vorweihnachtliche Tito-Rede, die eine Revision der bisherigen Haltung Jugoslawiens zum Gastarbeiterproblem ankündigte. Seither lassen verschiedene Erschwernisse und Schikanen erkennen, daß es unserem südöstlichen Nachbarn ernst damit ist, seine im Ausland arbeitenden Untertanen wieder heimzuholen — zwar nicht über Nacht, aber doch schneller, als den betroffenen Staaten recht sein kann.

Die meisten Kommentare bringen das mit dem veränderten politischen Klima im Reiche Titos in Zusammenhang. Das stimmt gewiß, wenn wir nach dem auslösenden Moment fragen. Der eigentliche Grund sitzt tiefer: es ist eine Tendenz, die nicht auf Jugoslawien beschränkt ist, nur daß man in den anderen Ländern statt Paukenschlägen lieber Schalmeientöne erklingen läßt.

So etwa wird den griechischen Ab-wanderern zu verstehen gegeben, daß es im eigenen Land immer mehr angeblich sogar gut bezahlte Industriearbeitsplätze gebe; auch die Türkei sieht die Abwanderung gar nicht so gerne wie noch vor wenigen Jahren und auch in Süditalien werden Stimmen laut, daß man die Gastarbeiter eigentlich selber ganz gut brauchen könnte.

Was hier Konturen annimmt, und was man in den mittel- und westeuropäischen Arbeitskraft-Defizitländern partout nicht zur Kenntnis nehmen will, ist eine Tatsache, die mit einigem gesunden Hausverstand längst vorhersehbar war, in die blitzgesoheiten Prognosemodelle unserer Wachstumstheoretiker freilich nicht Eingang fand: die Verbesserung der Industriestruktur Südeuropas — zu der die mitteleuropäischen Industriestaaten nach Kräften beigetragen haben — bringt auch dort einen steigenden Bedarf an Arbeitskräften mit sich, insbesondere nach jenen Fachkräften und angelernten Arbeitern, die in den hochindustrialisierten Staaten ausgebildet wurden.

Was sollen die Industriestaaten dagegen tun? Sollen sie immer neue und entferntere Arbeitskräftereservoirs zu erschließen suchen — von Südamerika über Afrika nach Indien, Indonesien und den Südseeinseln? Zweifellos, dort gibt es noch enorme Reserven, die durch die dort ebenfalls fortschreitende Industrialisierung noch lange nicht aufgesaugt sein werden. Aber die Kosten der Herbeischaffung dieser Arbeitskräfte und die Schwierigkeiten ihrer Einschulung und Akklimatisierung steigen ins Gigantische; schon heute erkennen viele expandierende Unternehmen — übrigens auch in Österreich —, daß die Errichtung von Tochterfabriken in Übersee, trotz den damit verbundenen Risken, der rentablere Weg im Vergleich zur Heranholung der Arbeitskräfte ist. Und, so können wir hinzufügen, auch der sozialere und humanere.

Auf internationaler Ebene wird sich das wiederholen, was wir auf nationaler Ebene bereits kennen: die Industrialisierung der bisherigen Notstandsgebiete gab vor allem jenen Menschen neue Arbeitsplätze, die vorher als Pendler in die industriellen Agglomerationszonen kamen. Natürlich ist es soziale Pflicht jeder Gesellschaft, der Pendlermisere ein Ende zu bereiten; aber ebenso natürlich ist die unerfreuliche Folge für die etablierte Wirtschaff, daß ihr Arbeitskräfte entzogen werden.

Bisher half diese sich durch die Anwerbung ausländischer Arbeiter. Sollte es aber dem internationalen Pendlertum an den Kragen gehen, dann ist keine weitere Ausweichmöglichkeit mehr vorhanden; und ob es uns paßt oder nicht, mit dieser Entwicklung, die wir aus humanen Motiven sogar bejahen müssen, werden wir früher oder später sehr nachdrücklich konfrontiert sein.

Eine Möglichkeit, zwar keine neuen Gastarbeiter zu gewinnen, aber den Verlust der schon vorhandenen hintanzuhalten, wäre die forcierte Einbürgerung der schon vorhandenen und in den allernächsten Jahren eventuell noch neu zuströmenden Kräfte. Das freilich ist ein zweischneidiges Schwert: das Problem beginnt schon damit, daß, wie Meinungsumfragen gezeigt haben, die wenigsten Gastarbeiter — sei es in Österreich oder anderswo — daran denken, sich dauernd im Gastland niederzulassen; gerade die besten von ihnen wollen hier nur einige Jahre gut verdienen und dann in ihre Heimat zurückkehren. Die Paukenschläge und Schalmeientöne, mit deren Intensivierung in den nächsten Jahren zu rechnen ist, werden keineswegs auf taube Ohren stoßen.

Aber auch vom Standpunkt des Gastlandes ist die Einbürgerung, die in einer bestimmten Konjunktursituation erfolgt, nicht ganz unproblematisch: es ist kein Zufall, daß gerade jene europäischen Länder, die am großzügigsten einbürgerten — nämlich Großbritannien und Schweden — heute mit der Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben.

Darüber hinaus bringt die Unterbringung der Gastarbeiter enorme Infrastrukturprobleme mit sich, die mit deren Vermehrung überproportional anwachsen. Die Schweiz mit ihrer prozentuell besonders hohen Gastarbeiterpopulation weiß ein Lied davon zu singen: trotz vorhandenem Uberangebot an Arbeitsplätzen sieht sie sich gezwungen, den weiteren Zustrom abzubremsen, da die sich daraus ergebenden Infrastrukturaufgaben — angesichts des bereits erreichten hohen Niveaus der Ausländerbeschäftigung — in keinem Verhältnis mehr zu den damit erreichten Vorteilen stehen.

Im Gegenteil: die Lösung der Infrastrukturaufgaben ist abermals arbeitskräfteintensiv und bedingt eine weitere Zufuhr ausländischen Personals. Das Beschäftigungsproblem wird zum Faß ohne Boden. Die Bremsmaßnahmen haben daher prinzipiell nichts mit der lärmenden nationalistischen Xenophobie zu tun, die sich bei unserem westlichen Nachbarn in den letzten Jahren unangenehm bemerkbar machte.

In Österreich sind wir — von einigen Gebieten abgesehen — noch nicht ganz so weit. Aber auch wir werden, wenn die Arbeitsplatzvermehrung im bisherigen Tempo weitergeht, sehr bald in die Situation der Schweiz kommen. Nun ist dort das künstliche Abschnüren des Arbeitskräftezustroms einer der entscheidenden Inflationsfaktoren. Wenn das zusätzlich zur jetzt schon vorhandenen Inflation in Österreich auf uns zukommt, können wir uns auf einiges gefaßt machen. Die forcierte Vermehrung von Arbeitsplätzen trotz der ohnehin schon vorhandenen Überbeschäftigung vermehrt nur die Anzahl der Ausländer, ist volkswirtschaftlich ein heller Wahnsinn und wird uns noch teuer zu stehen kommen.

Die einzig richtige Konsequenz aus der Tatsache, daß das Gastarbeiterreservoir nicht beliebig vermehrbar ist, sondern in den nächsten Jahren sogar schrumpfen wird, besteht darin, den inländischen Bedarf schrittweise dem sinkenden Angebot anzupassen.

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