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Digital In Arbeit

Wenn Maschinen denken lernen

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Experten für Kybernetik (Stichwort, S. 2) trafen jüngst in Wien zu einer Tagung über künstliche Intelligenz zusammen. Sie gingen sehr nachdenklich wieder nach Hause.

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Experten für Kybernetik (Stichwort, S. 2) trafen jüngst in Wien zu einer Tagung über künstliche Intelligenz zusammen. Sie gingen sehr nachdenklich wieder nach Hause.

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FURCHE: Kybernetik xvird definiert als Steuerung von Vorgängen aller Art, bei der medizinischen Kybernetik ist der menschliche Körper im Mittelpunkt der Forschungen. An welchem Beispiel kann man das verdeutlichen?

TRAPPL: Etwa an der Temperaturregelung. Ein Beispiel: Wenn uns kalt wird, ziehen sich die Hautkapillaren zusammen, der Organismus versucht die Oberfläche zu „reduzieren", indem etwa die Durchblutung der Haut verringert wird. Dadurch wird Wärme gewonnen, eine blasse Haut tritt auf.

Das ist ein Mechanismus. Wenn das nicht ausreicht tritt die sogenannte Gänsehaut auf. Und schließlich kommt es zum Kältezittern, zu Muskelkontraktionen, durch die ebenfalls Wärme produziert wird und somit eine Unterkühlung verhindert wird. Von diesen Regelmechanismen gibt es eine ganze Reihe — sie tragen dafür Sorge, daß bestimmte physiologische Größen annähernd konstant bleiben: Körpertemperatur, der Blutzuckerspiegel, Blutdruck usw.

FURCHE: Kybernetik befaßt sich auch mit Forschungen auf dem Sektor von Organisationen. Wo sind da die Verbindungsglieder?

TRAPPL: Es gibt eine ganze Reihe von Analogien, Parallelen zwischen dem menschlichen Organismus und Organisationen. Man hat in Organisationen einen Fluß an Informationen, der ungeheuer hoch sein kann, genauso wie bei Lebewesen, bei uns Menschen. Etwa eine Uberfütterung an Informationen. Eine sehr schöne Arbeit untersuchte das Phänomen des „information-input-overload": Was passiert mit einem System, das zu viele Nach-

richten bekommt? Diese Frage trifft auf das System einer Nervenzelle genauso zu wie auch auf das Niveau eines Einzelwesens übertragen oder auf jenes einer Organisation.

FURCHE: Das heißt, daß Nervenzellen, Einzelwesen, Organisationen oftmals ein Zuviel an Informationseinheiten erhalten?

TRAPPL: Jedes System versucht eine Zeitlang, die Informationen zu verarbeiten. Nach einer gewissen Zeit tritt eine Sättigung ein, das System kann nicht über eine bestimmte Menge hinaus verarbeiten, es resigniert, wird erschöpft und kann eigentlich überhaupt nicht mehr darauf antworten.

FURCHE: Das spielt offenbar in den Bereich der Bürokratie hinein?

TRAPPL: Ja, das ist oft zu beobachten. Die Kybernetik entstand aus einem bedauerlichen Anlaß. Beim Militär trat das Problem auf, Flugzeuge besser abschießen zu können. Früher war das kein Problem. Als die Flieger schneller wurden, mußte man auf eine Stelle zielen, an der das Flugzeug noch gar nicht war. Doch es kann sehr viele Ausweichmanöver durchführen — was genau, hängt von den technischen Bedingungen ab. Auch von physiologischen, vom Druck, dem ein Pilot ausgesetzt ist, wenn er eine Kurve fliegt.

Also erörterte man diese Frage, mit Technikern, Physiologen, Biologen. Mathematiker waren auch dabei. Schließlich publizierte Norbert Wiener die Vorhersage von Zeitreihen. Was passiert, wenn eine Zeitreihe über einen bestimmten Zeitraum hinweg beobachtet wird? Wie wird sie aufgrund einer bestimmten Wahrscheinlichkeit weiterverlaufen? Wiener sah, daß viele Probleme

technischer oder physiologischer Art mit einem mathematischen Instrumentarium anzugehen sind.

FURCHE: Wo lag die Notwendigkeit einer Veranstaltung über künstliche Intelligenz oder „Arti-ficial Intelligence" (AI), wie sie Ende Jänner durchgeführt wurde?

TRAPPL: Die gemeinsame Veranstaltung zwischen der Osterreichischen Studiengesellschaft für Kybernetik und der Österreichischen Gesellschaft für Artificial Intelligence war der erste Versuch einer kurzen Informationsveranstaltung. AI kommt jetzt auf uns ganz massiv zu.

FURCHE: Gibt es eine Definition von AI?

TRAPPL: Es ist der Versuch, intelligente Leistungen durch Computerprogramme nachzuahmen. Wahrnehmungsvorgänge, Denken, Schlußfolgerungen ziehen, Planen, Sprechen, Verstehen - alles Vorgänge, die durch Computerprogramme nachgemacht werden können.

FURCHE: Wann begann diese Entwicklung?

TRAPPL: Die ersten Versuche begannen quasi im kleinen Kammerl. Seit etwa drei Jahren aber haben - vor allem in den USA -diese Versuche einen enormen Durchbruch erzielt, der ökonomische, aber auch soziale Konse-

quenzen nach sich ziehen wird. Es kommt da etwas Unheimliches auf uns zu. Firmen investieren fünf Millionen Dollar alleine für die Forschung auf diesem Gebiet; das amerikanische Verteidigungsministerium hat bisher zehn Millionen Dollar pro Jahr dafür investiert, dieser Betrag wird für heuer voraussichtlich beträchtlich erhöht werden.

FURCHE: Ist das eine gefährliche Entwicklung?

TRAPPL: Das ist durchaus möglich. Die Seminarteilnehmer sind jedenfalls sehr nachdenklich nach Hause gegangen.

Mit Univ.-Prof. Robert Trappl. Vorstand des Instituts für medizinische Kybernetik der Universität Wien, sprach Roberto Talotta.

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